Aufgabe 7 Teil 4

Als ich aus dem Bad zurückkam, hörte ich, dass Mark in der Küche werkelte und ich ging dorthin.

"Ich habe uns eine Kleinigkeit zum Essen gemacht", sagte er und stellte gerade zwei Teller mit Tosts auf den Tisch.

"Ich weiß nicht, ob ich was essen kann", sagte ich zweifelnd und setzte mich zu Mark an den Tisch.

"Keinen Hunger?", fragte Mark.

"Eher verdorbener Magen", antwortete ich und Mark grinste leicht.

"Verstehe", meinte er und aß beherzt von seinem Toast.

"So, und jetzt will ich wissen, was gestern los war", forderte er mich jetzt auf.

"Eigentlich möchte ich gar nicht darüber reden", sagte ich und verdrängte die Erinnerung, damit sie mich nicht von innen aufriss.

"Ich fürchte, da kommst du jetzt nicht drum herum! Wenn ich wegen dir schon einen Urlaubstag genommen habe, möchte ich jetzt auch wissen, was los ist!", sagte er bestimmt.

"Du hast extra wegen mir...?", fragte ich stockend.

"Ja, das habe ich! Und das wird der ollen Schnepfe gar nicht gefallen, aber ich sagte, es ist eine dringende Familienangelegenheit". Die "olle Schnepfe" war seine neue Chefin Tanja Königs, die den Betrieb von ihrem Vater übernommen hatte. Mark schimpfte auf sie, wann es ging. Es musste für die Arbeiter sehr hart sein, dass sie nun die Chefin war und nicht mehr ihr Vater.

"Das hättest du echt nicht müssen", sagte ich, "Ich will nicht, dass sie dich auf dem Kieker hat".

"Das hat sie doch eh, weil ich zu den wenigen gehöre, die ihr auch mal sagen, dass das, was sie alles verändern will, ein Mist ist. Also, jetzt aber zu dir: Sag mir, was gestern los war!", forderte er mich erneut auf. Mir kamen die Erinnerungen erneut zurück. Aber ich konnte jetzt unmöglich ausführlich erzählen, was los war. Es war schon schwer genug, diese Erinnerungen im Kopf zu haben, aber sie aussprechen konnte ich gerade gar nicht. Deshalb sagte ich knapp:

"Ich habe gestern mit Johanna Schluss gemacht".

Mark sah mich geschockt an.

"Was?", fragte er mich. "Ich habe mich doch sicher verhört!". Doch ich schüttelte den Kopf und zeigte ihm so, dass er mich richtig verstanden hatte.

"Warum denn das? Ihr beide wart doch glücklich!"

"Nein! Das stimmt ja eben nicht! Ich war es, aber sie nicht! Und deshalb habe ich sie gehen lassen".

"Natürlich war sie glücklich!", widersprach Mark. "Du bist doch genau das, was sie immer..."

"Sie hat gestern hier wegen mir geweint, Mark", sagte ich müde. "Sie war nicht glücklich, glaube mir".

"Gott, dann habt ihr euch eben mal gestritten. Na und? Das kommt in den besten Familien vor!"

"Wir haben uns nicht gestritten", korrigierte ich. "Sie verkraftet es nicht, dass ich vor ihr so einige Frauen hatte. Und jetzt hat sie in jeder, die wir irgendwo gesehen haben, eine potenzielle Gefahr gesehen. Es war schrecklich, sie so sehen zu müssen".

"Dann hättest du ihr eben mal öfter sagen müssen, dass du sie liebst und dir die andern nichts bedeuten", sagte Mark schroff.

"Mann, Mark!", stieß ich aus. "Was denkst du denn, wie oft ich ihr gesagt habe, dass ich sie liebe? Das kann es ganz bestimmt nicht gewesen sein!".

"Aber ich verstehe das nicht!", sagte Mark, "Ihr beide... das gehört zusammen. Ich kapiere nicht, wie du aufgeben konntest!"

"Ich habe nicht aufgegeben. Ich will nur, dass sie glücklich ist, das ist alles", sagte ich.

"Du liebst sie also noch?", hakte Mark nach.

"Was für eine blöde Frage", sagte ich.

"Dann verstehe ich es noch weniger", meinte Mark.

"Du selbst hast gesagt, dass ich sie nicht unglücklich machen darf, weil ich sonst mit dir Ärger bekomme", gab ich zurück.

"Du hörst doch sonst auch nicht auf mich", sagte er kopfschüttelnd. "Du hast das ja wohl nicht wegen mir gemacht, oder?".

"Nein, natürlich nicht", sagte ich. "Es ist so, wie ich es sagte: Ich habe erkannt, dass ich sie nicht glücklich machen kann und sie deshalb gehen lassen". Mark aß schweigend weiter.

"Ich bin mir sicher, dass das alles andere als richtig war", sagte er dann und nahm so das Gespräch wieder auf.

"Was hättest du gemacht?", fragte ich ihn und nahm nun doch einen Bissen von dem Toast. Erst Frustsaufen, jetzt Frustessen. Na, das konnte ja heiter werden. 

"Versucht, das zu regeln?", schlug er vor.

"Aha. Tolle Antwort", sagte ich ironisch. Als hätten wir nicht darüber gesprochen!

"Irgendeine Lösung hätte es schon gegeben!", blieb Mark dabei. "Und jetzt hast du es einfach weggeschmissen, obwohl ihr beide euch liebt".

"Genau. Wie blöd von mir", sagte ich, und Mark seufzte auf.

"Ich muss das auch erst mal verdauen, Lucas. Ich weiß ja, dass du es gut gemeint hast, aber jetzt sind zwei Leute todunglücklich, und das hättest du wissen müssen".

"Sie wird darüber hinwegkommen. Spätestens, wenn sie jemanden gefunden hat, der sie auf Händen trägt". Mark sah aus, als wollte er noch was sagen, ließ es dann aber. Was wahrscheinlich auch besser war, denn wir drehten uns im Kreis. 

"Ich bekomme im Übrigen noch Geld von dir. Das war kein billiger Rausch, das wollte ich nur mal gesagt haben", sagte er dann und wechselte so das Thema. 

 

Ich gab Mark nach dem Essen das Geld zurück und bedankte mich bei ihm, dass er sich um mich gekümmert hatte. Und als er ging, blieb ich verstört zurück.

Die nächsten Wochen waren hart gewesen. Es war alles so nebenher gelaufen, meine Prüfungen am Ende des 4. Semesters waren dementsprechend schlechter ausgefallen als die vorigen.

 

Umgehauen hatte mich etwas, was ich über einen Umweg erfahren hatte: Johanna hatte einen Architektenjob auf Teneriffa angenommen. Es ging um ein großes Hotel, und wir hatten darüber noch gesprochen gehabt. Auf der einen Seite hatte sie das Projekt sehr spannend gefunden, auf der anderen Seite hatte sie nicht für Monate von hier und von mir getrennt sein wollen und deshalb dieses Projekt ihrem Kollegen Gregor überlassen. Nun hatte sie aber doch noch erreicht, mit in das Projekt einsteigen zu können und war vor drei Wochen auf die Kanaren geflogen. Jetzt hatte ich nicht mal mehr eine Chance, sie hier zu sehen, denn sie war viele Kilometer von mir getrennt.

 

Nun also saß ich die letzten Stunden vor den Semesterferien in der Uni ab.

Am Ende der Vorlesungen verließ ich die Uni und sah, dass Toni draußen stand und mit jemandem sprach. 

Toni beendete ihr Gespräch, als sie mich sah und kam auf mich zu.

"Hey, Lucas!", begrüßte sie mich fröhlich.

"Hey", begrüßte ich sie zurück.

"Sag mal, morgen ist Samstag und ich habe das Gefühl, dass du ein bisschen Ablenkung brauchst. Hast du Lust, heute Abend was zu unternehmen?", fragte sie mich frei heraus.

