Der erste Nachwuchs

oder: Erwachsen werden

"Herr Schiller, wir haben sehr gute Fortschritte gemacht. Sie sind viel gelassener geworden, seit sie vor einem Dreivierteljahr zum ersten Mal hier gesessen sind. Haben sie selbst denn auch diesen Eindruck?"

"Ja, ich denke auch, dass einiges besser geworden ist", antwortete ich. "Meine Träume etwa haben sich gewandelt".

Doktor Eigner griff zu seinem Block und hielt sich schreibbereit. Was mich anfangs extrem irritiert hatte, war inzwischen völlig normal und ich wusste, dass er nun wartete, dass ich weitersprach.

"Also, früher habe ich im Traum immer die Menschen verloren, die ich liebe. Zuerst meine Mutter, dann meinen besten Freund, später dann ja meine Freundin, und als es dann mit meinem Sohn anfing, habe ich mich zu dieser Therapie hier entschlossen", begann ich zu erzählen, und Dr. Eigner schrieb mit.

"Das ist richtig. Und wie sehen die Träume jetzt aus?", fragte er mich.

Ich dachte an den Traum, den ich zwei Tage davor geträumt hatte. Wie ich Johanna im Arm gehalten hatte...

"Sie sind viel schöner geworden und spiegeln eher Wünsche und... so etwas wieder", sagte ich.

"Haben sie ein genaues Beispiel für mich?", hakte mein Psychotherapeut weiter nach. Was mir anfangs sehr schwer gefallen war, war jetzt völlig normal geworden. Nämlich diesem Arzt vor mir mein Innerstes nach außen zu kehren. 

"Na ja. Ich halte meine Freundin, also meine Ex-Freundin, in den Armen. So etwas zum Beispiel", erzählte ich weiter. Dr. Eigner schrieb mit.

"Das ist ein großer Fortschritt", stimmte er mir dann zu und legte den Block wieder weg. "Herr Schiller, ihr Unterbewusstsein beschäftigt sich also nicht mehr durchgehend mit Verlust und Tod, sondern hat sich jetzt ganz anderem zugewandt. Aus therapeutischer Sicht hat damit eine Heilung ihrer Traumata aus der Kindheit begonnen. Wir sind auf dem richtigen Weg", machte er mir Mut. Ich fühlte mich tatsächlich viel besser und spürte ja selbst, dass diese letzten neun Monate sehr viel geschafft hatten.

 

Es war ein schwieriger Weg gewesen, an manchen Tagen war ich hier dermaßen ferig in dieser Praxis gesessen, dass mir Dr. Eigner nur noch wortlos ein paar Klinex gereicht hatte. Die Aufarbeitung dieser Traumata, die Dr. Eigner schnell festgestellt hatte - nämlich der plötzliche Tod meines Vaters und die Charakteränderung meiner Mutter, was mir als 13jähriger noch mal wie ein Tod vorgekommen war, war schmerzhaft und teilweise auch hart gewesen. Wir waren in Regionen vorgedrungen, die ich immer noch verdeckt gehalten hatte, unbewusst natürlich, und die aber in den Träumen an die Oberfläche geprescht waren.

Dass nun auch mein Therapeut sagte, dass ich auf dem besten Wege war, tat mir sehr gut und erleichterte mich.

"Ich denke auch, dass ich schon viel verarbeitet habe. Meinen letzten richtig schlimmen Traum hatte ich vor etwa fünf Monaten. Damals haben wir hier so viel aufgearbeitet, da ist noch mal einiges an die Oberfläche gekommen", sagte ich, und Dr. Eigner blätterte in den älteren Unterlagen.

"Richtig. Ich hatte sie ja damals schon gewarnt, dass sich ihr Zustand zu diesem Zeitpunkt noch mal verschlechtern würde. Das ist völlig normal und gehört dazu", erklärte er mir noch mal.

"Da unsere heutige Stunde gleich vorbei ist, gibt es noch eine Hausaufgabe von mir", sagte der Doktor zu mir und ich horchte auf. Hausaufgaben? Er schmunzelte, als er mein überraschtes Gesicht sah, wurde dann aber gleich wieder ernst. "Nun, es gibt noch zwei wichtige Fragen, über die sie sich Gedanken machen sollten. Denken sie bitte darüber nach, wer sie wirklich sind und was sie wollen"

Überrascht sah ich Dr. Eigner an.

"Oh Gott, wie soll ich das denn rausfinden?", wollte ich wissen.

"Mir geht es darum, dass sie aufgrund des Traumas und die Verdrängung des Todes ihrers Vaters anders agiert haben, als das ihrer Persönlichkeit entsprach. Viele Trauma-Opfer machen das, um sich Normalität vorzugaukeln. Wir haben in den letzten neun Monaten sehr viel aufgearbeitet, sie haben den Tod ihres Vaters verarbeitet und vor allem gesehen, dass ihre Mutter nicht an dem Punkt stehen geblieben ist, an dem sie nach dem Tod ihres Vaters war, wie von ihrem Unterbewusstsein jahrelang angenommen. Sie haben für ihre Mutter Stärke ausgestrahlt, und doch innerlich mit der Angst gelebt, sie könnten sie verlieren. Nun, da wir hoffentlich so weit sind, dass auch ihr Unterbewusstsein begriffen hat, dass ihre Mutter niemals ihr Leben hatte aufgeben wollen sondern lediglich in sehr tiefer Trauer um ihren Mann gefangen war, möchte ich mich nun mehr mit ihrer eigenen Persönlichkeit befassen. Sie haben erzählt, dass sie lange Zeit nur oberflächliche Beziehungen eingegangen sind, was aus therapeutischer Sicht absolut normal war. In ihrer Beziehung mit Johanna agierten sie jedoch komplett anders, da ließen sie tiefe Gefühle zu. Die Frage ist nun, ob der Lucas Schiller in dieser Beziehung der wirkliche Lucas war, oder ob ihre wahre Persönlichkeit eine ganz andere ist. Ich möchte, dass sie wirklich in sich hinein horchen, was sie möchten und was sie auf keinen Fall wollen. Dann erst, wenn ihnen das klar wird, werden sie sich selbst vollkommen annehmen können. Und das ist eine Grundvorraussetzung dafür, eine funktionierende Beziehung führen zu können".

