Einzug!

oder: Das schaffe ich doch mit links!

Das war sie also, die kleine Hütte, die ich nun für zwei Monate bewohnen sollte. Manche Leute hatten Garagen, die größer waren als das da. Kein Wunder, dass Marks Eltern hier nicht lange gewohnt hatten, bevor sie neu bauten. Dann diese Fassadenfarbe. Wie originell. Hier in der Gegend gab es ja auch kaum grün.

Ich seufzte auf und ging mit hängenden Schultern zu der Eingangstüre. Was mich wohl drinnen erwartete? Ich konnte mich wirklich kaum erinnern, obwohl es ja nun keine Ewigkeit her war, als Mark seinen Geburtstag hier gefeiert hatte. Wie alt waren wir damals? 15? Ich wusste es nicht mehr genau.

Oh. Mein. Gott.

 

Tausend Fragen schossen durch meinen Kopf, als ich dieses winzige Haus betrat. Zum Beispiel, wer das eingerichtet hatte. Ob der Mensch dafür schon verklagt worden war. Wieso engagierte man einen farbenblinden Innenarchitekten? Wie konnten das Marks Eltern hier drin aushalten? Wo stand deren Bett? Wie sollte ich hier zwei Monate durchhalten ohne verrückt zu werden? Warum wollte mich Mark quälen? Und wie konnte ich ihm das heimzahlen?

 

Wow. Meine Deutschlehrerin wäre stolz auf mich gewesen, bei so vielen wunderbaren W-Fragen.  

Die Nasszelle. Entzückend. Jeder Gefängnissinsasse hatte recht auf mehr Platz.

 

Einen Kleiderschrank gab es auch nicht, also stapelte ich meine Klamotten zuerst einmal hier im Bad unter dem Waschbecken, was sollte ich auch sonst machen.

Natürlich spielte ich sofort mit dem Gedanken, bei Mark anzurufen und ihm die Leviten zu lesen, ließ das dann aber doch bleiben. Ihn hätte das sicher sehr amüsiert, wenn ich mich keine zwei Stunden nach meinem Einzug hier bei ihm ausgeheult hätte und diesen Triumph gönnte ich ihm nicht. Also ließ ich es.

 

Ich würde das hier schon schaffen!

 

Irgendwie.

Freundlicherweise hing hier eine Dartscheibe, das war doch schon gar nicht schlecht. So konnte ich die Zeit natürlich auch totschlagen, also schnappte ich mir die Pfeile und pfefferte sie auf die runde Scheibe.

Naja, zwar hatte ich nicht immer einen Volltreffer, aber was machte das schon, es sah ja niemand. Denn ich war ja ganz alleine hier! Ha! Schon wieder ein positiver Aspekt meiner neuen und unfreiwilligen Freiheit.

Etwas später begann dann auch mein Magen zu knurren. Immerhin hatte ich dank Mark das gute Mittagessen bei meiner Mutter verpasst und irgendwann wollte mein Magen eben etwas Beschäftigung. Nun, ich hatte mir ja etwas eingepackt (wie gut, dass meine Mutter daran gedacht hatte!) und war gerade auf dem Weg in die Küche, als diese drei Gestalten vor meinem Häuschen vorbeiliefen.

Der blonde Typ klingelte dann auch bei mir, stellte sich als Marlon Gong vor (haha, was für ein Nachname!) und fragte mich, ob ich wüsste, wo hier der Wanderweg rund um den Ahrensee anfangen würde.

"Tut mir leid, das weiß ich leider nicht", sagte ich und fügte hinzu: "Ich wohne hier erst seit kurzem"

"Achso, schade. Danke jedenfalls!", sagte dieser Marlon und drehte sich schon wieder um, um zu den beiden anderen zu gehen.

Auch für mich war diese Sache eigentlich erledigt, als ich die Dame genauer ansah, die der kleinen Wandertruppe angehörte. Holla, die Waldfee! Das gefiel mir doch schonmal ziemlich gut und es wäre doch sehr unhöflich gewesen, sich nicht vorzustellen, oder?

 

Also sprintete ich hinaus, begrüßte zuerst die Frau, die sich als Geraldine bekannt gab und außerdem den älteren Herrn mit Namen Paul Heinzelmann. Ich bot den Dreien eine kleine Stärkung an und lud sie in meine Hütte ein.

Eine kleine Stärkung... was hatte ich da den Mund wieder voll genommen. Was bitte sollte ich denn zur Stärkung anbieten? Da konnte ich den Kühlschrank noch so oft öffnen, schließen und dann wieder öffnen, es erschien sicher kein Truthahn wie von Zauberhand! Ich hatte mir von uns zu Hause ein Päckchen Weißbrot und ein wenig Wurst und Käse mitgenommen, was anderes konnte ich nicht anbieten.

 

Auf der anderen Seite hatte ich noch nie in meinem Leben einen Kochlöffel in der Hand gehabt, also hätte ich hier mit den besten Zutaten sowieso nichts anfangen können.

Also improvisierte ich und machte einfach ein paar Sandwiches. Davon wurde man auch satt und ich war schließlich kein Gourmet-Restaurant.

Ich servierte die Sandwiches noch am Tisch, nur um festzustellen, dass der Platz hier nicht für alle reichen würde.

Also erinnerte ich mich an die gute Erziehung meiner Mutter und nahm mein erstes Essen in der Simlane im Stehen ein. Geraldine stürzte sich sofort auf die Sandwiches.

"Danke, Lucas. Sehr nett von dir uns hier so spontan einzuladen. Woher hast du nur gewusst, dass ich tatsächlich ganz schön hungrig war?", sagte sie lächelnd zu mir.

"Geraten. Da ich ja weiß, dass frische Luft hungrig machen kann, habe ich mir gedacht, dass ihr sicher etwas zur Stärkung gebrauchen könnt". Sie sah mich an.

"Du kennst dich so gut aus - wanderst du etwa auch? Dann könntest du dich doch ebenfalls ganz spontan uns anschließen!", sagte sie erfreut. Und ich verschluckte mich fast an dem Bissen, den ich gerade kaute.

"Äh...", begann ich und überlegte, was ich sagen sollte. Ich und wandern, das war ungefähr so, als würde man Ottfried Fischer als Balletttänzer engagieren.

"Es sei denn, du hast heute schon etwas vor", sagte Geraldine sofort und ihre Augen blickten mich nun trauriger an. Aber mit dem Satz hatte sie mich gerettet.