Was sollte ich jetzt sagen? Lust hatte ich keine, andererseits würde mir ein wenig Ablenkung sicher nicht schaden.

"Klar, können wir machen", sagte ich deshalb.

"Klasse!", freute sich Toni, und mir fiel auf, dass sie irgendwie immer fröhlich war. "Wohin sollen wir gehen?", fragte sie mich dann.

"Gehen wir ins Doc Browns, da war ich schon lange nicht mehr", schlug ich vor.

"Prima! Sehen wir uns dort?"

"Ich hole dich ab, das ist doch klar!", sagte ich.

"Okay, du weißt ja, wo ich wohne", sagte sie.

"Ja. Dann so gegen halb neun?"

"Sehr gern. Ich werde fertig sein", versprach sie, bevor wir uns verabschiedeten.

Im Doc Browns war noch nicht viel los, als wir ankamen. Was Tonis Fröhlichkeit in keinster Weise trüben konnte, wie ich feststellte.

Wir holten uns zuerst was zu trinken, und ich bestellte für uns zwei etwas. Ich nahm mir nur eine Cola, während Toni einen Hugo wollte.

Später gingen wir dann auf die Tanzfläche, und es tat mir gut, mich mal wieder richtig auszupowern. Die dröhnenden Bässe taten ihr Übriges, dass ich mich mal für ein paar Stunden amüsieren konnte. Außerdem war Toni wirklich nett und versuchte ständig, mich irgendwie zum Lachen zu bringen. Sie hatte mitbekommen, dass ich mich von Johanna getrennt hatte und wollte mich deshalb sicher aufmuntern. 

Es war schon fast halb drei, als ich sie nach Hause fuhr. Vor dem Haus, in dem sie lebte, machte ich den Motor aus.

"Hier wären wir", sagte ich. "Das war eine gute Idee von dir, Toni. Es war ein schöner Abend".

"Es war ein sehr schöner Abend", bestätigte Toni. "Das sollten wir unbedingt wieder machen".

"Natürlich, warum nicht?", sagte ich.

"Ich kenne da noch eine tolle Disco, allerdings nicht hier in Two Lake, sondern in Silverstone. Die zeige ich dir mal".

"Klar. Jetzt sind ja dann Semesterferien, dann ergibt sich sicher mal was", sagte ich.

"Darauf freue ich mich jetzt schon", sagte sie, und plötzlich kam sie mir näher. Sie würde doch nicht...?

 

Als sie schon dabei war, ihre Augen zu schließen und ihre Lippen meine schon fast berührten, drehte ich meinen Kopf zur Seite und sagte:

"Ich sollte jetzt nach Hause fahren", und sie schnellte mit ihrem Kopf zurück.

"Entschuldige", sagte sie.

"Keine Entschuldigung nötig", sagte ich und blickte weiter stur gerade aus.

"Ich hätte wissen müssen, dass du noch nicht soweit bist".

"Quatsch. Du bist doch keine Hellseherin", sagte ich, und als ich das sagte, fiel mir wie aus heiterem Himmel Madame Selena ein. Sie hatte Unglück prophezeit, sollte ich mich falsch entscheiden. War das etwa das Unglück, von dem sie gesprochen hatte? Aber dem musste eine falsche Entscheidung vorausgegangen sein, und das war es nicht. Denn Johanna gehen zu lassen, damit sie glücklich werden konnte, war nicht falsch gewesen. Niemals. Da konnte Madame voraussagen, was sie wollte.

"Ich gehe dann mal", verabschiedete sich Toni, "Wir sehen uns, Lucas!"

"Ja, wir sehen uns", sagte ich müde und wartete, bis sie ausgestiegen war. Dann startete ich meine Ente und fuhr nach Hause.

Maritas Karriere ging immer noch steil nach oben. Seit sie im Kongreß saß, wurde sie sogar immer wieder von Limousinen zur Arbeit abgeholt. Für ihre Blumen hatte sie keine Zeit mehr, aber mit dem Ziel vor Augen, sich Geld auf die Seite legen zu können, hörte man sie nie darüber klagen. Ich hatte zwar das Gefühl, dass sie glücklicher mit den Blumen gewesen war, aber unglücklch erschien sie mir in der Politik auch nicht. Susan hingegen war nun tatsächlich dabei, neben ihrer Kolumne für ein Buch zu recherchieren, dass die Nachteile für homosexuelle Paare aufzeigen sollte.

Johanna war schon seit einem Vierteljahr auf Teneriffa, und ich versuchte, hier in mein normales Leben zurückzufinden. Was sehr schwer war, immerhin hatte sie hier gewohnt und deshalb schon allein überall Andenken hinterlassen. Schon wenn ich abends alleine in meinem Doppelbett lag, kamen mir die unterschiedlichsten Erinnerungen hoch.

 

Mark hatte gesagt, dass er mit mir reden müsse, und so stand er ein paar Minuten später vor meiner Tür.

"Hey, Mark", begrüßte ich meinen Freund und ließ ihn ins Haus.

"Hey", begrüßte er mich und stürmte an mir vorbei ins Haus. Er schien aufgeregt zu sein.

„War was auf der Arbeit?“, fragte ich ihn sofort, weil er immer noch diese Probleme mit seiner neuen Chefin hatte.

„Das Übliche. Aber deshalb bin ich nicht hier“, sagte er, und nachdem ich die Tür geschlossen und mich neben ihn auf die Couch gesetzt hatte, sah ich ihn etwas erstaunt an.

„Was ist passiert?“, wollte ich wissen.

„Johanna ist wieder da“, sagte er knapp und mein Magen zog sich zusammen. Hanna war wieder hier in Deutschland?

"Du hast sie gesehen?", hakte ich nach, weil ich befürchtete, dass ich mich verhört hatte. Aber Mark nickte.

"Sie ging heute morgen an der Baustelle vorbei, wo ich gerade arbeite. Sie hat mich aber nicht gesehen", sprach Mark weiter.

Er wollte noch etwas sagen, stockte dann aber und sah mich genau an. Ich sah ihm an, dass er nach Worten rang. Das war also noch nicht alles, was er mir sagen wollte. Und scheinbar war es nicht so leicht, diese Sache zu sagen, denn sekundenlang saß Mark neben mir und starrte mich an.

 

Und plötzlich wusste ich, was er mir sagen würde. Sie war bestimmt nicht allein gewesen. Sicher war sie Arm in Arm mit einem anderen Mann an der Baustelle vorbeigegangen. Sofort traf mich ein tiefer Stachel der Eifersucht. 

„Sie… war nicht allein, oder?“, fragte ich krächzend.

„Nein, das war sie nicht“, bestätigte Mark meinen Verdacht. Verdammt noch mal! Warum tat das dermaßen weh? Ich war es doch gewesen, der ihr genau das gesagt hatte!

„Ein… Canario?“, wollte ich wissen. Was für ein Schwachsinn! Was machte das schon für einen Unterschied, ob es ein Mann aus Teneriffa oder von hier war! Mark schüttelte den Kopf, also hatte der Mann wohl nicht gerade südländisch ausgesehen. Ich ließ mich jetzt kraftlos auf der Couch zurücksinken und versuchte, zu verstehen, was passiert war. Ich hatte mit ihr Schluss gemacht, damit sie glücklich werden konnte. Und jetzt, da sie offenbar genau das getan hatte, passte es mir auch nicht in den Kram!

„Lucas…“, sagte Mark und stand auf. Ich sah zu ihm auf, und ich bemerkte, dass er immer noch mit den Worten rang.

„Jetzt sage es schon! Sie hat einen neuen Freund, und ich muss damit klarkommen. Ich habe es ja auch nicht anders gewollt, oder?“, fragte ich bitter.

„Johanna ist schwanger“. Marks Blick bohrte sich in meinen. Und ich starrte ihn an, nicht fähig, mich zu bewegen.