 

Ich atmete tief ein. Natürlich leuchteten mir seine Worte ein. Ich hatte durch die inneren Ängste anders gehandelt, als das ohne sie der Fall gewesen wäre, so viel war klar. Aber was wollte ich wirklich für mich und meine Zukunft? 

 

Wer war Lucas Schiller?

Als ich nach Hause kam, saß Raphael in seinem Zimmer und spielte.

 

Und ich konnte schon ein Punkt auf meine gedankliche Liste zu der Frage: "Wer bin ich?", drauf schreiben. Und zwar, dass ich mein Kind liebte. Wie er da saß und gedankenverloren spielte, floss ich einfach über vor lauter Liebe zu ihm.

Ich ging zu meinem Sohn und hob ihn hoch. Raphael gluckste vergnügt.

"Na, mein Schatz?", sagte ich und küsste ihn auf seine Wange. Als ich ihn so fröhlich vor mir sah, wusste ich wieder, wie gut es gewesen war, in die Therapie zu gehen. Ich hatte Johanna das Leben schon schwer genug gemacht, das musste nun wirklich nicht auch noch bei ihm sein. Und es ging wirklich ziemlich gut. Wenn Johanna mit ihm unterwegs oder er bei seinen Großeltern oder Oli war, dann machte ich mich nicht mehr verrückt.

 

Und das tat dann wiederrum mir gut, ich spürte selbst, wie locker ich war im Gegensatz zu früher. Von der Therapie wussten nur Mark und meine Mutter.

Am nächsten Morgen saßen wir mal wieder alle zusammen beim Frühstück, es war Samstag und ich musste nicht zur Uni, Marita und Johanna mussten nicht arbeiten. Marita nutzte die Gelegenheit auch sofort, um mit uns was zu besprechen. Durch ihren Job hatte sich ihre Redenfähigkeit total gehoben, das merkte man in solchen Situationen deutlich.

"Wir möchten etwas mit euch besprechen", begann sie, und ich schaute Marita an.

"Jederzeit, das weißt du doch", sagte ich kauend.

Marita wurde etwas ernster, bevor sie begann:

"Wie ihr wisst, haben Susan und ich immer noch den Traum vom eigenen Kind", fragte sie mich und Johanna, und wir nickten. "Ich meine, ihr habt selbst ein Kind, und ich weiß, wie glücklich ihr euch damit fühlt. Sicher versteht ihr diesen Wunsch"

"Natürlich", sagte Johanna und warf mir einen kurzen sanften Blick zu, bei dem mein Herz sofort schneller schlug, "Raphael war zwar nicht geplant, aber ich würde ihn um nichts auf der Welt hergeben wollen"

"Und ich erst recht nicht", sagte ich sofort. Ich war schon versucht, auch Johanna auf meine neue gedankliche Liste zu setzen, ließ das dann aber. Ich musste zuerst meine Hausaufgaben von Dr. Eigner machen, dann erst sollte ich mich damit auseinander setzen.

"Ja, das wissen wir und deshalb könnt ihr auch nachvollziehen, dass wir auch ein Kind wollen. Nun ist es so, dass wir hier in Deutschland als homosexuelles Paar nicht auf eine Samenbank zurückgreifen dürfen. Wir haben uns vor kurzem erkundigt"

"Ach mensch, das ist einfach nicht fair", entfuhr es mir, weil mich diese Ungerechtigkeit einfach nervte.

"Ja, und dass es mit einer Adoption ebenfalls zappenduster aussieht, wisst ihr ja schon", sagte nun Susan leise.

"Eigentlich gibt es für uns nur eine Möglichkeit: Und zwar die eines von uns ausgesuchten Spenders. Diese Idee hatten wir ja schon mal, und auf die müssen wir nun wieder zurückgreifen. Eine andere Chance haben wir nicht", fügte Marita erklärend hinzu.

"Konntest du denn im Senat gar nichts erreichen?", wollte nun Johanna wissen. Marita war seit vier Monaten zum Senatsmitglied unserer Landesregierung befördert worden und hatte nun bei vielen Gesetzesentwürfen mitzureden. Sie schnaubte auf.

"Ich habe mit meinem Vorschlag, die Adoptionsgesetze für homosexuelle Paare zu überarbeiten, nicht gerade offene Türen eingerannt. Man wird sich zu einem späteren Zeitpunkt damit befassen, jetzt wäre die Verabschiedung des neuen Lebensmittelgesetzes von oberster Priorität. Versteht mich nicht falsch, ich finde es auch wichtig, dass in Zukunft die Hersteller die Pflicht haben, eine genaue Zutatenliste auf der Verpackung angeben zu müssen, damit so etwas wie der Pferdefleischskandal nicht mehr passieren kann. Aber das hier ist seit Jahren überfällig!", regte sie sich auf. 

