Übergangsteil: Johannas Geschichte

Etwa zwei Jahre früher

Hier war ich nun. In meinem Hotelzimmer in San Cristóbal de la Laguna auf Teneriffa. Es war ein unglaubliches Glück, dass ich das Projekt hier nun doch noch unterstützen durfte.

 

Endlich Abstand, und ich hoffte, dass es mir helfen würde, wieder einen klareren Kopf zu bekommen. Ich wollte mich hier in die Arbeit, in dieses Projekt stürzen. Damit und mit Hilfe der südlichen Sonne hätte ich vielleicht die Chance, wieder nach vorne blicken zu können, um mein Leben zu planen. Denn planen musste ich in Zukunft viel, soviel stand fest. Ich würde schließlich in einem halben Jahr Mutter sein, eine alleinerziehende Mutter...

Gott Johanna, reiß dich zusammen. Du gehst immerhin gleich ins Büro, dein erster Arbeitstag hier, rief ich mich selbst zur Ruhe. Ich seufzte auf, hielt meine Hände unter den Wasserhahn und kühlte mit meinen nun kalten Händen meine Augen, damit die aufsteigende Schwellung, die mit den Tränen kommen wollte, sofort wieder verschwand. Ich warf meinem Spiegelbild ein schiefes Grinsen zu, dass natürlich misslang, aber zumindest sah man mir nun nicht mehr an, dass ich kurz davor gewesen war, zu weinen. Ich ging im Kopf noch mal die Begrüßung auf englisch durch, die ich mir schon im Flugzeug für meine spanischen Kollegen zurechtgelegt hatte, und kämpfte die Nervosität nieder. Wie gut, dass mit Gregor wenigstens ein bekanntes Gesicht hier war.

In dem Architektenbüro, in dem ich in den nächsten zehn bis zwölf Wochen das Team unterstützen würde, sah ich meinen Kollegen Gregor Benning schon bald. Er saß am Computer, bemerkte mich aber schnell.

"Johanna, wie schön, dass du hier bist!", freute er sich und begrüßte mich. "War deine Anreise gut?"

"Ja, danke", sagte ich und sah mich in dem Büro um. Gregor folgte meinem Blick.

"Und? Gefällt es dir? Hier wirst du in der nächsten Zeit arbeiten, dein Schreibtisch ist hier auf der linken Seite".

"Ich denke, hier kann man gut arbeiten", stellte ich lächelnd fest. Vor den Fenstern sah man Palmen, das Meer war auch nicht weit weg, und obwohl es nicht sein konnte bildete ich mir sogar ein, das Wellenrauschen zu hören.

"Deine neuen Kollegen sitzen gerade in einer Besprechung, ich werde sie dir nachher vorstellen"

"Alles klar. Dann brauche ich jetzt nur noch Papier, Zeichenplatte und Graphitstifte", sagte ich zu Gregor. "Und vielleicht noch einen klitzekleinen Blick in die Planungspapiere".

"Gar keine schlechte Idee", grinste Gregor. "Hier drüben steht ein kleines Modell eines der Bungalows des Hotels".

Wir gingen zu dem kleinen Modell, und Gregor erklärte mir, dass die zweistöckigen Bungalows jeweils einen kleinen Pool bekommen sollten.

"Deine Aufgabe ist es nun, die Innenaufteilung zu machen, außerdem zu überlegen, wieviele der Bungalows auf dem Grundstück untergebracht werden können. Dem Bauherr schweben 25 vor, aber das wird knapp werden, denke ich. Aber das überlasse ich mal ganz deinem Können".

"Danke. Wo ist der Grundstücksplan?"

"Auf meinem Schreibtisch, das ist der rechts neben dem großen Fenster. Ich werde dir zeigen, wo ich das Haupthaus des Hotels geplant habe, an dem sitze ich gerade".

 

Wir besahen uns den Plan, besprachen Einzelheiten, und in meinem Kopf entstanden schon während des Sprechens Bilder. Die Anlage würde eine Familienclubanlage werden, wie es sie schon in allen Teilen der Welt gab, wir mussten Animationsplätze für Erwachsene und Kinder berücksichtigen, Pools und sonstige Anlagen so kindgerecht gestalten, wie es nur ging. Und dann setzte ich mich hin und begann zu arbeiten.