„Schw… schwanger?“, stotterte ich tonlos und stand nun ebenfalls auf.

„Ja“, antwortete er.

„Aber…“, stammelte ich und versuchte zu verstehen, was er mir gesagt hatte. Johanna würde Mutter werden?

„Höre zu, sie hatte einen schon gut sichtbaren Bauch, und das bedeutet, dass es nicht auf Teneriffa passiert ist. Ich habe ja nun wirklich noch nicht viele schwangere Bäuche gesehen, aber selbst mir ist klar, dass es vor ihrer Zeit in San Cristobal de la Laguna passiert sein muss. Außerdem ist sie nicht der Typ, der sofort mit einem Kerl im Bett landet. Hinzu kommt, dass sie, nachdem du mit ihr Schluss gemacht hattest, so einen Liebeskummer hatte, dass sie vor ihrer Abreise mit Sicherheit mit keinem anderen Typen geschlafen hat. Weißt du, was ich dir damit sagen will?“.

 

Stille.

Ich schluckte hart.

 

"Ich muss mit ihr reden", sagte ich dann. Natürlich wusste ich ganz genau, was das bedeutete.

 

Früher war das eine meiner größten Ängste gewesen, dass eines Tages eine Frau vor meiner Tür stehen würde, ein Baby im Arm, und sagen würde: "Hier Lucas, das ist deine Tochter!". Aber es war nie schief gegangen, die Verhütung hatte immer wunderbar funktioniert. Johanna und ich hatten auch verhütet, aber irgendetwas musste schief gelaufen sein, aber das war jetzt zweitrangig. Schließlich trug jetzt nicht irgendeine Frau mein Kind aus, sondern Jojo.

 

Ich wachte aus meiner Starre auf und fragte Mark:

"Du weißt nicht, wo sie jetzt wohnt, oder?".

"Nein, keine Ahnung. Aber du kannst sie bestimmt auf dem Handy erreichen. Oder über ihre Eltern", sagte er.

"Sie wird nicht mit mir reden wollen", befürchtete ich.

"Na, die Dinge liegen jetzt ganz anders. Sicher wird sie jetzt mit dir reden wollen", meinte Mark.

"Ich bin nicht so sicher", sagte ich.

"Probiere es einfach, Lucas. Ich wünsche dir viel Glück!". Mark ging dann, um mich mein Telefonat in Ruhe führen lassen zu können, und bevor er ging, bedankte ich mich noch bei ihm dafür, dass er mir sofort Bescheid gesagt hatte.

Ich wählte Johannas Handynummer und wunderte mich fast selbst, wie ruhig ich war. Natürlich war die Nachricht wie ein Paukenschlag eingeschlagen, aber sie haute mich nicht um, so wie ich mir das immer ausgemalt hatte. Jetzt war es erst mal wichtig, dass ich mit Johanna sprechen konnte, alles andere würde sich zeigen.

 

Es klingelte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich abnahm.

Als sie sich dann meldete, hörte ich ihre vertraute Stimme seit mehr als vier Monaten endlich mal wieder.

"Ja?", hörte ich sie.

"Hey, ich bin`s", meldete ich mich extrem originell.

"Hey", sagte sie dann.

"Wie geht es dir?", fragte ich sie.

"Gut. Und dir?"

"Auch gut", sagte ich und stellte fest, dass das eigentlich gar nicht stimmte.

"Ich habe gehört, dass du wieder in Deutschland bist", erklärte ich dann weiter.

"Ja, das stimmt", sagte Johanna, und ich wartete darauf, dass sie nun etwas wegen der Schwangerschaft zu mir sagte.

Aber sie sagte nichts, weshalb ich fort fuhr:

"Mark hat dich gesehen".

"Er hat mich gesehen?", fragte sie nach, und ich hörte ihr an der Art, wie sie es sagte, an, dass sie wusste, was das bedeutete. Deshalb ließ ich nun jede weitere Förmlichkeit außer acht und kam zur Sache:

"Ich möchte dich sehen, Johanna. Es gibt da so einiges, was wir besprechen müssen".

"Müssen wir das?"

"Ja, natürlich. Immerhin bekommst du mein Kind, oder sehe ich das falsch?". Sie war kurz still und ich hätte zu gern gewusst, was ihr im Kopf herumging.

"Gut", sagte sie dann, "Es ist dein gutes Recht". Das hörte sich furchtbar an, wie ich fand. Sehr geschäftsmäßig, völlig ohne Gefühl. Und das aus Johannas Mund...

"Am besten sofort, wenn du kannst", sagte ich dann aber, weil ich froh war, dass wir reden würden.

"Jetzt geht es leider nicht, ich mache mich gerade fertig, weil ich in einer halben Stunde einen Termin bei meinem Frauenarzt habe. Vorsorgeuntersuchung", erklärte sie.

"Dann komme ich da auch hin!", sagte ich, ohne lange zu überlegen.

"Du willst mich zu meinem Frauenarzt begleiten?", fragte sie verblüfft nach.

"Ja, warum nicht? Bist du noch beim gleichen wie früher?"

"Natürlich", antwortete sie.

"Gut, dann komme ich dahin. Bis gleich!". Noch bevor Johanna protestieren konnte, legte ich auf und rannte ins Haus, um mich ein wenig frisch zu machen, dann hechtete ich in mein Auto und fuhr in die Stadt zu Johannas Frauenarzt Dr. Borek. 

Mit klopfendem Herzen kam ich vor dem Ärztehaus an, in dem auch die Praxis von Johannas Frauenarzt lag. Sie war schon da, und ihr Bauch war unübersehbar rund. Wir begrüßten uns gehemmt, es war, als wären wir nur Bekannte. Die Coolness, die ich vorhin noch gehabt hatte, schwand jetzt von Sekunde zu Sekunde.

Ich sah auf ihren Bauch, in dem mein Kind heranwuchs. Meine Tochter oder mein Sohn. Ich konnte mir das noch gar nicht richtig vorstellen, eigentlich war es unbegreiflich. Mein Leben würde sich komplett verändern. 

"Und du willst wirklich da mit hinein?", fragte Johanna noch mal nach.

"Ja, natürlich. Oder ist dir das unangenehm?"

"Nein, es macht mir nichts aus", antwortete sie.

"Wie weit bist du?", fragte ich dann und kam endlich auf die Schwangerschaft zu sprechen.

"Bald im 8. Monat", sagte sie und ich rechnete nach. Es war jetzt September, das bedeutete wohl, dass das Baby im Februar gezeugt worden war.

"Es muss da passiert sein, als ich krank war", erriet Jojo meine Gedanken. Natürlich! Ihre Magen-Darm-Grippe! Es war allgemein bekannt, dass da die Gefahr bestand, dass bei Durchfallerkrankungen der Pillenschutz nicht mehr zu hundert Prozent wirkte.

Während Johanna ein paar kleinere Untersuchungen im Labor machen lassen musste, wartete ich im Wartezimmer, umgeben von Frauen, wovon noch zwei weitere ebenfalls ein Baby bekamen. Aber ich war nicht der einzige Mann, noch ein weiterer begleitete seine Freundin oder Frau. 

 

Johanna kam nach den Laboruntersuchungen ebenfalls ins Wartezimmer, und wir warteten zusammen, bis sie aufgerufen wurde. Als ich dann in das Behandlungszimmer trat, stellte sich mir Dr. Borek vor und ich nannte ihm meinen Namen. Ich hatte keine Ahnung, inwiefern er von Johanna über unsere Beziehungssituation informiert war. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er darüber Bescheid wusste, dass Johanna mit dem Vater des ungeborenen Kindes nicht mehr zusammen war. Während es sich Johanna auf der Liege bequem machte, blickte ich dem Arzt ins Gesicht. Ob der mich für einen dämlichen Feigling hielt, der seine schwangere Freundin sitzen gelassen hatte?