"Ja, genau! Leider.", fügte ich hinzu. "Ich bin nachher noch außer Haus. Aber wir könnten uns auch mal so treffen, dann kannst du mir von deinen Touren, die du schon gemacht hast, mal erzählen!", schlug ich vor. Nun strahlte sie wieder.

"Sehr gern! Weißt du was, ich gebe dir meine Telefonnummer, dann kannst du dich ja mal melden!", sagte sie. Jawoll, wieder eine Telefonnummer mehr.

"Gut, so machen wir das", lächelte ich.

"Geraldine, kommst du?", fragte Marlon plötzlich und ich fragte mich, ob Marlon Geraldines fester Freund war. Das wäre natürlich weniger gut, diesen Stress wollte ich vermeiden. Andererseits: Hätte sie mir dann praktisch vor seinen Augen ihre Telefonnummer gegeben? Seltsam.

 

Ich sagte den dreien noch, welcher der beiden Seen der Ahrensee war, falls sie das verwechselt hatten, wünschte viel Glück bei der Wanderwegsuche und verabschiedete mich von ihnen.

 

Danach pflanzte ich mich erstmal auf die Couch und sah ein wenig fern. War ja schon ganz schön stressig gewesen das alles.

Zum Abendessen gab es ein Fertiggericht. Wir hatten diese Gerichte für Notfälle zu Hause, etwa dann, wenn meine Mutter krank wurde. Ich wusste genau, dass ich nicht so kochen konnte wie sie, also probierte ich es erst gar nicht. Meine Mutter verstand das und war auch mit diesem Fertigessen zufrieden, wenn sie, aus was für Gründen auch immer, nicht kochen konnte.

 

"Nur zwei Monate, Lucas!", machte ich mir selbst Mut und schob dieses sogenannte Essen in meinen Mund. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Am nächsten morgen stand ich ganz gegen meine Gewohnheit noch vor Sonnenaufgang auf, aber mir tat alles weh und ich hatte nicht weiterschlafen können. Das Bett, dass diesen Namen nicht verdiente, hatte mir wirklich den Rest gegeben. Die Matratze war unbequem, völlig durchgelegen und ich hatte kaum ein Auge zugetan. Nun hatte ich wirklich höllische Rücken- und Nackenschmerzen. Ich hoffte, dass aus dem Duschkopf wenigstens warmes Wasser kam und stellte mich darunter.

Ah, warmes Wasser! Ich genoss die Dusche, ließ das Wasser minutenlang über meinen Rücken und Nacken laufen und erhoffte mir dadurch Linderung. Während ich mich so langsam entspannte, überlegte ich mir, wie ich das alles Mark zurückzahlen konnte. Aussetzen auf der Robinson-Insel? Anbinden an einen Laternenmasten mitten in der Pampa? Seinen Eltern petzen, zu was ihr Sohn so fähig war? Ich wusste noch nicht, was es werden würde, aber es würde was kommen, soviel stand fest.

Gott, das Essen von gestern müffelte ja tierisch! Und wo kamen diese ganzen Fliegen her, die sich darüber hermachten? Widerlich. Ich aß mein letztes Essen, was ich noch von zu Hause hatte, nämlich kalte Waffeln, und dachte daran, dass ich heute noch einkaufen musste. Und irgendwie musste ich auch diesen Schweinestall aufräumen und ich fragte mich, ob man das alles an einem Tag schaffen konnte.

Nach meinem Frühstück lief dieser junge Zeitungsausträger am Haus vorbei, und ich ging hinaus, um ihn zu begrüßen. Mir fehlte die tägliche Lektüre der Zeitung und ich musste ihn fragen, ob er mir nicht eine dalassen konnte.

"Hey du!", rief ich ihn und er blieb tatsächlich stehen.

"Du trägst hier die Tageszeitungen aus?", fragte ich ihn.

"Ja, aber warum wollen sie das wissen?", fragte mich der Junge misstrauisch.

"Ich habe ein Problem. Ich wohne hier erst seit kurzem, möchte aber gerne morgens die Zeitung lesen. Wenn du mir also einfach jeden Tag eine hinlegst, dann bezahle ich sie dir, äh...", ich kam ins stottern. Wie sollte ich die Zeitung denn bezahlen, so ohne Kohle? Meine Reserven schrumpften zusehends. "Also, du schreibst mir einfach eine Rechnung, die ich dann begleichen kann". Ich, meine Mutter, wer wusste das schon. Sollte dem Jungen ja auch egal sein.

"Tut mir leid, diese Zeitungen sind nur für Abonnementen", sagte der Zeitungsjunge stur. "Ich darf ihnen davon keine dalassen".

"Aber diese Zeitungen werden doch sicher nicht abgezählt sein, oder? Ich mache dir einen Vorschlag: Du gibst mir heute eine, ich zahle dir den Einzelpreis und kümmere mich gleich heute mittag um ein Abo. Einverstanden?"

"Ich bekomme Ärger, wenn das rauskommt", sagte der Zeitungsfritze immer noch bockig. Ja, was musste ich denn noch sagen?

"Wie soll das denn rauskommen? Nur heute! Ich brauche die Zeitung, verstehst du?". Nun grübelte der Kerl wenigstens mal.

"Okay!", sagte der Junge plötzlich. "Aber sie halten dicht, ja? Ich will hier nicht meinen Job wegen soetwas verlieren!", ermahnte mich dieser Rotzlöffel nochmal, bevor er mir eine Zeitung aushändigte, die ich ihm bar bezahlte.

 

Tja, der hatte einen Job zu verlieren, und ich musste erstmal einen finden.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, studierte ich dann die Zeitung genau, vor allem die Stellenangebote. Wenn ich hier überleben wollte, musste ich wohl oder übel arbeiten gehen.

 

Leider gab es kaum Angebote und eigentlich nur eines, was etwas für mich wäre. Eine Sicherheitsfirma suchte einen Wachmann für ein Firmengebäude, der nachts seine Runden drehte. Naja, ich konnte mir nachts wahrhaftig schönere Sachen vorstellen, als in einem Haus herumzustapfen, und dazu gehörte ganz sicher nicht das Schlafen in dem grausamen Bett, aber der Verdienst war durch die Nachtzulage ganz ordentlich.

 

Da ich eh in die Stadt musste, um einzukaufen, würde ich dem Arbeitgeber einfach mal einen Besuch abstatten, vielleicht hatte ich ja Glück.