Wir aßen für einen Moment schweigend weiter. Selbst Susans Buch hatte es nicht geschafft, dieses Thema so stark in die Öffentlichkeit zu bringen, dass es gar keine andere Möglichkeit mehr gab, als die Gesetze zu ändern. Es hatte zwar viele zum Nachdenken gebracht, aber die letzte Mauer stand leider immer noch.

"Lucas", wandte sich Marita dann an mich. "Es ist so, dass wir einen möglichen Spender im Auge haben", sagte sie und sah mich so komisch an, dass ich schon befürchtete, dass die beiden gleich wieder mich fragen wollten, ob ich es nicht doch machen würde. Ich überlegte schon, wie ich ihnen erneut absagen könnte, als diesmal Susan fortfuhr:

"Es geht um deinen Bruder. Ist er wieder ganz gesund?", fragte sie mich.

 

Mein Bruder???

"Ihr wollt Oliver fragen?", fragte ich die beiden perplex und sah sie abwechselnd an.

"Ja, oder spricht da etwas dagegen?", fragte Marita.

"Ähm, nein. Ich denke nicht. Ich wollte heute eh noch mit ihm telefonieren, weil er gestern wieder eine seiner Kontrolluntersuchungen gehabt hat und ich sowieso nachfragen möchte, was da dabei herausgekommen ist. Aber da in den letzten zweieinhalb Jahren nichts war, hoffe ich doch schwer, dass das auch diesmal so ist"

"Du telefonierst heute noch mit ihm?", fragte Marita freudig erregt.

"So ist es", bestätigte ich.

"Dann könntest du uns einen Gefallen tun. Würdest du für uns mal vorsichtig nachfragen, ob er so etwas für sich vorstellen könnte? Es würde uns deutlich leichter fallen, ihn persönlich zu fragen, wenn wir wissen, dass wir nicht total auf Granit beißen werden". Was ich zu gut verstehen konnte, das Thema war immerhin sensibel.

"Ja, ich frage ihn mal, wie er dazu steht", sagte ich zu, und Susan und Marita strahlten um die Wette.

Nachdem ich geduscht hatte und Johanna mit Raphael einen kleinen Spaziergang machte, rief ich dann Oli an und fühlte ihm nach ein paar allgemeinen Sätzen auf den Zahn.

„Sag mal, du kennst doch meine beiden Mitbewohnerinnen Susan und Marita, oder?“, fragte ich zwanglos und ziemlich dämlich. Er kannte die beiden schließlich schon seit Jahren.

„Äh… ja? Schon ziemlich lange?“, sagte Oli, und ich hörte seiner Stimme an, dass er grinste. Na gut, ich musste hier jetzt wirklich nicht um den heißen Brei herumreden, also sagte ich:

„Ich weiß nicht, ob du es schon mal mitbekommen hast, dass die beiden wirklich gern ein Kind hätten. Mit der Adoption ist das nicht so leicht, weshalb ja dann Susan auch dieses Buch geschrieben hat“.

„Ja, und das tut mir auch leid für die beiden. Und jetzt müssen sie immer dich und Raphael sehen, was bestimmt auch nicht so leicht ist“, sagte mein Bruder. Er verstand also.

„Eben. Eine Samenbank geht auch nicht, das dürfen homosexuelle Paare erst gar nicht in Anspruch nehmen“

„Das ist ein Witz, wenn man bedenkt, dass so automatisch davon ausgegangen wird, dass ein lesbisches Paar einem Kind nicht das geben kann als Heteros"

„Du erkennst also auch ihr Dilemma. Weshalb sie nun wieder auf eine private Samenspende zurückgreifen möchten“

„Hm, was anderes wird ihnen wohl auch gar nicht übrig bleiben“, stimmte auch Oli zu.

„Das denke ich auch“, sagte ich.

„Und haben sie schon einen geeigneten Spender gefunden?“, fragte Oli.

„Nun, das liegt jetzt ganz an dir“, ließ ich die Bombe platzen.

„Was???“, schrie Oli in den Hörer. Überraschung geglückt, grinste ich in mich hinein.

„Sie haben an dich für den Job gedacht. Ich soll dir mal auf den Zahn fühlen, ob du dir das vorstellen könntest“, erklärte ich dann. Ich hörte Oli aufseufzen.

„Sag ihnen, dass ich mir das gerne überlegt hätte. Aber… ich bin seit der letzten Chemo zeugungsunfähig“, sagte er, und er war dabei immer leiser geworden. Seine Worte hingen schwer in der Luft, und ich presste den Hörer an mein Ohr. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein!

„Oli…“, stammelte ich los, brach aber ab, weil ich noch zu überrascht war. Mein Bruder würde keine Kinder bekommen können…

„Es ist eine häufige Nebenwirkung der Chemo“, erklärte er, „weshalb vor ein paar Wochen auch ein Test gemacht wurde. Da kam das dann heraus“.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagte ich.

„Musst du ja auch nicht“, wiegelte er ab.

„Ist das denn sicher? Solltest du nicht noch eine zweite Meinung einholen?“

„Habe ich. Weil ich genau den gleichen Gedanken hatte wie du auch“, sagte er. Dann musste ich wohl nicht nach dem Ergebnis des zweiten Tests fragen.

„Scheiße“, sagte ich dann. „Wie kommst du damit klar? Möchtest du kommen?“, fragte ich ihn.