„Ihre Urin- und Blutwerte sind einwandfrei“, begann dann der Arzt und das hörte sich doch schon mal sehr gut an. „Wie geht es ihnen, Frau Keppler?“

„Ganz gut“, antwortete Hanna. „Ein bisschen Sodbrennen habe ich bekommen, und ich werde momentan öfter mal nachts wach, weil ich Wadenkrämpfe habe“. Ich sah sie überrascht an. Wieso wusste ich das nicht? Ich hatte sie doch schon am Telefon ebenso gefragt, wie es ihr ging, und sie hatte mir mit >gut< geantwortet.

„Das ist nicht ungewöhnlich“, meinte Dr. Borek. „Gegen das Sodbrennen kann ich ihnen raten, nachts nicht zu gerade zu schlafen, sondern sich das Kopfteil zu erhöhen. Der Kopf sollte nie weiter unten liegen als der Magen“. Ich wusste, dass Johanna gerne flach schlief, es würde eine Umstellung für sie sein, wenn sie jetzt erhöht schlafen musste.

„Und gegen die Wadenkrämpfe verschreibe ich ihnen ein sanftes Medikament, das man gut in der Schwangerschaft nehmen kann. Und zwar Magnesium, der Mangel an diesem Spurenelement ist oft die Ursache für die Wadenkrämpfe. Essen sie auch Bananen und andere Nahrungsmittel, die Magnesium enthalten, dann bekommen wir das sicher schnell in den Griff. Haben sie sonst noch Fragen?“

"Nein, keine mehr im Moment", antwortete Johanna, und der Arzt sah mich fragend an. Doch ich schüttelte nur den Kopf. Wenn ich jetzt mit meinen ganzen Fragen anfangen würde, säßen wir am nächsten Morgen noch hier.

"Dann machen wir jetzt noch einen Ultraschall", sagte Dr. Borek. "Sie waren ja noch nie dabei, Herr Schiller, und so können sie ihr Kind auch mal sehen". Ich nickte dem Arzt zu, und Hanna sah mich an.

"Machen sie sich bitte frei", sagte er dann zu ihr, und Hanna machte ihren Bauch frei. Rund wölbte er sich, und ich beobachtete den Arzt, als er ein gelartiges Zeug auf dem Bauch von Johanna verteilte. Dann nahm er sich die Ultraschallsonde und verrieb damit zuerst dieses Zeug, dann wurden seine Bewegungen ruhiger und ich starrte auf den Bildschirm, auf dem ich zuerst nur eine schwarz-graue Masse gesehen hatte.

Auch Johanna sah nun auf den Monitor, und so langsam erkannte man Konturen, die da vorhin nicht gewesen waren. Ich versuchte, herauszufinden, was wir da gerade sahen, hatte keine Ahnung, wie groß das Kind jetzt war und konnte somit nicht abschätzen, was da vorne zu sehen war. Das Ultraschallgerät lieferte immer neue Bilder, indem der Arzt in weichen Bewegungen über Johannas Bauch fuhr. Und irgendwann bewegte sich etwas. Schnelle Schläge dieses kleinen Herzchens pumpten schon jetzt Blut durch die Adern. Ich starrte wie gebannt darauf. Das Herz meines Kindes! Der Arzt vermaß die Größe des Herzens, druckte sich Bilder aus, und erklärte uns, was genau man sah.

Während des Ultraschalls hatte ich die Möglichkeit, mein ungeborenes Kind genauestens zu sehen. Es war absolut faszinierend, was man schon alles erkennen konnte, und ich war froh, mit hierher gekommen zu sein. 

„Ich werde jetzt gleich versuchen, das Geschlecht herauszufinden. Möchten sie es wissen, sollte ich es erkennen?“, fragte uns Dr. Borek und sah uns abwechselnd abwartend an. Ich sah Hanna an. Und sie mich. Wenn wir noch ein Paar gewesen wären, hätten wir solche Dinge schon längst besprochen. So aber hatte ich keine Ahnung, ob sie das Geschlecht wissen wollte oder nicht. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich das Geschlecht noch nicht wissen wollen, weil der Moment im Kreißsaal, wenn das Baby da war und man erfuhr, was man bekommen hatte, sicher wunderbar sein musste. Aber in unserer Situation würde ich vielleicht noch nicht mal im Kreißsaal dabei sein, deshalb sagte ich erst mal nichts.

„Also… ich würde mich gerne überraschen lassen“, meinte Hanna dann nach ein paar Sekunden.

„Ja, ich auch“, sagte ich sofort nach ihr und war gar nicht überrascht, dass wir auch in so einem Punkt den gleichen Gedanken gehabt hatten.

"Dann sollten sie jetzt besser nicht auf den Monitor schauen", sagte Dr. Borek, und begann erneut, mit der Ultraschallsonde auf Hannas Bauch herumzufahren. Ich wusste zuerst gar nicht, wohin ich nun schauen sollte, und ließ meinen Blick in dem Untersuchungszimmer umherwandern. Irgendwann trafen sich Hannas und meine Blicke, und ich verharrte zu gern darin.

Nach der Untersuchung standen wir unschlüssig auf dem Gehsteig vor dem Ärztehaus. Johanna hatte ein neues Ultraschallbild bekommen, das sie sich in ihren Mutterpass steckte.

„Wenn du möchtest, dann kopiere ich dir das“, sagte sie zu mir.

„Das wäre schön, obwohl ich hoffe, dass ich dieses Bild auch so oft genug sehen kann“

„Klar, wir sehen uns ja jetzt bestimmt regelmäßig“, meinte sie.

„Johanna, könntest du mir einen Gefallen tun?“, fragte ich sie dann, weil ich sie um etwas bitten wollte, was mir wirklich wichtig war.

„Ja?“, antwortete sie leicht fragend.

„Wenn ich dich frage, wie es dir geht, dann möchte ich wirklich wissen, wie es dir geht. Keine Floskeln bitte, sondern einfach die Wahrheit“, bat ich sie.

„Aber als ich dir vorhin sagte, dass es mir gut geht, war das die Wahrheit“, rechtfertigte sie sich.

„Sodbrennen und Wadenkrämpfe?“, erinnerte ich sie.

„Lucas! Das sind doch harmlose Schwangerschaftswehwehchen, so etwas ist doch nichts, weshalb es mir nicht gut geht! Ich habe das dem Arzt gesagt, um Tipps zu bekommen, wie ich das in den Griff bekommen kann. Aber es wäre doch seltsam, wenn du mich fragst, ob alles in Ordnung ist und ich dann das Jammern wegen solcher Kleinigkeiten anfange!“. Sie meinte jedes ihrer Worte ernst, aber sie verstand nicht, dass mir das wirklich wichtig war.

„Für mich sind das keine Kleinigkeiten. Jetzt geht es um dich und um unser Kind, und wir wohnen nicht mal zusammen, ich bekomme also eh so wenig mit, da möchte ich wenigstens darüber informiert sein“. Sie seufzte auf.

„Das bist du doch!“, versuchte sie, mich zu beruhigen.

"Ja, jetzt! Wäre ich nicht in diesem Sprechzimmer dabei gewesen, hätte ich keine Ahnung, dass du diese kleinen Schwangerschaftswehwehchen hast". Ich benutzte mit Absicht ihr Wort.

"Lucas, wenn es mir wirklich schlecht geht, erfährst du das, Ehrenwort. Und jetzt mache dir bitte keine Gedanken deswegen, ja?". Ich atmete tief ein und aus. Sie hatte ja recht, ich war dabei, mich schon wieder verrückt zu machen.

"Okay. Wann können wir uns wieder sehen?", fragte ich sie dann, und wir vereinbarten, dass sie am Wochenende zu mir kam.