Das Vorstellungsgespräch war gut verlaufen, meine Chefin hatte zwar meine fehlenden Fitnesskenntnisse bemängelt, aber als ich ihr versichert hatte, dass das ein Punkt war, den ich sicher ausbügeln konnte, hatte sie zugestimmt. Und so trat ich noch am gleichen Abend meinen Dienst als Wachmann an.

Völlig kaputt kam ich im Morgengrauen nach Hause. Es war stinklangweilig gewesen, durch die dunklen, leeren Räume zu latschen. War das wirklich das einzige Stellenangebot gewesen, das für mich in Frage kam? Ich besah mir nochmal die Anzeigen, musste aber feststellen, dass es sonst nichts für mich gab.

 

Nun, ich musste leider Geld verdienen und so blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Job vorerst mal zu machen. Aber wenn die Zeitung, die ich mir abonniert hatte, dann regelmäßig geliefert wurde, würde ich einfach da immer wieder nach den Stellen schauen. Irgendwann würde schon etwas anderes für mich dabei sein. Falls nicht, würde ich spätestens nach diesen acht Wochen den Job wieder kündigen, wenn ich wieder nach Hause kam. Acht Wochen hielt man es auch mal in einem Job aus, der nicht der Bringer war.

Natürlich rief auch schon bald meine Mutter an und erkundigte sich besorgt, wie es mir so ging. Ich sagte zu ihr, dass alles Bestens lief. Warum sollte ich sie auch beunruhigen? Sie wäre sicherlich eine Stunde später hier auf der Matte gestanden um nach mir zu schauen, wenn ich irgendwie gejammert hätte. Grundsätzlich hätte ich diese Hilfe auch liebend gerne angenommen, aber ich hatte eine Wette zu verlieren, also ging das nicht. 

Als mich dann meine Mutter ganz harmlos fragte, was ich mir zum Mittagessen machen wollte, fiel es mir siedendheiß ein: Ich hatte vergessen, mir irgendetwas für das Mittagessen zu kaufen! Frühstücksflocken, Milch, Chips, Butter, Brot, sogar ein wenig Obst hatte in den Einkaufswagen gefunden, aber nichts zum Erwärmen!

Nachdem ich meine Mutter verabschiedet hatte, schnappte ich mir sofort wieder den Hörer und rief bei einem großen Supermarkt in Two Lake City an. Von dem wusste ich nämlich, dass er auch nach Hause lieferte. Diesen Service hatte der Laden schon vor einigen Monaten eingeführt, vor allem für die ältere Bevölkerung der Stadt. Aber ich war nun ebenfalls dankbar, nicht wieder mit dem Bus oder einem Taxi zu dem Supermarkt fahren zu müssen und wählte die Nummer.

 

Dann gab ich meine Bestellung auf, in der viel Fertiggerichte drin vorkamen, und war glücklich, nicht wieder außer Haus zu müssen.

Die Bestellung wurde schnell geliefert, und ich war hocherfreut, als ich in der Lieferantin eine attraktive Frau entdeckte. Das Schicksal meinte es eben einfach nur gut mit mir!

Als ich ihr den vollen Korb abnahm, berührten sich für einen Moment unsere Hände, was sie nervös auflachen ließ.

"Oh, Verzeihung! Soll nicht wieder vorkommen!", sagte ich galant.

"Macht doch nichts. Es ist ja nichts passiert", sagte die Lieferantin. Ich lächelte sie an.

"Vielen Dank, dass sie so schnell gekommen sind. Sie haben mich damit gerettet!"

"Oh, das ist nur mein Job!", sagte sie schüchtern. Meine feinen Antennen sendeten mir Signale. Ich versuchte also weiter mein Glück bei der Dame.

"Nein, wirklich! Ich habe heute keine Möglichkeit mehr, in die Stadt zu fahren, und habe kaum mehr Essen im Haus. Sie sehen, sie haben mir mehr als nur einen Dienst erwiesen. Sollte heute...", ich stoppte und verbesserte mich sofort, als ich an das Chaos im Haus dachte, "... morgen Abend kein Mann oder Freund auf sie warten, würde ich sie gerne bei mir zum Essen einladen. Einverstanden?". So, jetzt würde ich gleich zweierlei erfahren: Zum einen, ob sie vergeben war, zum anderen, ob sie Interesse an mir hatte.

"Ähm, nein, da wartet niemand auf mich", sagte sie dann. Erster Punkt für mich! "Und einer Einladung zum Essen kann ich nur schwer absagen", meinte sie dann lächelnd. Yeah!

"Wunderbar! Dann sagen wir so um halb acht? Wenn sie da nicht noch armen Kunden ihr Essen liefern müssen?". Sie lachte.

"Nein, da habe ich Feierabend. Halb acht passt gut"

"Ich freue mich!", sagte ich und strahlte sie an, so dass sie leicht kicherte, als sie zu ihrem Lieferwagen ging.

Hach, es hatte also doch Vorteile, wenn man ein Haus für sich selbst hatte, und wenn dieses Haus auch noch so klein war. Leider konnte ich der Lieferantin, deren Namen ich noch nichtmal wusste, nichts kochen, aber diese Fertiggerichte, die ich gekauft hatte, würden ihren Zweck sicher auch erfüllen. Vielleicht sollte ich mir aber auch mal ein Kochbuch in die Hand nehmen, die hier in einem Regal standen. Oder zumindest mal im Fernsehen eine Kochsendung anschauen, so dass ich wenigstens die Grundsachen mal gesehen hatte, es liefen doch dauernd diese Sendungen auf allen Kanälen die es gab.

Eine Stunde, bevor mich die Fahrgemeinschaft für meinen Job abholte, legte ich mich nochmal für eine halbe Stunde aufs Ohr. Ich wusste zwar nicht, ob mir das die nötige Erholung bringen würde, aber vielleicht war es besser als nichts.

Am nächsten Tag räumte ich erstmal bei mir auf und putzte sogar das Bad, was ebenfalls nicht mehr ganz so frisch gewesen war. Ich schob zwei Fertiggerichte in den Ofen, die zumindest auf der Verpackung ganz gut ausgesehen hatten und hoffte, dass die so einigermaßen schmecken würden. Und dann wartete ich auf meine noch namenlose Verabredung.

 

Als sie kam, wunderte ich mich, dass sie in ihren Arbeitsklamotten steckte. Sie entschuldigte sich tausenmal, dass es ihr nicht mehr gereicht hatte, sich noch umzuziehen, da sie kurzfristig noch eine Lieferung in Leuchtenfels, einer Stadt 20 Km von hier, bekommen hatte.