„Liebend gern. Dann können wir auch gleich die andere Sache besprechen, die ich mit dir bereden wollte. Es läuft gerade nicht ganz so, wie man sich das wünschen könnte“, meinte er, und ich horchte auf. Er hörte sich jetzt so ernst wie noch selten an.

„Was soll das heißen? Was ist los?“, fragte ich alarmiert.

„Du weißt ja, dass ich gestern wieder Kontrolle hatte“, holte er aus.

„Ja, darum hätte ich dich heute so oder so angerufen“, sagte ich. „Stimmt etwas mit deinen Blutwerten nicht?“, fragte ich alarmiert. Oh Gott! Bitte nicht!!!

„Mit denen ist alles in Ordnung“, sagte Oli und ich atmete erleichtert auf. Die Leukämie war also nicht zurückgekehrt, ein Glück!

„Was ist dann?“, fragte ich. Er machte noch eine kurze Pause, ich sah ihn förmlich nach Worten ringen, aber dann sprach er zwar ruhig, aber mit leicht zittriger Stimme:

"Man hat zwei Geschwülste in meinem Darm gefunden. Die werden jetzt untersucht, ob die gut- oder bösartig sind".

Ich weiß nicht mehr, wie wir das Gespräch beendet hatten. Ich weiß auch nicht mehr genau, wie ich Marita und Susan die Nachricht über Olis Zeugungsunfähigkeit beigebracht hatte. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass sie mich fragten, ob es mir nicht gut ging, und ich ihnen wie in Trance vorlog, dass ich nur die Nachricht über Olis Zeugungsunfähigkeit verdauen müsse. Sie hatten sich daraufhin diskret zurückgezogen und nun saß ich hier auf dem Sofa und starrte Löcher in die Luft. In etwa einer halben Stunde würde Oli hier sein und meine Gedanken rasten. Ich erinnerte mich an die Worte meines Therapeuten Dr. Eigner: „Sehen sie, Herr Schiller, ihr Bruder ist das Paradebeispiel dafür, dass man auch in schwierigen Situationen die Hoffnung nie verlieren sollte. Er wurde wieder gesund, an diesen Dingen müssen sie sich orientieren. Es hilft nichts, sich das Schlimmste auszumalen, immer darauf gefasst zu sein, dass im nächsten Moment ein Unglück geschieht. Wer das tut, zieht oft das Unglück wie magisch an. Seien sie positiver! Nehmen sie sich ein Beispiel an ihrem Bruder!“. Ja, genau Herr Doktor! Mein immer fröhlicher Bruder hatte Leukämie, ist zeugungsunfähig und steht jetzt im Verdacht, Darmkrebs zu haben. Er hat also mit seiner positiven Energie noch niemals auch nur das kleinste Unglück heraufbeschworen!

 

Verdammt noch mal!

Als Oli dann endlich da war, nahmen wir uns wortlos in den Arm.

 

Noch ein weiterer Punkt auf meiner Liste zu "Wer bin ich": Ich brauche meine Familie. Das war in diesem Moment so klar, als ich meinen kleinen Bruder im Arm hielt mit der Sorge, er könnte an Darmkrebs erkrankt sein.

Er sah mich ernst an, so kannte man ihn gar nicht. Was bedeutete, dass er sich wirklich Sorgen machte.

„Wie lange musst du auf das Ergebnis warten?“, fragte ich sofort.

„Zwei Wochen“, antwortete er. Zwei Wochen!!!

„So lange? Warum geht das in der heutigen Zeit denn nicht schneller? Das ist ja..." ... Folter, schwirrte mir im Kopf herum, doch ich sagte es nicht. "Haben sie sonst noch irgendetwas gesagt? Von wegen, dass es kleine Geschwülste sind und man im positiven Fall gut operieren kann oder so was?“, wollte ich wissen.

„Man wird jetzt so oder so operieren. Die Frage ist nur, ob die Geschwüre bösartig sind, es Metastasen gibt, der Krebs woanders gestreut hat, andere Organe befallen sind“, sagte er kurz angebunden.

Mein Magen verkrampfte sich bei diesen Worten. Was für ein Albtraum!

"Hör zu, es ist ja noch alles offen", begann ich, ihn zu trösten. Und mich gleich mit dazu. "Selbst wenn da etwas wäre, so kann das ja nur im Anfangsstadium sein, weil du ja regelmäßige Kontrollen hast, und dann ist das sicher auch heilbar. Da kann man heute ja schon viel machen". Glaubte ich mir eigentlich selbst, was ich da brabbelte? Ich hatte schon total Angst, wie musste es da erst ihm gehen?

"Ich weiß. Ich möchte mich auch wirklich nicht verrückt machen lassen"

"Gut. Dann lass uns doch hinsetzen, was trinken, und den Kopf nicht hängen lassen, ja?", schlug ich vor, und Oli stimmte dem zu. Wir waren gerade auf dem Weg zur Couch, als es an der Haustür klingelte. Och nee, doch nicht jetzt! Ich war schon versucht, nicht zur Tür zu gehen, entschied mich dann aber dagegen.

Es war Toni, die zum Lernen gekommen war. Ach du meine Güte, das hatte ich ja ganz vergessen! Wir hatten für heute ausgemacht, dass wir für unsere nächste Prüfung gemeinsam lernen wollten.

 

Als wir ins Wohnzimmer kamen, saß Oli bereits auf der Couch, erhob sich aber wieder, als er Toni erblickte.

Und weil sich die beiden noch nicht kannten, stellte ich sie einander vor.