Am nächsten Tag ging ich zu meinem Vater auf den Friedhof. Ich sah diesmal nicht nur nach dem Rechten, sondern hatte auch das dringende Bedürfniss, ihm von den Veränderungen zu erzählen.

"Daddy, du wirst Opa", begann ich meinen kleinen Monolog. "Und ich bin mit der Frau, die mein Kind bekommt, nicht mehr zusammen. Ja, du hast richtig gehört. Es ist kompliziert, aber ich kann es nun etwas besser nachvollziehen, wie schnell man in diese Situation kommen kann. Wie bei dir und Oli, den du ja leider nie kennenlernen durftest". Ich machte eine kleine Pause und besah mir den Grabstein. Und stellte mir vor, er stünde jetzt vor mir. Wie würde er auf die Nachricht, Opa zu werden, reagieren? Da gab es eigentlich nur eine Antwort. Er würde sich freuen, ganz sicher. Genauso, wie sich auch meine Mutter freuen wird, wenn ich es ihr sage.

"Ansonsten läuft alles ziemlich gut", sagte ich weiter. "Naja, das letzte Semester war nicht so toll. Aber wer kann sich schon noch auf den Hochbau konzentrieren, wenn er Liebeskummer hat?". Ich seufzte schwer auf, als würde ich meine Worte damit unterstreichen wollen. "Na ja, jetzt sind ja noch Semesterferien, es geht erst in drei Wochen wieder los und dann starte ich wieder richtig durch", versprach ich nicht nur ihm, sondern auch mir, bevor ich dann wieder nach Hause ging.

Als Johanna am Wochenende da war, versuchte ich zweierlei zu ignorieren. Zum einen, dass sie immer noch irgendwie in dieses Haus gehörte, obwohl sie nun schon seit über vier Monaten nicht mehr hier lebte. Und zum anderen, dass sie einfach wunderschön aussah.

"Erzähle mir jetzt bitte alles, Johanna", bat ich sie, als wir es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten. "Wie erging es dir auf Teneriffa? Wann hast du gemerkt, dass du schwanger bist? Wenn mich nicht alles täuscht, musst du das schon gewusst haben, als wir noch zusammen waren"

Sie wurde leicht rot, was wohl bedeutete, dass ich richtig lag.

"Zu der Zeit war zwischen uns irgendwie nicht mehr alles im grünen Bereich, und obwohl ich das zu verdrängen versuchte, spürte ich es trotzdem. Und dann blieb plötzlich meine Regel aus. Weil ich ja gewusst habe, dass ich die Pille immer genommen hatte, schob ich das zuerst auf Streß. Als du dann mit mir Schluss gemacht hast, wusste ich es seit etwa vier Wochen".

"Vier Wochen?!", keuchte ich überrascht auf. Das war eine lange Zeit!

"Ja, es war ganz seltsam, aber immer, wenn ich es dir sagen wollte, brachte ich kein Wort über die Lippen. Da ich eh schon das Gefühl hatte, dass du mit uns nicht mehr glücklich warst, hatte ich schlicht Angst, dass du mich verlassen würdest, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich schwanger bin". Johanna senkte ihren Blick.

Und ich sah sie geschockt an.

"Du hast gedacht, ich lasse dich schwanger sitzen?", keuchte ich. Johanna atmete tief ein.

"Es tut mir leid, ich hätte es besser wissen müssen. Schieben wir es auf die Hormonumstellung und darauf, dass ich selbst ziemlich durcheinander war, als ich die Nachricht bekommen habe, schwanger zu sein", erklärte sie. Wir versanken kurz in grüblerisches Schweigen, als ich unbedingt noch etwas wissen musste. 

"Hättest du es mir je gesagt?", fragte ich sie direkt und sah sie an.

"Ja. Ich hätte mich jetzt so oder so mit dir in Verbindung gesetzt", antwortete sie, "Auch wenn dieses Gespräch nicht leicht gewesen wäre. So gesehen war ich froh, als du angerufen hast und schon Bescheid wusstest".

 

Wieder hingen wir kurz unseren Gedanken nach. Es war einfach alles total schief gelaufen, was schief laufen konnte, dachte ich betrübt. Und fragte mich, ob ich es hätte aufhalten können. Da dieser Gedanke in den letzten Wochen schon oft in meinem Kopf gewesen war, verscheuchte ich ihn wieder. Es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Vielmehr zählte es jetzt, dass wir besprachen, wie es weitergehen sollte.

"Jojo...", ich stockte kurz, weil ich sie wohl nicht mehr mit diesem Spitznamen ansprechen sollte, "Johanna, lass uns eine Möglichkeit finden, wie wir das in Zukunft machen wollen. Ich möchte keiner der Väter sein, die das Kind nur alle vier Wochen mal sehen und zu den Geburtstagen ein Päckchen schicken".

"Gut, sehen wir nach vorn", sagte sie, und dieser kleine Satz tat unglaublich gut. Weil wir wieder an einem Strang zogen.

"Ich wohne jetzt vorübergehend bei meinen Eltern, wir können uns also regelmäßig sehen. Ich suche mir aber was eigenes, denn bei meinen Eltern gibt es keinen Platz. Das Zimmer von mir ist zwar noch frei, aber ich und das Kind in dem kleinen Zimmer geht nicht lange gut. Das Zimmer von meiner Schwester ist schon eine Weile als Arbeitszimmer umfunktioniert worden, und meine Eltern hätten wieder ein Platzproblem, wenn wir das ausräumen müssten. Sie haben es mir angeboten, aber ich möchte das nicht".

"Wirst du es allein schaffen?", fragte ich und stellte mir Johanna als alleinerziehende Mutter vor. Unerträglicher Gedanke.

"Geht ja nicht anders", sagte sie knapp.

"Du kannst jederzeit auf mich zählen", sagte ich sofort, und sie lächelte mich an.

"Danke".

Dann schoss mir urplötzlich ein Gedanke durch den Kopf, und ich sprach ihn aus, noch bevor ich mich näher damit befasst hatte.

"Dann ziehe doch wieder hier ein". Johanna sah mich so überrascht an, und ich wunderte mich ein wenig über mich selbst. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Na, konnte ich mir die Antwort gleich selbst geben, ich hatte mir gar nichts dabei gedacht! Sondern einfach einen Gedanken sofort laut ausgesprochen, der mir in den Kopf gekommen war. Anfänger.

"Aber hier ist doch noch weniger Platz als bei meinen Eltern", gab nun Johanna zu bedenken. Und damit hatte sie recht.

"Aber ansonsten hätte das so viele Vorteile", entwickelte sich der Gedanke bei mir weiter. "Du hättest hier im Haus immer jemanden, der auf das Kind aufpasst. Spart dir nicht nur die Kinderbetreuungskosten, sondern hat noch den Vorteil, dass das Kind immer bekannte Bezugspersonen hat. Ich würde sehen, wie mein Kind aufwächst, und das ist ein wichtiger Punkt für mich. Auch deine Miete wäre gering, nämlich bei 0 §, wenn du dich ganz normal an den laufenden Kosten beteiligst". Johanna wollte schon aufbegehren, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen. "Wir müssten auch nicht lange über Besuchszeiten und ähnlichen Quatsch diskutieren, denn wir beide würden hier zusammen wohnen, zusammen mit unserem Kind. Der Garten hier ist riesig, ideal zum Aufwachsen, und..."

"... und du hast immer noch nicht genügend Platz, außerdem würden wir dich eh nur beim Studieren stören", warf nun Johanna ein.

"Stören? Niemals!", sagte ich bestimmt. "Und wegen des Platzes: Ich habe da noch einen Bausparvertrag, den habe ich noch nie angebrochen. Weder beim Kauf des Hauses, noch bei dem ersten Umbau. Ich könnte das Haus hier nochmal erweitern. Kennst du vielleicht einen günstigen Architekten?", zwinkerte ich sie an.