Am Ende dieses ersten Tages lud mich Gregor noch auf eine kleine Erfrischung ein. Als Willkommensgruß, wie er sagte. Er führte mich zu einem kleinen Cafe am Meer, und ich sog die salzige Luft ein.

"Und wie fandest du nun deinen ersten Arbeitstag hier auf dieser wunderschönen Insel?", fragte mich Gregor.

"Sehr gut", antwortete ich ehrlich.

"Dann bereust du es nicht, hierhergekommen zu sein?", hakte er nach.

"Überhaupt nicht", seufzte ich auf.

"Du hast Glück, dass Lucas das unterstützt. Viele Partner sehen das nicht so locker. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut", sagte er geradeheraus, und ich hatte das Gefühl, als würde mir alles Blut in die Füße schwappen. Natürlich, Gregor hatte noch gar keine Ahnung davon, dass sich Lucas von mir getrennt hatte. Er war oft unterwegs, weil er inzwischen ein erfahrener Architekt für Hotels, Clubs und Pensionen war, was sich zwischenzeitlich schon herumgesprochen hatte. Vor diesem Auftrag hier war er in Ägypten gewesen.

"Johanna? Ist dir nicht gut? Du bist so blass geworden! Kipp mir jetzt ja nicht aus den Latschen, hörst du?", sagte er besorgt.

"Nein, alles... alles in Ordnung", stammelte ich und versuchte mich zu sammeln. Das war jetzt so plötzlich gekommen, ein kleiner Schock, dass hier jemand vor mir saß, der noch dachte, dass Lucas und ich ein Paar waren.

"Gregor... Lucas und ich sind nicht mehr zusammen. Es wäre gut, wenn du seinen Namen nicht so oft erwähnen würdest", erklärte ich ihm stockend.

"Oooh...", machte Gregor, "Alles klar. Es tut mir leid, dass ich da in was gewühlt habe. Und ich werde den Kerl nicht mehr erwähnen, ich weiß eh nicht, was du an dem gefunden hast". In diesem Moment kam unsere Bestellung an den Tisch, und ich nahm sofort einen kräftigen Schluck von meinem Wasser. Lucas und Gregor waren sich nie grün gewesen, das war schon so, als wir noch zusammengewesen waren. Wenn die beiden am selben Ort waren, wechselten kleine und auch größere Sticheleien hin und her. Lucas hielt Gregor für einen sonnengebräunten Angeber, der sich für was besseres hielt, während Gregor in Lucas einen Looser sah, weil dieser noch in einem Alter studierte, in dem Gregor bereits begonnen hatte, an seiner Karriere zu feilen. Er war nur zwei Jahre älter als Lucas. Natürlich wusste Gregor, dass Lucas einfach später mit dem Studium angefangen hatte, aber das ließ er nicht gelten. Für Gregor schien es keine Frage zu sein, dass ich Lucas verlassen hatte und nicht umgekehrt. Mein Blick schweifte zu den Wellen, den weißen Schaumkronen und den Felsen, wo sich die Wellen gurgelnd brachen.

 

Ich lenkte das Gespräch dann wieder auf unser Projekt hier. Es war wirklich an der Zeit, dass diese Wunde zu heilen begann.

Viel später, es war schon dunkel geworden, setzte ich mich an den Strand von unserem Hotel und blickte einfach auf das Meer hinaus. Ich war ganz schön kaputt. Ich hatte in den letzten Tagen und Wochen nicht gerade viel Nahrung bei mir behalten, weshalb ich eher Gewicht verloren denn bekommen hatte. Ich legte meine Hand sachte auf meinen noch flachen Bauch.

"Na mein kleines Knöpfchen?", fragte ich leise und stellte mir mein Kind vor, wie es jetzt im Fruchtwasser schwamm. Vom letzten Ultraschall, den ich noch vor fünf Tagen gehabt hatte, wusste ich, dass dieser winzige Mensch schon fast komplett ausgebildet war. Nun musste er nur noch wachsen. Wir beide werden das schon irgendwie schaffen, nicht wahr?, hielt ich Zwiesprache mit meinem Kind. Andere schaffen das ja schließlich auch!