"Boah, siehst du Lucas ähnlich!", sagte Toni frei heraus, und sowohl Oli als auch ich mussten lachen. "Lucas, du hast doch erzählt, dass dein Bruder jünger ist. Um wieviel jünger ist er denn? Drei Minuten?". Ich grinste.

"Drei Jahre trifft es besser, Toni", sagte ich.

Toni hatte an diesem Tag wirklich der Himmel geschickt. Sie lockerte die ganze Situation auf, und selbst Oli konnte ob der lockeren Witze, die sie riss, wieder lachen.

Natürlich drifteten Oli und ich immer mal wieder gedanklich weg. In diesen Momenten fiel Toni aber immer irgendetwas ein, was einen sofort wieder auf die Spur brachte.

 

Die beiden blieben lange bei uns. Die Ablenkung tat Oli gut, das wusste ich, und auch wenn Toni und ich an diesem Tag nicht mehr lernten, war das hier ebenso wichtig.

Als Johanna mit Raphael von dem Spaziergang zurück kam, freute sich Oli, seinen Neffen wieder zu sehen. Eigentlich sahen sich die beiden viel zu selten, aber wenn, dann freute das Oli jedesmal, und auch Raphael hatte so langsam einen guten Draht zu seinem Onkel gefunden.

Die Ablenkung durch Toni war gut gewesen, doch logischerweise überrollten mich die Gedanken dann abends, als ich ins Bett ging.

 

Als mir damals Oli gesagt hatte, dass seine Medikamente für das Immunsystem, die er jetzt ein Leben lang nehmen müsste, krebserregend waren, hatte ich das zuerst für einen schlechten Scherz gehalten. Dann wurde es zwar klar, dass er immer ein erhöhtes Risiko haben würde, einen Krebs zu entwickeln, aber ich hätte niemals damit gerechnet, dass das so schnell passieren konnte.

 

Jetzt hieß es also, zwei Wochen lang auf die Testergebnisse zu warten. Zwei Wochen, in denen ich eigentlich lernen sollte, denn in vier Wochen waren Semesterklausuren und meine Masterarbeit stand auch schon ganz oben auf meinem To do-Plan.

Raphael hatte mich am nächsten Morgen fröhlich geweckt. Ich versuchte, mir meine Sorgen nicht zu sehr anmerken zu lassen und übte mit ihm das Laufen.

Als er dann tatsächlich zwei Schritte auf mich zugestolpert gekommen war, hob ich ihn in die Luft, woraufhin er glücklich gluckste.

Später dann krabbelte er in mein Zimmer, und ich gab ihm meinen Hoppel. Nun sollte der kleine, gelbe Hase ihm gehören und vielleicht auch trösten, wenn das nötig war.

Eine meiner Lernpausen nutzte ich, um mal wieder mit Bernd angeln zu gehen. Es war schön, dass er sich nach wie vor dafür Zeit nahm, auch wenn ich nun nicht mehr mit seiner Tochter zusammen war. Ich hatte keine Ahnung, was Johanna über die Trennung erzählt hatte, aber er hatte mir nie einen Vorwurf gemacht. Vermutlich kannte er also nicht die ganze Wahrheit, es würde ihr ähnlich sehen, mich selbst in so einer Situation zu schützen. 

 

Und ich ahnte, dass es ihm noch wegen einer anderen Sache ähnlich ging wie mir: Er war für mich wie der Vater, den ich nicht mehr hatte, und ich für ihn der Sohn, den er nie gehabt hatte. Weder Ellen, Johannas Schwester, noch Johanna selbst angelten. Und so hatten wir nie damit aufgehört, immer mal wieder zusammen unserem Hobby zu frönen.

Diese Angeltage mit Bernd gestalteten sich immer ganz unterschiedlich. Mal tauschten wir dabei rege Dinge aus, die passiert waren, ich bekam so heraus, ob Silvia nach wie vor nach einer Rakete Ausschau hielt, mit der sie mich zum Mond schießen konnte, und ich erzählte von den Lernfortschritten von Raphael, die er seit dem letzten Besuch bei seinen Großeltern gelernt hatte. Johanna hatte ihre Drohung wahr gemacht und nahm nun den Kleinen immer mit zu ihren Eltern, Silvia hatte nun schon seit zwei Monaten unser Haus nicht mehr betreten. Für Bernd tat mir das leid, aber ansonsten war nun in meinen eigenen vier Wänden so Ruhe eingekehrt.

 

Heute war zuerst ein Tag, an dem wir ziemlich ruhig gewesen waren. Wir beide hatten unsere Köder ausgeworfen und warteten darauf, dass ein Fisch anbiss.

Doch irgendwann unterbrach Bernd die Stille:

"Sie spricht zu Hause immer mal wieder von einem Kollegen", eröffnete er das Gespräch. Und es gab keine Zweifel, wen er mit "sie" meinte.

"Inwiefern?", fragte ich nach. Hatte sich Johanna neu verliebt? Mir wurde es ganz kalt bei dem Gedanken daran.

"Wie es aussieht, treffen die sich auch schon privat. Lucas, ich kann dir natürlich nicht zu viel erzählen, sie soll das selbst machen, wenn sie das will. Allerdings ist es auch kein Geheimnis, dass du mir zigmal lieber wärst als dieser Kerl. Außerdem hat der wohl noch nie eine Angel in der Hand gehalten", fügte er hinzu, als wäre das das Wichtigste auf der Welt. Aber seine Worte taten natürlich gut, doch alles andere war einfach furchtbar!