"Ja, zwei sogar", sagte sie und hörte sich verblüfft an.

"Ich bin noch kein Architekt", sagte ich.

"Aber du kannst trotzdem schon sehr viel. Immerhin startet ja jetzt dann schon das 5. Semester, oder?"

"Ja, in drei Wochen", antwortete ich. "Was hälst du aber von meinem Vorschlag? Ich meine, ein 2. Bad fehlt hier sowieso schon lange, und auch sonst gäbe es noch so einiges, was man hier verschönern könnte". Nun lachte Johanna.

"Oh, da spricht ja schon der Architekt aus dir. Ich kenne das ja auch, das weißt du ja". Ich erinnerte mich daran, wie Johanna bei der ersten Party bei mir vor dem Haus gestanden war und es betrachtet hatte.

"Das stimmt. Muss eine Berufskrankheit sein". Kurz trat hier Stille ein, und wir beide hingen unseren Gedanken nach. Aus der fixen Idee war eine planungswürdige geworden. Und je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel sie mir.

"Und du glaubst, das würde funktionieren?", fragte Johanna dann leise, und ich wusste sofort, was sie meinte.

"Du meinst, ob es funktioniert, dass wir beide unter einem Dach leben?", fragte ich ebenso leise nach und sie nickte. "Wir würden das schaffen, da bin ich sicher", gab ich dann zur Antwort. Johanna schluckte und war kurz in Gedanken, bevor sie dann sagte:

"Lass uns das Finanzielle aber noch mal regeln, ja?"

"Wie du meinst. Außerdem müssten ja auch Marita und Susan gefragt werden, ob sie hier für mehrere Wochen in einer Baustelle leben wollen"

"Natürlich"

Bevor wir mit Marita und Susan sprachen, ging ich zuerst zu meiner Mutter. Sie hatte noch keine Ahnung, dass sich ein großer Wunsch von ihr erfüllen würde, auch wenn sie sich sicher gewünscht hätte, dass ihr einziges Kind vor der Vaterschaft noch heiraten würde.

 

Außerdem wollte ich sie noch etwas anderes fragen und war deshalb ein bisschen nervös, als ich bei ihr klingelte.

Wir setzten uns im Wohnzimmer auf die Couch und redeten erst über andere Themen. Mein Studium und ihre Arbeit, dann erzählte sie noch, was dieser oder jener Nachbar getan hatte und ich konnte mich kaum auf ihre Erzählungen konzentrieren.

"Du warst auch schon kommunikativer!", sagte sie dann irgendwann und unterbrach ihr Gespräch.

"Was?", fragte ich perplex. Hatte sie mich was gefragt? Oder sonst auf eine Reaktion gewartet? Sie schüttelte leicht den Kopf.

"Was ist denn los?", fragte sie dann. "Irgendetwas hast du doch!"

Sie bemerkte so etwas also immer noch. Aber hatte ich was anderes erwartet?

"Mama, du hättest Polizistin werden sollen", seufzte ich auf und sie schmunzelte.

"Ich glaube kaum, dass das der richtige Beruf für mich gewesen wäre", meinte sie.

"Aber du hast mal wieder recht. Ich muss dir was erzählen", sagte ich dann und war nervöser, als ich das gedacht hatte. Ich wusste ja, dass sie sich freuen würde, aber es war einfach ein völlig ungewohnter Moment, seiner eigenen Mutter zu sagen, dass man Vater werden würde.

"Jederzeit, das weßt du doch", ermunterte sie mich. "Nun? Was ist los?".

"Also... Johanna ist wieder hier", begann ich, etwas auszuholen. Ich konnte ja schlecht mit der Tür ins Haus fallen.

"Du hast sie also gesehen?", fragte meine Mutter.

"Ja, aber ich selbst habe es von Mark erfahren, dem sie zuerst über den Weg gelaufen ist".

"Schön, dass sie wieder da ist. Und ein Jammer, dass ihr beide nicht mehr zusammen seid. Sie ist so eine nette Frau, ich hätte sie gern in der Familie gesehen".

"Ja, Mama. Ich weiß, aber ich habe dir gesagt, warum ich mich getrennt habe, oder?", fragte ich. Natürlich hatte ich ihr eine abgeschwächte Form der Geschichte erzählt, klar. Und den Teil, in dem es darum ging, dass ich nicht wollte, dass Johanna je so verbittert werden würde wie sie, hatte ich selbstverständlich ganz weggelassen. Eigentlich hatte ich allen, außer Mark, nur erzählt, dass ich gespürt hatte, dass Johanna mit mir nicht glücklich gewesen war und ich mich deshalb von ihr getrennt hatte. Die genauen Hintergründe ging ja auch niemand was an.

"Das schon. Aber ich verstehe es bis heute nicht!", sagte sie und reihte sich damit in eine lange Reihe von Freunden und Verwandten ein, die alle ähnlich wie Mark oder sie reagiert hatten.

"Ja, ich weiß, dass du das nicht verstehst. Aber das ist eigentlich nicht das, was ich mit dir besprechen wollte", sagte ich.

"Entschuldige. Was hast du denn auf dem Herzen?", fragte sie und ich hatte ihre volle Aufmerksamkeit wieder.

"Du weißt ja, dass Johanna jetzt einige Wochen auf Teneriffa zum Arbeiten war", sagte ich.

"Ja, das hattest du mir erzählt", bestätigte meine Mutter.

"Deshalb hatte ich bis jetzt auch keine Ahnung, dass sie schwanger ist", sagte ich dann schnell, bevor mich der Mut wieder verließ. "Sie bekommt ein Kind von mir".

Es dauerte kurz, bis die Information bei ihr angekommen war und ich beobachtete genau, wie sie reagierte. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie realisierte, was ich ihr gerade gesagt hatte.

"Ist das wahr?", fragte sie nach.

"Ja. Du wirst Oma", sagte ich und ihr Lächeln wurde noch breiter.

"Oh, ist das schön!", freute sie sich. "Ich hatte ja die Hoffnung schon aufgegeben, dass du dich überhaupt mal mit diesem Gedanken tragen wirst, und jetzt bekommst du doch ein Kind!". Ich hatte es ja gewusst, aber sie so glücklich zu sehen, war wirklich toll.

"Mama, es gibt da noch was, was ich dich fragen möchte", sprach ich dann weiter, und die nachfolgenden Worte waren für mich schwerer zu sagen. Ich räusperte mich noch mal ordentlich, bevor ich weitersprach.

"Johanna und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass es für alle Beteiligten gut wäre, wenn sie wieder zu mir ziehen würde. So kann ich für sie und das Kind da sein und sie hat Betreuung für das Baby, denn ich schätze, dass auch Marita und Susan gerne mal sitten werden".

"Na, das war genau richtig", sagte meine Mutter. "Ich hätte dir die Ohren langgezogen, wenn du Johanna hängen gelassen hättest".

"Klar", sagte ich und fragte mich, wer hier eigentlich ihr leibliches Kind war.

"Das Problem ist, dass das Haus für alle zu klein ist. Und ich würde das gerne ausbauen, nur reicht mein Geld von dem Bausparvertrag nicht aus. Johanna und ich haben gestern schon ein paar Pläne gemacht, wie es aussehen könnte, aber es ist klar, dass das nicht billig wird. Und ich möchte keinesfalls dass sich Marita, Susan oder Johanna an den Kosten beteiligen".

"Du brauchst also ein bisschen Geld von mir?", folgerte sie richtig und ich wand mich etwas beschämt.

"Ja, leider. Es ist mir völlig unrecht, dich das fragen zu müssen, aber..."