 

Ich versicherte ihr, dass das doch nichts ausmachte und bat sie herein. Und endlich stellten wir uns auch gegenseitig vor, so dass ich erfuhr, dass sie Marlene Junghans hieß. Wir gingen dann auch schnell zum Du über, was mir sehr recht war.

 

Nach dem Essen, das so einigermaßen genießbar gewesen war, blödelten wir herum. Es stellte sich heraus, dass Marlene außerordentlich kitzelig war.

Später sahen wir uns einen Film an, der im Fernsehen lief, und da kamen auch meine eigens gekauften Chips zum Einsatz.

 

Marlene und ich unterhielten uns gut. Marlene erzählte von ihrem Job, ich von meinem, der sie irgendwie beeindruckte. Ich wusste nur nicht, warum. Was war an einem Wachmann schon so toll? 

Es war ein total netter Abend und die Zeit reif für ein bißchen Spass von der anderen Sorte. Ich flirtete Marlene an, was sie schüchtern lächelnd quittierte.

"Der Abend mit dir war toll, Marlene!", sagte ich und gab ihr einen sanften Kuss. Da in den nächsten 2 Sekunden keine Ohrfeige kam, war das schonmal ein ziemlich gutes Zeichen.

"Mir hat es auch sehr gefallen", sagte sie leise.

Dann umarmte sie mich.

"Danke für alles, aber ich sollte jetzt nach Hause gehen"

"Oh, warum denn?", fragte ich.

"Naja, ich muss morgen wieder fit sein. Mein Job, du weißt schon", sagte sie und da fiel auch mir mein neuer Job ein, dessen Arbeitszeiten zum Schreien waren.

"Okay. Sehen wir uns bald wieder?", fragte ich sie.

"Natürlich. Spätestens dann, wenn dein Kühlschrank wieder leer ist!", lächelte sie, und ich lächelte zurück.

 

Schade, dass wir wegen unserer Jobs heute nicht weitergekommen waren, auf der anderen Seite hatten wir ja auch noch Zeit und nicht alle Mädchen legten so ein Tempo vor wie Susi und Rita.

Aber drei Tage später, am Samstag, kam Marlene nach ihrer Schicht zu mir, natürlich dann auch wieder in ihren Arbeitsklamotten. So langsam fragte ich mich, wie sie unter der zugegebenermaßen eng anliegenden Arbeitskluft so aussah. Meine Fantasie wurde ganz schön angeregt und deshalb flirtete ich auch wieder mit ihr.

Doch wieder musste ich ein wenig Tempo herausnehmen, denn Marlene kam auf die Idee, ein wenig Football zu spielen.

 

Na, was tat man nicht alles!

Hatte ich schon gesagt, dass ich eine ziemliche Niete im Sport war?

Ich musste schon richtig peilen, damit ich den Eierball so einigermaßen in die Richtung von Marlene werfen konnte.

 

"Das ist ja gar nicht so einfach, wie es aussieht!", musste ich zugeben.

"Naja, eigentlich ist es nur Übung", sagte sie. "Ich habe mal eine zeitlang in einem Verein gespielt. Dieser Ball ist noch ein Überbleibsel aus dieser Zeit".

Unnötig zu erwähnen, dass sie gewann.

"Komm`, wir trinken erstmal was!", sagte ich zu ihr und wir gingen ins Haus, wo wir uns beide erstmal bei einem kühlen Wasser erfrischten.

 

Ich zog allerdings noch mein Hemd aus. Schließlich war mir ja sehr warm geworden. Und es konnte ja nicht schaden, wenn Marlene mal einen Blick auf meine Oberarme werfen konnte.

"Lucas, ich muss zugeben, dass ich dich ganz schön mag", sagte sie dann auch zu mir. Was das reduzieren der Kleidungsstücke doch manchmal ausmachen konnte.

"Ich dich auch", sagte ich gewohnt. "Und es macht dir nichts aus, dass ich nicht gerade ein zweiter...", ich stockte, weil ich fieberhaft nach dem Namen eines berühmten Footballspielers suchte und mir natürlich keiner einfiel. Marlene grinste.

"Kein zweiter Drew Brees bist?"

"Wer?"

"Drew Brees, Quarterback der New Orleans Saints und damit amtierender Super Bowl Gewinner der NFL", bombadierte sie mich mit Worten, die ich wahrscheinlich nicht mal korrekt ausprechen konnte.

Aber ihre Sportlichkeit imponierte mir sehr. Und es wurde mir auch klar, woher sie diesen Körper hatte.

 

Ich küsste sie und überlegte dabei, ob dieses altersschwache Bett wohl uns beide aushalten würde. Dem traute ich es zu, in den wichtigsten Momenten schlicht zusammenzukrachen.

Im Laufe des Abends hatte es begonnen, leicht zu schneien. Marlene hatte diese Entwicklung mit besorgter Miene verfolgt und war nicht mehr ganz so locker gewesen. Da half es auch nicht, dass ich sie schon in die Nähe des Bettes geschoben hatte und sie dort leidenschaftlich küsste. Nur kurz darauf verabschiedete sie sich von mir und ging.

 

Hm. Das war irgendwie mehr Arbeit als gedacht.

Nur eine Woche später lag eine richtig dicke Schneedecke auf dem Boden, was meine Laune sofort in den Keller hievte. Schnee bedeutete Kälte und Kälte bedeutete dick vermummte Mädchen. Das war wirklich immer die schwierigste Jahreszeit, die man eigentlich nur überbrücken konnte, wenn man ins Schwimmbad fuhr.

 

Ich lud mir Geraldine ein, mit der ich mal Mitte der vergangenen Woche telefoniert hatte.

Geraldine zeigte mir ziemlich deutlich, dass sie auf mich stand. Das war ja schon bei unserem ersten Treffen gewesen.

Wir waren uns dann auch ziemlich schnell ohne Worte einig, wie dieser Mittag verlaufen könnte, und ich wurde nicht enttäuscht. Ich hatte dem Bett aber nicht getraut und so war der Fussboden unsere Spielwiese geworden. Zwar hart, aber immer noch besser als dieses quietschende Etwas.

 

Ich wusste immer noch nicht, ob sie damit Marlon betrogen hatte oder nicht, denn sie hatte kein Wort über ihn verloren.

Noch am gleichen Abend klingelte es noch spät an meiner Tür. Geraldine war schon lange gegangen und ich hatte mich schon hingelegt. Wer konnte das sein? Mark vielleicht? Auf dem Weg zu einer allumfassenden Entschuldigung?