Meine Gedanken rasten. Ein neuer Mann an ihrer Seite also - wenn ich auch nicht wusste, wie ernst die Sache schon war, so zog mir das jetzt doch den Boden unter den Füßen weg.

 

Auf der anderen Seite: Was hatte ich erwartet? Johanna war eine wunderbare Frau, und natürlich fiel so etwas auch anderen Männern auf. Ich forschte in meinem Gedächtnis, welche Kerle mit ihr arbeiteten, die noch Single waren, kam aber spontan auf keinen. Einfach, weil ich nicht mehr wusste, wer damals alles vergeben gewesen war und wer nicht. Und außerdem konnte sich das in der Zeit ja auch wieder geändert haben.

 

Hatte ich wirklich geglaubt, dass unsere jetzige Konstellation ewig so weitergehen würde? Ich kannte sie doch. Sie war ein Familienmensch, und das, was wir hatten, war nur die Hülle davon. Ein Gebilde, dass so aussah, als ob, es aber nicht wirklich war. Wie wenn man Trüffel bestellte und Champignons bekam.

 

Und sie war dabei, die leere Hülle zu füllen.

Wie sollte ich mich da über den stattlichen Wels freuen, den ich heute aus dem Wasser zog?

Am Freitag darauf ging ich mit Mark, Amber und Benny zu Frank und wir aßen dort zuerst eine Kleinigkeit.

 

Die drei kamen schon bald in ein reges Gespräch, nur ich kämpfte mit allerlei Gedanken. Zum einen dauerte es immer noch sieben Tage, bis Oli endlich das Ergebnis von den Untersuchungen bekommen würde. Ich telefonierte oft mit ihm, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, und mich gleich dazu. Und dann jetzt diese Sache mit Johanna und diesem Kollegen...

"Du bist heute so still, Lucas. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?", fragte mich Amber nach einer Weile.

"Es ist wegen Oli", sagte ich.

"Stimmt etwas nicht?", fragte Benny sofort, und ich erzählte meinen Freunden von dem Darmkrebsverdacht.

"Oh nein", sagte Mark erschrocken, "das darf ja nicht wahr sein! Wann bekommt er die Ergebnisse?"

"In sieben Tagen, wir warten schon seit einer Woche", antwortete ich. Natürlich sank die Stimmung am Tisch erst mal ordentlich in den Keller. Jeder hier hatte Oli inzwischen kennengelernt, und ich denke, dass ihn alle hier schätzten. Dass nun die Gefahr bestand, dass er erneut Krebs hatte, schockte hier alle.

"Hat er denn gar nichts gespürt? Also, ich kenne mich nicht so gut mit Darmkrebs aus, aber ich habe mir eigentlich immer gedacht, dass man da Schmerzen haben muss", fragte Benny.

"Nicht im Anfangsstadium", krächzte ich trocken. "Manche merken es erst, wenn es schon zu spät ist"

"Aber seine letzte Untersuchung ist doch noch gar nicht so lange her, oder?", hakte Amber nach. "Es kann also noch gar nicht so weit sein!"

"Bei der letzten Untersuchung wurde die Bauchspeicheldrüse untersucht, nicht der Darm. Es könnte schon weiter sein", erklärte ich, woraufhin es schon wieder still wurde.

"Aber nicht so weit, dass es unheilbar wäre, immerhin hatte er doch überhaupt keine Symptome, wenn ich das richtig verstanden habe, oder?", versuchte Mark, Mut zu machen.

"Ja, das ist richtig. An das klammern wir uns auch gerade", sagte ich und atmete tief aus. "Leute, lasst uns von was anderem reden. In sieben Tagen wissen wir mehr", sagte ich.

"Mark könnte z. B. von seiner Chefin erzählen, in die er total verknallt ist", sagte Amber und nahm damit meinen Vorschlag dankbar an.

"Ja, geht`s noch?", fragte Mark seine kleine Schwester. "Ich und diese Tussi - wie kann man nur auf so einen Gedanken kommen?"

"Och, ich meine ja nur. Für meinen Geschmack schimpfst du ein bisschen zu viel über sie", sagte Amber gelassen, und ich beobachtete Mark genau. Doch der nahm erst mal einen großen Schluck aus seinem Glas.

"Meine Chefin treibt mich auch jeden Tag aufs Neue zur Weißglut! Wie heute. Wir hatten eine kurze Baustellenbesprechung, bevor wir zur Baustelle losgefahren sind. Stöckelt die Kuh doch herein, meint, dass wir schon längst auf der Baustelle sein müssten, so dass wir termingerecht fertig werden können. Hallo? Könnt ihr euch das vorstellen? Ich als Kapo* stehe also gerade vor meiner Mannschaft, um noch ein paar Einzelheiten zu besprechen, und sie hat nichts besseres zu tun, als mich zu unterbrechen und so zu tun, als ob ich das alles zum ersten Mal mache! Ich kenne meine Termine und habe weiß Gott vor, die auch einzuhalten, da braucht sich Frau Königs nun wirklich nicht einmischen!". Mark war vor Wut nun sogar leicht rot angelaufen, was bei seiner dunklen Hautfarbe zwar kaum zu sehen war, aber trotzdem auffiel. Amber grinste und sah zu ihrem Mann hinüber, die beiden tauschten ein paar vielsagende Blicke, und ich starrte meinen Kumpel an.

 

Wenn Amber recht hätte, müsste Mark seine Chefin wirklich sehr mögen.