"Lucas!", unterbrach mich meine Mutter. "Ich helfe dir so gern, und du lässt mich nie. Du hast dir ein Haus gekauft, du hast es umgebaut, du studierst und verdienst dir da lieber selbst was dazu, anstatt einmal nur auf mich zuzukommen und mich zu fragen, ob ich dir helfen kann. Ich freue mich wirklich, dass ich etwas tun kann!", sagte sie. Ich sah meine Mutter an und sah, dass sie das völlig ernst meinte. Ich hatte sie nie belasten wollen und schon bald alles alleine geregelt, aber vielleicht war das gar nicht immer gut gewesen. War sie sich überflüssig vorgekommen? Ich ahnte, dass ich der Wahrheit damit ganz schön nah kam, und deshalb fiel es mir nun viel leichter, über das Geldproblem zu reden.

"Okay", sagte ich, "dann kannst du dich jetzt richtig freuen, denn ich brauche deine Hilfe wirklich". Wir zwei besprachen dann alles, sie holte sich ihre Sparbücher, auf die ihre Verdienste und die Witwenrente geflossen waren und auf denen sich eine ganz ordentliche Summe angesammelt hatte, weil sie sich nie was geleistet hatte. Einen Teil davon würde sie mir auf mein Konto überweisen, aber ich bestand darauf, dass ich das Geld nach und nach wieder zurückzahlen würde. Davon wollte sie zwar zunächst nichts hören, aber ich sprach von Alterssicherung und Nullrunden bei Renten und hatte sie dann soweit. Aber ich versicherte ihr, dass ich es ohne ihre Hilfe nicht schaffen würde, und das freute sie sichtlich.

Als das Geld von meiner Mutter auf meinem Konto und mir der Bausparvertrag zugeteilt war, setzten Johanna und ich uns hin und machten die Baupläne fertig, die wir begonnen hatten. Wir arbeiteten konzentriert zusammen und ergänzten unsere individuellen Stile zu einem schönen Gesamtbild. Als wir mit dem Ergebnis zufrieden waren und auch Marita und Susan bezeugten, sich schon auf das Ergebnis zu freuen, nahm Johanna über ihr Architektenbüro Kontakt mit einem Bauträger auf und dann ging es los.

 

Schon bald war unser Garten voller Baumaterialien, und die Arbeiter zogen das 2. Geschoss auf, das Johanna und ich geplant hatten.

Äußerlich veränderte sich das Haus sehr schnell und war schon jetzt kaum mehr zu erkennen.

Das war eines der Dinge, auf die wir stolz waren: Das Arbeitszimmer wurde durch einen Glasanbau ergänzt und würde viel Licht für die künstlerischen Arbeiten bieten.

Auch der Innenausbau kam gut voran. Das Obergeschoss würde nun von Marita und Susan in dem einen Zimmer und von Johanna im anderen Zimmer bewohnt werden. Ein Bad hatte hier auch Platz gefunden. Das Babyzimmer würde das Zimmer im Erdgeschoss werden, in dem Marita und Susan bisher geschlafen hatten, und ich würde natürlich mein bisheriges Zimmer behalten.

Irgendwann war das Haus auch von außen komplett fertig. Ich fand, dass es einfach toll aussah, und auch die drei Frauen waren begeistert. Der Innenausbau war soweit abgeschlossen, auch das 2. Bad war komplett. Dank günstiger Firmen, deren Adressen wir über das Architektenbüro bekamen, in dem Johanna arbeitete, war der Umbau zu einem akzeptablen Preis passiert. Trotzdem war ich jetzt wieder mal pleite.

 

Da ich mich wegen der schlechten Erfahrung mit Marlene geweigert hatte, von den dreien Geld für den Umbau anzunehmen, hatten sie es sich alle nicht nehmen lassen, die Miete zu erhöhen. Johanna hatte es nicht gelten lassen, dass sie mir keine Miete bezahlte, und so bekam ich nun jeden Monat eine gute Summe überwiesen, die ich dazu benutzte, das Bauspardarlehen zurückzubezahlen und meiner Mutter das geliehene Geld zurückzugeben. Die laufenden Kosten und Essen wurden durch unsere Einnahmen finanziert. 

Da die Zimmer soweit fertig waren, machten sich Johanna und ich nun daran, Möbel für das Baby auszusuchen. Dazu suchten wir ein Geschäft auf, das darauf spezialisiert war, nämlich das "Babyparadies".

"Was es nicht alles gibt!", rief ich aus, als wir inmitten von Betten, Mobiles, Hochstühlen, Wickeltischen, Kinderwägen und Massen von Spielzeug standen. Johanna lachte.

"Unglaublich, oder?", und ich nickte. "Aber auch unglaublich süß", fügte sie noch hinzu.

"Stimmt", bestätigte ich und ging zu einem Bettchen. "Schau mal hier. Mit den Monden und Sternen wird das Baby da sicher gut schlafen können!"

"Und wenn wir ein Mädchen bekommen, muss es diese Vorhänge haben!", sagte Johanna begeistert, als sie in einem Mädchenzimmer die Vorhänge entdeckt hatte.

Wir gingen weiter und blieben dann vor den Babyspieldecken stehen.

"So etwas finde ich gut", sagte ich zu Johanna.

"Ich auch. Mein Neffe hat mit so einem Teil wirklich gern gespielt".

"Wenn wir jetzt wüssten, was wir bekommen, könnten wir schon eines mit der passenden Farbe kaufen"

"Wir könnten aber auch das mit den Brauntönen hier unten nehmen", sagte Johanna, "Das wäre neutral"

"Gute Idee", befand ich, und wir nahmen die Decke tatsächlich gleich mit.

"Oh, und dieses Bild muss einfach sein!", rief Johanna entzückt aus, als sie ein niedliches Bild mit drei Giraffen entdeckt hatte.

"Das würde sich in dem Zimmer sicher gut machen, ja", stimmte ich ihr zu.

Plötzlich blieb Johanna stehen.

"Es bewegt sich!", sagte sie und ich eilte sofort zu ihr.

"Tatsächlich?". Ich sah auf Johannas Bauch und konnte sogar die Bewegungen sehen.

"Kann ich mal...?", fragte ich sie und bedeutete mit meiner Hand, dass ich gerne ihren Bauch berühren würde.

"Aber sicher doch!", sagte Johanna, und ich legte meine Hände sanft auf den Bauch. Ich spürte ganz deutlich, dass sich das Kind bewegte und bekam ordentlich Tritte gegen meine Hand ab.

"Tut dir das denn nicht weh?", fragte ich dann Johanna, weil ich es mir nicht vorstellen, konnte, dass solche Tritte gegen die Bauchdecke schmerzfrei waren.

"Nein, wenn es hier an den Bauch tritt, dann tut mir das nicht weh. Diese Beulen am Bauch macht es mit den Händen, denn es liegt schon mit dem Kopf nach unten. Tritte von den Beinen gegen die Rippen sind dagegen wirklich nicht angenehm", erklärte mir Johanna.

"Hey, du Kleines", sprach ich dann unser Kind an, "du tust deiner Mama bitte nicht weh, ja? Und der, der hier spricht, ist dein Papa. Und was der Papa sagt, gilt". Johanna prustete los.

"Bin mal gespannt, ob es schon auf dich hört", lachte sie.

"Wirst du schon sehen", sagte ich selbstbewusst und wir grinsten uns an. Wie früher, schoss es mir durch den Kopf. Dann verscheuchte ich diesen Gedanken und konzentrierte mich wieder auf den Möbelkauf.

 

Wir entschieden uns dann für ein Bettchen aus Naturholz und den dazugehörenden Wickeltisch. Die Auflagen wollten wir erst kaufen, wenn das Baby da war, um zu wissen, welche Farben dann gingen. Mit einem bis oben vollgeladenen Auto kamen wir zu Hause an.

Gegen Ende der Schwangerschaft war es für Johanna immer beschwerlicher, selbst die alltäglichsten Dinge auszuführen. Marita, Susan und ich nahmen ihr deshalb so viel wie möglich ab.