Es war jedoch nicht Mark, sondern Marlene.

"Oh, Lucas, entschuldige bitte, ich wollte dich nicht wecken!", sagte sie sofort, als sie meinen Aufzug sah.

"Macht nichts, komm` rein", sagte ich und gab ihr den Weg in die Hütte frei. Marlene setzte sich auf die Couch und blickte ernst geradeaus. Ich setzte mich zu ihr.

"Kann ich etwas für dich tun? Ist etwas passiert?", wollte ich wissen. Marlene sagte zuerst nichts, doch dann begann sie:

"Es ist jedes Jahr das gleiche Theater. Und ich habe so langsam die Schnauze voll. Dieser Vermieter kümmert sich um nichts, dabei habe ich das Recht auf eine angenehm warme Wohnung". Hm, okay. Sie hatte wohl Ärger mit ihrem Vermieter, aber so ganz verstand ich noch nicht, worum es da ging.

"Und deine Wohnung ist nicht angenehm warm?", hakte ich nach.

"Nein, das ist sie nicht!", ereiferte sich Marlene. "Ich muss zu Hause mehrere Decken nehmen, damit ich überhaupt schlafen kann. Überall zieht es in die Wohnung, kein Fenster und keine Türe ist dicht. Und als i-Tüpfelchen fällt jeden zweiten Tag die Heizung aus! So wie auch heute". Oi, das hörte sich ziemlich... kalt an.

"Und jetzt bist du einfach mal in ein warmes Haus geflüchtet", sagte ich grinsend, weil ich sie aufheitern wollte.

Marlene erhob sich immer noch sehr ernst. Mein Witz schien nicht gerade angekommen zu sein.

"Ich halte diese Kälte nicht mehr aus, Lucas. Schon im Job muss ich oft in die Kühlräume, um irgendwelche Produkte zu holen, die Kunden bestellt haben. Aber dann auch noch zu Hause, dort, wo man es sich eigentlich gemütlich machen können sollte, auch noch zu frieren, das geht mir mehr und mehr auf den Geist".

Ich stand ebenfalls auf und nahm sie erstmal in den Arm.

"Ich kann dich gerne ein wenig wärmen", sagte ich leicht frivol und dachte daran, dass ich durchaus Mittel und Wege hätte, um ihr richtig einzuheizen.

Also entweder, ich hatte mich noch nicht deutlich genug ausgedrückt, oder sie stand wegen ihrer Sorgen auf dem Schlauch, aber sie ging in keinster Weise auf meine Worte ein. Schade eigentlich. Jetzt, da ich ja eh wieder wach war, hätte man die Zeit doch gut nutzen können.

"Der Winter hat noch nichtmal richtig begonnen und ich will schon nicht mehr. Das ist doch doof! Ich hatte gehofft, dass du mir irgendwie helfen könntest"

"Ähm, ja", sagte ich und überlegte fieberhaft. Wie sollte ich ihr denn helfen? Ich kannte mich weder in Heizungstechnik noch im Mieterwohnrecht aus. Mein Zimmer bei meiner Mutter stand zwar gerade leer, aber spätestens in 6 Wochen, wenn das alles hier vorbei war, würde Marlene ja wieder vor dem gleichen Problem stehen, außerdem würde meine Mutter die glatten Wände hochgehen, wenn ich ihr eine völlig fremde Frau ins Haus holte.

"Ich... ich weiß auch nicht recht", musste ich zugeben, weil ich keine Idee hatte, was man da machen konnte. Klar, ich wollte auch nicht, dass Marlene in ihrer Wohnung frierte, aber was für eine Alternative gab es denn schon?

"Lucas, kann ich hier bei dir schlafen? Ich meine, hier zieht es wenigstens nirgends rein und die Heizung scheint ja ebenfalls gut zu funktionieren", sagte Marlene plötzlich.

´Bei dir`? Mann, das war eindeutig das falsche Wort. ´Mit dir` wäre mir lieber gewesen, aber ich musste wohl einsehen, dass sie heute nicht in Stimmung war. Und sowieso, was meinte sie mit ´bei dir schlafen`? Marlene wollte doch wohl nicht allen ernstes mit ihren Siebensachen hier einziehen, bis ihre Wohnung wieder soweit bewohnbar war. Ich musste das genau wissen.

"Was meinst du denn mit bei mir schlafen? Hier gibt es doch nur ein Bett", fragte ich sie.

"Und eine Couch. Hauptsache, es ist warm. Glaube mir, Lucas, wenn du mal in so einer eisigen Wohnung gelebt hättest wüsstest du so eine kuschelige Couch sehr zu schätzen", meinte sie. Hatte sie schon vergessen, wie unbequem diese Couch war? Mein Hirn ratterte. Wenn Marlene nun hier einzog, war es vorbei mit der Freiheit und den Frauenbekanntschaften. Außerdem gefährdete es meinen Sieg bei meiner Wette. Was, wenn Mark von Marlenes Einzug erfuhr? Der würde das natürlich sofort so auslegen, dass ich tatsächlich nicht alleine zurecht kam und die Wette für sich als gewonnen erklären.

 

Das alles würde furchtbar kompliziert werden. Zum einen wegen der Sache mit Mark, zum anderen konnte ich neue Frauenbekanntschaften nicht mehr hierherbringen, denn ich schätzte, dass Marlene da wohl etwas säuerlich reagieren würde, wenn ich ständig Frauenbesuch hatte. 

 

Auf der anderen Seite wäre eine weitere Person im Haushalt nicht zu verachten. Marlene würde mir dann bestimmt beim Saubermachen helfen und ich konnte ein paar der wirklich unliebsamen Dinge an sie abdrücken, wie das Bad putzen etwa. Vorteil dabei: Ich hatte dann auch wieder mehr Zeit, irgendwo nette Mädchen kennenzulernen. Ich wägte noch einen Moment ab, bis ich sagte:

"Einverstanden. Du kannst gerne hier schlafen, bis das bei dir wieder alles gerichtet ist"

Zum Dank küsste mich Marlene stürmisch.

"Ich habe gewusst, dass du mich nicht hängen lässt!", sagte sie dankbar.

"Ehrensache!", sagte ich und lächelte sie an. Und überlegte schon, wo ich in Zukunft die Frauen daten könnte. Nun, da gab es genug Optionen, außerdem arbeitete Marlene ja auch, wo ich dann sozusagen sturmfrei hatte.

 

Ich hoffte nur, dass Mark nicht irgendwann unangemeldet vor der Tür stand! 