 

 

* Kapo = Vorarbeiter (süddeutsch)

Später gingen wir dann noch in das obere Stockwerk und spielten ein bisschen Billard. Die Langs gegen die zwei Singlemänner. Die zwei unglücklichen Singlemänner. Klar, dass Mark und ich verloren.

Mark und ich nutzten dann die Zeit, während Amber und Benny für uns alle noch mal was zum Trinken organisierten, um zu reden.

"Was ist das mit dir und deiner Chefin? Hat Amber recht?", frage ich ihn auch frei heraus.

"Du also auch noch!", seufzte Mark auf. "Höre zu, ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, mich vor ihr verteidigen zu müssen, da kann doch kein normaler Mensch an mehr denken. Sie ist besserwisserisch, mischt sich einfach in alles ein und bringt mich einzig deswegen durcheinander, weil ich manchmal nicht mal mehr weiß, wo auf der Baustelle oben oder unten ist, weil sie alles umkrempeln will. Und ich hasse es, wenn sie mich wie ein Neuling behandelt. Dabei ist es anders herum, denn während sie ihr Popöchen noch im Hörsaal platt gedrückt hat, war ich schon längst auf dem Bau. Und das ist jetzt nichts gegen dich und dein Studium", redete er sich schon wieder in Rage.

"Okay, ich habe kapiert", gab ich nach. Anscheinend hatte die immer noch im siebten Himmel schwebende Amber da einfach zu viel Romantik hinein interpretiert.

"Mark, hast du Johanna in der letzten Zeit mal getroffen? Hat sie einen neuen Freund?", fragte ich dann direkt heraus. Mark sah mich verblüfft an.

"Nicht das ich wüsste! Hat sie etwa was gesagt?"

"Ihr Vater hat was angedeutet. Du weißt also von nichts?", hakte ich hoffnungsvoll nach und Mark überlegte noch mal angestrengt.

"Nein, ich habe nichts bemerkt. Und gesagt hat sie nichts. Aber ich könnte es mir schon vorstellen, um ehrlich zu sein". Ich schluckte.

"Ja, ich auch", gab ich zu und Mark musterte mich.

"Dir macht das immer noch was aus, oder?". Wieder musste ich hart schlucken, weil mein Hals immer trockener wurde. Hoffentlich kam Benny bald mit dem Bier.

"Ja", sagte ich ehrlich. "Weißt du, wir leben unter einem Dach, mit unserem Kind zusammen, und für mich kam das einer Familie schon sehr nahe. Aber einfach, weil ich selbst so früh schon kein Familienleben mehr hatte, da war das jetzt so viel besser, verstehst du?". Mark nickte.

"Ja, das kann ich sogar verstehen", sagte er, und ich fuhr fort:

"Bei genauerem überlegen wird mir natürlich klar, dass wir weit davon entfernt sind. Und ich muss dir nicht sagen, was sich Johanna diesbezüglich so wünscht".

"Nein, wirklich nicht", sagte Mark. "Johanna gehört zu den Frauen, die noch von einer schönen Hochzeit träumen, von Familie und einem eigenen Haus, das sie sich in ihrem Fall selbst planen möchte. Dass eure WG für sie nur eine Übergangslösung war, war mir eigentlich schon immer klar. Und ich ging davon aus, dass das auch für dich gilt". Ja, wie wohl jeder.

"Ich habe mich zu sicher gefühlt, weil ich einfach froh war, dass sie in dem Haus bei mir war. Und... weil ich irgendwo die Hoffnung hatte, dass wir wieder... na ja, dass wir wieder zusammen kommen könnten". Mark sah mich mit großen Augen an.

"Du hast dich von ihr getrennt, damit ihr wieder zusammen kommen könnt? Lucas, wirklich, ich begreife es nicht!"

"Glaube mir, den Tag, als ich Schluss gemacht habe, würde ich am Liebsten aus dem Kalender streichen. Durch die Therapie habe ich natürlich aufschlüsseln können, warum ich so gehandelt habe, aber die hat mir auch klar gezeigt, was ich IHR damit angetan habe. Ich würde es liebend gerne rückgängig machen".

"Aber du kannst es nicht rückgängig machen", sagte mir mein Freund schonungslos.

"Das weiß ich selbst!", gab ich übellaunig zurück. "Aber ich kann sie um  Verzeihung bitten. Ich möchte mit ihr über das alles reden, Mark. Glaubst du, dass ich noch eine Chance habe?". Mark sah mich intensiv an.

"Ich finde es ja schon großartig, dass du nun endlich selbst darauf gekommen bist, dass du das klären musst. Und weißt du, sie hat dich viele Jahre lang geliebt, ich denke, deine Chancen stehen gar nicht mal so schlecht. Vorrausgesetzt, sie hat tatsächlich noch keinen neuen Freund". Ich atmete schwer aus.

"Das kann man nur hoffen", sagte ich dann. 

 

Und dann setzte ich Johanna doch auf meine neue gedankliche Liste, die ich seit einigen Tagen führte, die enthielt, wer ich war und was ich wollte. Denn es war ganz klar: Ich liebte sie noch immer.

In den nächsten Tagen sah ich Johanna allerdings kaum, außerdem war ich gedanklich auch oft bei Oli. Und als ich an diesem Freitag von der Uni kam, klingelte mein Handy. Er war es, und ich nahm mit klopfendem Herzen ab, denn heute war der Termin, an dem er das Untersuchungsergebnis bekommen würde.

"Ja?", sagte ich atemlos in das Handy.