Es waren noch acht Tage bis zum errechneten Geburtstermin, als Johanna abends zu mir ins Schlafzimmer kam. Ich sah überrascht auf und legte das Unibuch, in dem ich gerade gelernt hatte, zur Seite.

"Ich glaube, ich habe Wehen", sagte sie, und ich stand alarmiert auf.

"Du meinst, es geht los?", fragte ich nervös.

"Ich weiß nicht", sagte sie. Ich ging zu ihr und begann, sie zu massieren.

"Tut das gut?", fragte ich, und sie sagte nichts, sondern atmete erneut eine Wehe weg. "Weißt du noch, was die Hebamme gesagt hat? Wenn es richtige Wehen sind, verstärken die sich im warmen Wasser. Ich lasse dir mal Wasser in die Badewanne ein, ja?". Im oberen 2. Bad hatten wir uns eine Badewanne einbauen lassen, und dorthin ging ich jetzt, um die Wanne für Johanna zu füllen.

 

Die Wehen verstärkten sich deutlich durch das Wasser und kamen schon bald darauf in Abständen von 15 min. Also kam Johanna wieder aus der Wanne und machte sich fertig, während ich in ihr Zimmer rannte und ihre Krankenhaustasche holte. Als die Wehen in Abständen von 10 min kamen, fuhr ich mit ihr ins Krankenhaus.

 

Es ging los!!!

Nach einer ersten Untersuchung stellte die zuständige Hebamme fest, dass der Muttermund bereits 5 cm geöffnet war und begleitete Johanna in den Kreißsaal. Dort sollte Johanna auch mal probieren, welche der angebotenen Geburtsmöglichkeiten für sie am angenehmsten war, auch jetzt unter den Wehen. 

 

"Dieser Stuhl hier geht gar nicht", jammerte Johanna nach einer Wehe.

"Dann versuche doch mal den Ball", ermunterte ich sie.

"Nein, ich muss liegen. Meine Beine zittern so", sagte Johanna und ging zum Bett hinüber. Ich blieb hinter ihr, bereit, sie zu halten, sollte sie auf ihren zittrigen Beinen kippen.

Als Johanna auf dem Bett lag, war sie schon recht erschöpft und schloss die Augen. Wenn eine Wehe kam, atmete sie tief in den Bauch, wie sie das gelernt hatte. Die Hebamme hatte fast unbemerkt den Wehenschreiber angeschlossen und untersuchte ihren Muttermund immer wieder.

 

Irgendwann stellte mir die Hebamme eine Schüssel mit Wasser und einen Lappen hin.

"Damit können sie ihrer Frau den Schweiß abtupfen", meinte sie zu mir, und ich ließ sie in dem Glauben, dass Johanna und ich verheiratet waren. Ich tupfte ihr also die Schweißperlen von der Stirn und redete ihr immer wieder gut zu.

Als die Übergangsphase kam merkte selbst ich das. Ich hatte noch gut die Worte der Hebamme im Ohr: "In der Übergangsphase kehrt die Gebärende ihr Innerstes nach außen".

 

Und so war es auch bei Johanna.

 

Sie krallte ihre Finger in meinen Arm und sagte:

"Lucas, ich habe Angst! Ich will, dass das sofort vorbei ist!".

"Bald hast du es geschafft!", sagte ich zu ihr, weil mir absolut nichts Besseres einfiel. Wenn eine neue Wehe kam, die jetzt schnell hintereinander und fast ohne Pausen dazwischen kamen, stöhnte Johanna oft genug auf und atmete dann irgendwann auf Anleitung der Hebamme ihre Wehe weg.

 

Dann änderte sich die Stimmung erneut. Johanna erklärte, dass sie jetzt sofort das Kind rauspressen wolle, und die Hebamme vertröstete sie noch, dass das noch nicht ginge, weil das Köpfchen noch nicht richtig herum lag. Aber es war klar, welche Phase wir damit eingeläutet hatten: Die Austreibungsphase.

 

Die Hebamme rief per Knopfdruck dem Arzt, und gab dann das Startsignal für Johanna, dass sie nun pressen könne. Ich hielt Johannas Hand, die sich um meine verkrampfte. 

 

Zwei Presswehen später lag ein blutverschmiertes, kleines Bündel Mensch an ihren Beinen. 

Unser Kind fing an zu jammern, viel zaghafter, als ich mir das immer vorgestellt hatte. Auch Johanna blickte nach unten, um ihr Kind zu sehen.

"Sie haben einen Sohn bekommen!", erklärte uns die Hebamme freudestrahlend.

Mir wich jegliche Anspannung der letzten Stunden. Ich war Vater eines Sohnes geworden! Was für ein Hammergefühl!

 

Der Kleine wurde auf Johannas Bauch gelegt, und wir konnten dieses Wunder in aller Ruhe betrachten. Die Hebamme hatte ein paar Handtücher über ihn gelegt, damit er nicht fror.

"Er ist wunderschön!", sagte Johanna ergriffen und sah von ihm auf und mich an.

"Ja, das ist er", bestätigte ich und streichelte vorsichtig über diese winzigen Finger. Nachdem die Nabelschnur auspulsiert war, fragte mich die Hebamme:

"Herr Keppler, wollen sie die Nabelschnur durchschneiden?". Ich sagte immer noch nichts wegen des Namens, das war mir in dem Moment so etwas von egal. Ich nickte der Hebamme zu, und sie gab mir die Krankenhausschere, mit der ich dann Johanna und unseren Sohn voneinander trennte.

 

Unser Sohn. Raphael.

 

Weil Johanna gleich die Nachgeburt gebären musste, nutzte die Hebamme die Zeit, nun Raphael zu untersuchen. Bei Johanna war die Frauenärztin geblieben und kümmerte sich um sie.

Ich sah der Hebamme bei ihrer Arbeit zu. Raphael protestierte nun stärker und fand es wohl ziemlich blöd, plötzlich hier im dem grellen Licht und in der Kälte zu sein. Aber aller Protest half nichts, er wurde gewogen, vermessen, auf seine Reflexe getestet und sonst von Kopf bis Fuß untersucht, ob auch alles so war, wie es sein sollte. Die Hebamme notierte alle Daten und ich war erleichtert, als ich hörte, dass wir ein gesundes Kind bekommen hatten.

Ich durfte dann Raphael baden, und mir lag dieses winzige Bündel Mensch zum ersten Mal im Arm. Ich hatte Angst, irgendetwas kaputt zu machen, aber die Hebamme erklärte lächelnd, dass hier noch kein Vater seinem Kind ein Ärmchen abgebrochen habe. Also riss ich mich zusammen, damit ich nicht der erste war, dem das passierte.

 

Als ich Raphael gebadet hatte, bekam er eine Windel und einen Strampler. Johanna war in der Zeit nun auch schon fertig und nun gratulierten uns sowohl die Hebamme als auch die Ärztin. Es war ein alter Hebammenbrauch, dass den frischgebackenen Eltern erst gratuliert wurde, nachdem die Nachgeburt geboren war.

 

Johanna ging dann duschen, und ich hielt meinen Sohn im Arm, der nach dem ganzen Streß nun einschlief. Und ich hatte Zeit, ihn einfach zu betrachten.

 

 

Teil 5 >>

 

 Das Sims2-Singleprojekt

 

Aktuelles

 

 

19.03.19 Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Seite nun fit für die DSGVO gemacht, alles ist online und ihr könnt hier wieder die Abenteuer meiner Schillers lesen!

 

Ich wünsche euch viel Spaß dabei!

 

 

In meiner Geschichte gibt es immer wieder Bilder, die verlinkt sind und zu Videos auf verschiedenen Video-Plattformen führen. Diese Info steht auch bei jedem der verlinkten Bilder dabei.

 

Bitte bedenkt, dass ihr auf eine andere Homepage kommt, wenn ihr da drauf klickt. Mehr dazu in meiner Datenschutzerklärung.