Mein erstes Date nach Marlenes Einzug hatte ich mit Geraldine. Wir fuhren ins Doc Brown, denn ich vermisste den Laden schon regelrecht. In den letzten Wochen war ich ja kaum mehr aus dem Haus gekommen!

Während wir Billiard spielten, begann Geraldine, von Mr. Dingdong Marlon, dem blonden Wanderfritzen, zu erzählen. Wollte ich das eigentlich so genau wissen? Hm, na gut, wenn sie sich dann besser fühlte...

"Gut, dass du heute angerufen hast, Lucas", sagte sie, woraufhin ich fragte:

"Du hast mich wohl schon so vermisst!", und grinste sie an.

"Das auch, aber Marlon wollte heute unbedingt mit mir ausgehen, und ich hatte einfach keine Lust dazu". Okay, das hörte sich nicht gerade nach großer Liebe an, also fragte ich:

"Und das wolltest du nicht?"

"Nee!", entrüstete sich Geraldine sofort. "Der Kerl klebt seit über einem halben Jahr an mir und versteht einfach nicht, dass ich nichts von ihm will!". Jetzt wurde mir so einiges klar.

"Es ist doch nur zu verständlich, dass dir ein Mann hinterherläuft", sagte ich und zwinkerte ihr zu. Sie lächelte mich an und sagte nichts weiter.

Später wurde es dann kuscheliger und ich wäre gerne mit ihr einfach zu mir gefahren, um das noch ein wenig auszuweiten. Doch dort saß jetzt Marlene und wäre sicher hocherfreut, wenn ich hier mit Geraldine aufkreuzen würde.

"Können wir noch zu dir?", fragte ich deshalb und kraulte ihren Nacken.

"Och, du wohnst allein, da wäre es doch besser, zu dir zu fahren. Ich wohne ja noch bei meinen Eltern, und vor allem mein Vater ist ein regelrechter Spürhund". Ich seufzte innerlich auf. Verdammt! Was sagte ich jetzt nur? War Marlene überhaupt zu Hause? Sollte ich mal anrufen und schauen, ob sie abhob? Ja, und wenn sie dann abhob? Was sollte ich dann bitte sagen???

"Du, äh...", stammelte ich unbeholfen. Was sagte ich jetzt zu Geraldine? "Bei mir geht nicht, da sind die Handwerker. Irgendetwas ist an der Wasserleitung. Da müssen wir uns wohl etwas anderes einfallen lassen". So hatte ich mir das auch nicht vorgestellt!

"Oh, okay", sagte Geraldine und überlegte kurz. Dann meinte sie:

"Du musst mir versprechen, total leise zu sein, ja? Wir schleichen uns in mein Zimmer, und dann: Kein Krach! Meine Mutter hat einen total leichten Schlaf, die hört alles!". In mir kribbelte es. Das war doch aufregend!

"Okay, kein Thema! Ich passe auf!", sagte ich und wir fuhren zu Geraldine.

Geraldine verabschiedete mich dann noch vor dem Morgengrauen, damit ich noch im Schutz der Dunkelheit verschwinden konnte. Ich kam mir zwar ein wenig wie ein Verbrecher vor, aber auch irgendwie verrucht.

 

Zu Hause, wenn man das so nennen konnte, schlief Marlene natürlich noch tief und fest, und so legte ich mich auf die Designercouch, um meinen wohlverdienten Schlaf zu bekommen.

Der Winter hatte uns inzwischen voll im Griff und ich machte mir ernsthaft Sorgen, ob dieses alte Dach diese Schneemassen überhaupt aushalten konnte. Bei jedem Knirschen zuckte ich zusammen und sah sofort nach, ob noch alles intakt war. Einmal sagte ich scherzend zu Marlene, dass ich hoffte, dass sie nicht vom Regen in die Traufe gekommen war, wenn plötzlich eine Schneedecke auf ihr liegen würde. Daraufhin hatte sie mich nur geknufft.

Aber etwas Gutes konnte ich verzeichnen: Ich fand eine neue Stelle. Nachts zu arbeiten lag mir einfach nicht, mein ganzer Biorhythmus war durcheinandergekommen. Ich hatte schon befürchtet, dass sich das Zeitungsabo überhaupt nicht gelohnt hatte, doch dann entdeckte ich die Anzeige einer ortsansässigen Partei, die Wahlkampfhelfer für den anstehenden Wahlkampf suchte. Charismatisch sollten die Bewerber sein, da man ja viel mit Leuten zu tun hatte. Na, wenn nicht ich charismatisch war, wer dann? Die Arbeitszeiten waren viel humaner, außerdem war es doch etwas anderes, einem Date sagen zu können, dass man in der Politik arbeitete, wie wenn man sagen musste, seinen Lohn als Wachmann zu verdienen. Ich konnte ja verschweigen, dass ich nur ein Wahlkampfhelfer war.

 

Mein Vorstellungsgespräch verlief dann auch ganz gut und man gab mir die Chance. Ab jetzt musste ich einen Anzug bei der Arbeit tragen. Hm, soetwas besaß ich nichtmal.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als einen Anzug zu kaufen. Deshalb fuhr ich in die Stadt, denn dort hatte ein neuer Klamottenladen aufgemacht.

 

Beim Durchsehen stellte ich allerdings fest, dass die Preise hier ganz schön gepfeffert waren. Eigentlich wollte ich ja nur einen Anzug kaufen und nicht gleich den ganzen Laden.

Um mich herum wuselte eine Frau im mittleren Alter, die immer mal wieder solche Dinge murmelte wie:

"Wer soll das bezahlen?", "Viel zu teuer", "Das gibt es doch nicht", "Wie soll ich hier etwas finden?". Aha, eine Seelenverwandte.

Sie schien recht verstört zu sein, deshalb sprach ich sie einfach mal an.

"Entschuldigung, ich habe sie gerade zufällig gehört...", begann ich, woraufhin die Frau ziemlich erschrocken zu mir blickte. Irgendwie erschien sie mir sehr gehetzt und verzweifelt zu sein. Ich hatte ihre Worte noch gut im Ohr und fragte mich, was für Probleme sie hatte.

"Geht es ihnen auch so, dass sie in diesem Laden nichts finden?", fragte ich dann verständnisvoll lächelnd.

"Ja, leider", sagte sie. "Dabei sind die Kinder in der letzten Zeit soviel gewachsen". Kinder. Ich schielte auf ihre Hand und sah den Ehering blitzen. Okay Lucas, mach`, dass du Land gewinnst, denn davon hast du wirklich keine Ahnung!