"Ich bin es", sagte mein Bruder, obwohl er sich natürlich denken konnte, dass ich das bereits wusste.

"Und? Hast du das Ergebnis schon?", fragte ich.

"Gutartig, Lucas. Die Geschwülste sind gutartig!", sagte er ohne Umschweife. Ein riesiger Stein flog mir vom Herzen und eine große Erleichterung machte sich in mir breit.

"Gott sei Dank!", seufzte ich auf. Mein Gott, was war das schön! "Und wie geht es jetzt weiter?", fragte ich nach.

"Ich sagte ja schon, dass die Dinger jetzt auf jeden Fall heraus operiert werden. Ich habe sofort die Überweisung ins Krankenhaus bekommen, morgen früh um 8.00 Uhr muss ich dort sein".

"Ja, raus mit den Dingern", sagte ich flapsig, einfach, weil ich so froh war.

"Genau, braucht doch kein Mensch", stimmte mir Oli ebenso übermütig zu.

"Was denkst du, wann ich dich besuchen kommen kann? Übermorgen vielleicht?"

"Ja, das dürfte wieder gehen, denke ich"

"Gut, dann komme ich da. Und morgen machst du`s einfach gut, ja?"

"Klar", sagte er, und wir waren schon im Begriff, aufzulegen, als er mich noch mal ansprach:

"Lucas?"

"Ja?"

"Könntest du mir noch einen Gefallen tun?"

"Sicher"

"Könntest du Toni bitte ausrichten, dass ich mich über einen Besuch von ihr freuen würde?". Aha. Herr Angeklagter, keine weiteren Fragen. Da ich sowohl von Toni als auch von Oli wusste, dass sie in den letzten zwei Wochen öfters mal miteinander telefoniert hatten, ahnte ich schon, was hier lief.

"Warum machst du das nicht selbst?", fragte ich ihn.

"Weil ich mir blöd vorkommen würde, wenn ich sie jetzt bitten würde, mich im Krankenhaus zu besuchen"

"Das wäre gar nicht blöd!", widersprach ich ihm.

"Oh, bitte, Lucas! Für was hat man denn einen großen Bruder, hm?"

"Feige Socke", neckte ich ihn.

"So kann man das jetzt auch nicht sagen", wand er sich heraus, und ich grinste in mich hinein. Nach dieser guten Nachricht war das Herumalbern doch einfach klasse.

"Kann man schon. Aber gut, ich will mal nicht so sein. Wenn sie Zeit und Lust hat, bringe ich sie mit"

"Du denkst, sie könnte keine Lust haben? Warum? Hat sie so was mal angedeutet?", hakte er sofort nach.

"Nein, kleiner Schisser. Alles in Ordnung, ja?". Ich lachte, während er mir so allerlei an den Kopf warf, dann legten wir auf.

 

Hach, was mochte ich diesen Kerl. Diesen gesunden, verliebten Kerl, um genau zu sein.

Drinnen kam mir dann gleich Raphael entgegengelaufen, auf sehr wackeligen Beinchen zwar, aber er konnte sich nun schon immer länger oben halten.

"Na, mein Süßer", begrüßte ich ihn und nahm ihn auf den Arm. Es war einfach toll, nach Hause zu kommen und so begrüßt zu werden.

Wie vereinbart fuhr ich am Tag nach der OP zu Oli ins Krankenhaus, im Schlepptau eine etwas nervöse Toni. Sie hatte die ganze Zeit geplappert, weshalb die Stunde Fahrzeit zu Oli auch wie im Flug verging.

 

Als wir das Krankenzimmer von ihm betraten, sah er uns entgegen. Strahlend wie immer.

"Hey", begrüßte ich ihn. "Du lachst ja schon wieder!"

"Klar, es hat ja auch alles gut geklappt. Gestern hatte ich noch ganz schön Schmerzen, aber heute geht es schon wieder ganz gut". Oli war wirklich ein Mensch, der sich nicht gehen ließ. Ich könnte sogar wetten, dass er heute noch ordentlich was spürte, es uns aber nicht sagte, einfach, um hier nicht zu jammern.

Ich überließ Toni den Stuhl und sie setzte sich an das Bett. Sie sprach jedoch nicht viel, es war wirklich unglaublich, dass die Frau, die mir vorhin im Auto das Ohr abgequasselt hatte und die, die jetzt vor mir saß, ein und dieselbe war.

 

Da ich dann aber Oli über die OP befragte und er mir antwortete, fand auch Toni irgendwann ihre Stimme wieder und beteiligte sich an dem Gespräch.

Wir blieben solange, bis Olis Eltern und sein jüngerer Bruder kamen, um ihn zu besuchen. Mit Dagmar wechselte ich sogar ein paar Worte. Es war zwar immer noch seltsam, mich mit ihr zu unterhalten, aber die Rechnung war einfach gewesen: Wenn ich meinem Vater vergeben konnte, musste ich ihr genauso vergeben. Und vergeben hatte ich vor allem wegen Oli können. Ohne diesen Seitensprung gäbe es ihn nicht.

 

Da Oli vorraussichtlich am morgigen Tag schon wieder nach Hause durfte, würde ich ihn das nächste Mal dann also bei sich zu Hause besuchen. Mal sehen, ob Toni dann auch wieder mit wollte.

 

 

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19.03.19 Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Seite nun fit für die DSGVO gemacht, alles ist online und ihr könnt hier wieder die Abenteuer meiner Schillers lesen!

 

Ich wünsche euch viel Spaß dabei!

 

 

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