"Oh, das ist natürlich dumm", sagte ich. "Und man sollte ja meinen, dass es in diesem Laden hier etwas geben müsste. Ist doch eine neue Filiale hier!", munterte ich sie auf. Nun lächelte sie zum ersten Mal.

"Ja, das habe ich auch gedacht. Naja. Muss ich eben wieder... wo anders einkaufen gehen", sagte sie stockend.

"Ich auch. So schnell werden die mich hier nicht mehr sehen". Nun lächelte die Dame offen und streckte mir ihre Hand entgegen.

"Gerda Kappe", stellte sie sich vor.

"Lucas Schiller", tat ich es ihr gleich. Ihre Hand war rau und fühlte sich leicht wie Sandpapier an.

"Freut mich", sagte Gerda. "Sonst hat man immer das Gefühl, dass sich alle Welt diese Markenkleider kaufen kann"

"Keine Sorge, ich werde hier heute ebenfalls unverrichteter Dinge wieder rausmarschieren!", sagte ich grinsend. "Also dann, machen sie es gut. Und viel Glück bei der Kleidersuche"

"Ja, danke. Ihnen auch". Damit drehte sie sich um und ging. Und auch ich hatte von diesem Laden die Nase voll und verschwand, um in einem anderen Laden einen Anzug zu kaufen.

Etwa eine Woche später war ich ganz schön kaputt und schlief sogar über der Essensschüssel ein. Der neue Job kostete ganz schön Kraft, weil es ja nun eine ganz andere Tätigkeit war als beim vorigen Job als Wachmann. Dann dieses unerträgliche Bett und auch das Sofa, auf dem es sich noch weniger schlafen ließ, gaben mir den Rest.

 

Ich hatte Mark letztes Wochenende in der Disco getroffen und tat alles, um einen Kontakt von ihm mit Marlene zu vermeiden. Doch er war misstrauisch geworden und wollte sich einmal ein Bild davon machen, wie ich mich so durchschlug. Da er ähnliche Arbeitszeiten wie Marlene hatte, wurde es schwierig, ihm einen geeigneten Tag nennen zu können, wann er seinen Kontrollbesuch abhalten konnte. Die zwei sollten sich nicht gerade über den Weg laufen. Marlene brauchte nicht zu wissen, warum ich hier überhaupt wohnte, und Mark ging es nichts an, dass mir Marlene im Haushalt zur Hand ging. Obwohl ja in der Wette nur von meiner Mutter die Rede gewesen war, er würde sich das schon irgendwie so hindrehen, dass er gewann.

Bei der Arbeit lernte ich einen netten Typen kennen, mit dem man auch mal herumblödeln konnte. Benjamin Lang hieß er, und er war, genau wie ich, für diesen Wahlkampf eingestellt worden. Nun stapften wir oft zu zweit herum, um Wahlkampfzettel zu verteilen, Werbepins zu verschenken oder bei Passanten Umfragen zu machen.

Benjamin besuchte uns auch mal zu Hause, obwohl er für Marlene recht ungelegen kam, weil sie sich für einen Mittagsschlaf etwas hingelegt hatte. Benjamin war dann so nett und wartete draußen, bis sie wieder umgezogen war.

 

Dieser Job machte mir wirklich mehr Spass als die Stelle als Wachmann, was natürlich auch an so netten Kollegen wie Benjamin lag.

Nicht so lustig war, dass in dieser Hütte immer mal wieder etwas kaputt ging. Ab und an versuchte ich sogar, selbst Hand anzulegen, denn diese Handwerker kosteten eine Menge Geld.

 

Aber ein solcher war offenbar nicht an mir verloren gegangen, so viel stand fest. Ich mühte mich, ich hämmerte auf diesen blöden Duschkopf ein, aber nichts geschah. So blieb am Ende doch wieder nur der professionelle Handwerker, der allein dafür bezahlt werden wollte, dass er hierher fuhr. Anfahrtspauschale! Also bitte! 

Gott sei Dank war Marlene wirklich eine große Hilfe, die ohne zu murren saubermachte. Dafür war ich ihr auch wirklich dankbar.

Dafür verwöhnte ich sie aber an anderer Stelle auch ganz besonders.

Ich wusste, dass auch ihr Job hart war. Zu ihrem Lieferantenjob arbeitete sie nämlich noch aushilfsweise an einer Tankstelle. Ich hatte sie mal gefragt, warum sie das tat, und sie hatte gemeint, dass sie irgendwann einmal etwas Eigenes wollte und dafür schon sparte. Ich konnte nicht verstehen, wie man sich für etwas, das so weit in der Zukunft lag, so die Beine ausreißen sollte, aber ich bewunderte sie dafür, wie sie das alles unter einen Hut bekam.

Denn kochen konnte sie auch fantastisch. Sie kam sogar schon fast an die Kochkünste meiner Mutter ran, und das war wirklich schwer.

"Mensch Marlene! Hummer?!", fragte ich begeistert, als sie eines Abends dieses sündhaft teure Gericht vor meine Nase setzte.

"Naja", sagte sie und setzte sich zu mir. "Das wird hier sozusagen ein Bestechungsessen, da musste ich schon andere Geschütze ausfahren".

"Ohoh, jetzt kommt`s. Was hast du angestellt?", grinste ich. Marlene druckste herum.

"Weißt du, es ist so: Dein Häuschen ist zwar klein, aber wir haben uns hier doch super zusammengerauft, oder?", fragte sie mich. Hm, was wollte sie mit dieser Frage und diesem Augenaufschlag erreichen?

"Ja, das stimmt", sagte ich und nun wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, ihr zu sagen, dass das nicht mein Haus war. Doch ich hielt den Mund, einfach weil ich zu neugierig war, was sie sagen wollte.

"Du und ich mögen uns ja auch, oder?", fragte sie weiter. Also irgendetwas war da im Busch.

"Auch das kann ich bejahen", sagte ich und zwinkerte.

"Dann würde es dir nichts ausmachen, wenn ich richtig zu dir hierherziehe? So müsste ich nicht mehr in diese schreckliche Wohnung zurück und wir könnten uns alle Kosten teilen, so wie wir das ja jetzt schon machen". Klingelingeling! Sämtliche Alarmglocken fingen gleichzeitig an, schrill zu läuten. Sie wollte hier richtig einziehen? Mit allem drum und dran? In ein Haus, das mir gar nicht gehörte! Was sagte ich jetzt nur?

"Ich lege mal die Reste vom Hummer in den Kühlschrank, nicht das das teure Essen noch schlecht wird", stammelte ich und ging in die kleine Küche, wo ich erstmal tief durchatmete. Das war nicht gut, gar nicht gut. Wie sollte ich ihr jetzt reinen Wein einschenken? Nachdem sie mir schon so vertraute. Aber der Zeitpunkt war gekommen, ihr zu sagen, dass mir dieses Haus nicht gehörte. Sie würde es schon verstehen, oder? Oder etwa nicht? In meine Grübeleien sagte sie plötzlich:

"Lucas?". Ich fuhr herum.

"Ja?"

"Tut mir leid", sagte sie nur und sah an mir vorbei. "Da bin ich wohl mit der Tür ins Haus gefallen". Ich atmete tief ein und aus.

"Marlene, das ist es nicht..."

"Du kannst dir nicht vorstellen, mit mir zusammenzuleben", sagte sie traurig.

"Nein, das ist es auch nicht!", sagte ich.

Und dann klingelte das Telefon. Mir fiel ein Stein vom Herzen und sprintete an den altersschwachen Apparat. Egal wer das war, er hatte mir gerade das Leben gerettet.

 

Es war Mark.

 

"Hey, Schwerenöter!", sagte er und ich sah ihn förmlich grinsen. "Alles klar bei dir? Wie lebt es sich in unserem Palast?"

"Gut, alles bestens", sagte ich gezwungen beschwingt.

"Davon möchte ich mich endlich mal selbst überzeugen. Ich muss doch sehen, ob du schon auf einer Müllhalde lebst oder nicht. Immerhin haben wir Halbzeit", sagte er. Mir war klar, dass ich ihn nicht mehr länger vertrösten konnte.

"Na schön, mache einen Terminvorschlag. Wochenende wäre gut, da muss ich nicht arbeiten"

"Eigentlich sollte ich ja unangemeldet kommen, damit du keine Zeit mehr hast, klar Schiff zu machen", sagte er noch.

"Du könntest jetzt noch kommen, hier ist alles piccobello", sagte ich mutig.

"Hätte ich nachher nicht noch eine Verabredung, würde ich das glatt machen".

"Wie, du hast eine Verabredung? Erzähle! Ist es diese blonde Frau, mit der du vor einiger Zeit im Doc Browns geredet hast?". Über die Dame wollte ich ihn ja sowieso noch aushorchen. Doch Mark stutzte.

"Wen meinst du?"

"Na, an dem Abend, als wir diese...", verfluchte!, "Wette vereinbart haben, hast du mal mit einer blonden, kurzhaarigen Frau geredet. Ich hatte das Gefühl, sie mal gesehen zu haben, bin aber nicht drauf gekommen. Ich wollte dich schon an dem Abend fragen, ob du an ihr interessiert bist".

"Ach, du meinst die Johanna Keppler!", sagte Mark. Johanna Keppler? Nie gehört. "Du müsstest sie doch auch kennen, sie ging mit uns zur Schule, war eine Klasse unter uns". Tatsächlich? Eigentlich war dieser Jahrgang mein Jagdrevier, aber an diese Johanna Keppler konnte ich mich nicht erinnern. Obwohl, wenn sie schon immer so kurze Haare gehabt hatte, war sie mir wahrscheinlich einfach nicht aufgefallen.

"Sorry, ich kann mich gerade nicht erinnern", sagte ich zu ihm.

"Klar, bei deinem Verschleiß...", sagte Mark ziemlich angesäuert. Was hatte er nur in letzter Zeit? War er etwa neidisch? Ich sah zu Marlene, die auf der Couch saß und in einer Zeitung blätterte. Natürlich bekam sie jedes Wort mit, was hier gesprochen wurde.

"Also, was ist jetzt? Kommst du am Sonntag oder nicht?", fragte ich dann ebenfalls launisch. So langsam ging mir das echt auf den Zeiger. Er kannte mich doch, warum störte ihn im Moment alles?

"Ja, wahrscheinlich. Schließlich gebe ich nicht zwei Partys, ohne mich davor genau vergewissert zu haben, dass das auch alles mit rechten Dingen zugegangen ist"

"Dein Vertrauen in mich ist ja umwerfend", sagte ich sarkastisch.

"Nicht wahr? Deine Art, mit Frauen umzugehen, aber auch". Da! Schon wieder so eine Spitze!

"Darüber sollten wir noch sprechen", antwortete ich.

"Wie du meinst", sagte Mark und wir legten auf.

Nach dem Telefonat blickte Marlene auf. Stimmt, da wartete ja das nächste Problem. Ich sah sie an und überlegte, was ich ihr sagen sollte, als sie begann:

"Das Telefonat... du verheimlichst mir etwas", sagte sie frei heraus.

"Wie kommst du darauf?", fragte ich sie.

"Also ist es wohl so, sonst hättest du jetzt nein gesagt". Hm, interessante Theorie. Musste ich mir merken. Aber es blieb mir nichts anderes übrig, als ihr die Wahrheit zu sagen.

"Marlene, dieses Haus hier...", ich machte nochmal eine kurze Pause, "dieses Haus...". Herrje, ich konnte es nicht sagen! Ich war feige, ich gab es zu, aber ich redete mich heraus:

"Es ist zu klein für uns. So für immer. Aber ich kann mir kein Neues leisten".

"Du hast recht, es ist sehr klein", sagte Marlene. "Aber ich habe mir schon ein bißchen was angespart, vielleicht könnten wir ein Zimmer anbauen oder so. Dann müsste es doch gehen? Und billiger als neu zu kaufen oder zu bauen ist es allemal". Nun war ich kurz sprachlos.

"Du würdest dein sauer zusammengespartes Geld in dieses Haus hier stecken?", fragte ich fassungslos.

"Naja", sagte sie. "Solange ich bei dir bin..."

"Das möchte ich nicht!", sagte ich lauter, als ich beabsichtigt hatte. Schon allein der Gedanke, dass sich Marlene mit so einer Investition richtig fest an mich binden würde, schnürte mir die Kehle zu. Zumal wir ja schlecht an einem Haus rumwerkeln konnten, dass uns nicht gehörte. Doch das wusste Marlene ja nicht, und deshalb sah sie mich jetzt zutiefst verletzt an.

"Ich verstehe", sagte sie dann nur und stapfte ohne Jacke hinaus in die Kälte.

 

Und ich stand da und wusste nichtmal mehr, was ich denken sollte.

 

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