 

Natürlich würde es schwer werden. Mein Chef erwartete schon fast, dass ich nach dem Mutterschutz so früh es ging wieder ins Büro kam. Er konnte sich über mangelnde Aufträge wahrlich nicht beklagen, was mit ein Grund gewesen war, dass ich den Job nach dem Studium so schnell bekommen hatte. Er hatte mich ja durch das Praktikum schon gekannt. Das Problem war, dass ich mich dann schnell um eine Kinderbetreuung kümmern musste. Meine Eltern fielen weg, weil beide selbst berufstätig waren. Meine Schwester hatte mit Julian, ihrem Sohn, schon genug zu tun, und arbeitete selbst wieder 15 Stunden in der Woche in der alten Firma. So schwer es mir fiel, aber es würde wohl eine Fremdbetreuung werden, und die musste zuerst gefunden werden.

 

Aber das war ja leider noch nicht alles. Zu dem Betreuungsproblem kam noch das Wohnungsproblem hinzu. Ich musste mir eine eigene Wohnung suchen. Eigentlich gab es in Two Lake City ausreichend Wohnraum, aber welcher Vermieter gab denn schon einer schwangeren, alleinstehenden Frau freudestrahlend einen Mietvertrag? Es würde schwer werden. Gut, ich konnte übergangsweise natürlich bei meinen Eltern leben, aber eine Dauerlösung war das auf keinen Fall. Schon allein wegen des Platzes, meine Eltern müssten ziemlich umräumen, und dann wäre es trotzdem noch eng mit einem kleinen Kind. Und wenn ich an Mutters Gekeife, ihre Schimpftiraden auf Lucas dachte, verging mir eh alles.

Trotz allem, trotz dieser Probleme, die da noch auf mich zukommen würden, gab es da auch diese Ecke, die sich freute. Wahnsinnig auf dieses Kind freute, welches so ungeplant entstanden war. Es war für mich keine Frage gewesen, irgendwann mal selbst Kinder zu haben. Ich wollte nur zuerst noch beruflich was erreichen, Erfahrung sammeln. Und Lucas hatte noch studiert, die Familienplanung hatten wir wahrhaftig noch nicht in Angriff genommen. Wir hatten nicht einmal darüber gesprochen. Kein einziges Mal, irgendwie war ich davon ausgegangen, dass auch Lucas mal Kinder haben wollte, denn er konnte so wunderbar mit meinem Neffen spielen. Und dann, als ich dann schwanger war, war ich mir dessen plötzlich überhaupt nicht mehr sicher gewesen. Ich war zu feige, es ihm zu sagen, dumm dazu, denn wie lange hätte ich das bitte verbergen können? Und dann hatte er Schluss gemacht, ohne zu wissen, dass er Vater wurde...

 

Wieder streichelte ich über meinen Bauch.

"Da hast du dir ja schöne Eltern ausgesucht, armes Knöpfchen...", flüsterte ich, und wischte mir über meine Augen, aus denen gerade schon wieder Tränen kommen wollten.

Nachdem ich nun schon zwei Wochen hier auf der Insel war, war die letzte Nacht die erste gewesen, in der ich gut geschlafen hatte. Da ich mir wegen der morgendlichen Schwangerschaftsübelkeit angewöhnt hatte, morgens nach dem Aufwachen nicht sofort aufzustehen, sondern noch kurz liegen zu bleiben und eine Kleinigkeit zu essen, griff ich auch jetzt zu einem Buch und der Packung Butterkekse, die neben dem Bett lagen, obwohl es mir nun schon seit einer Woche recht gut ging. Mein Radiowecker spielte einen alten Madonna-Song, nämlich "Take A Bow". Eigentlich ein schöner Song, aber jetzt, in dieser Situation, war es kaum zu ertragen und ich machte den Wecker ganz aus. 

Notenbild ist verlinkt und führt zu einem Video.

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Allerdings legte ich das Buch nach zwei Seiten wieder zur Seite. Was hatte ich mir dabei gedacht, einen Liebesroman zu lesen?

 

Das war einer der Momente, an denen ich mir sagen sollte: "Liebe? Die kann mich mal!". Aber ich sagte es mir nicht, es ging einfach nicht.

 

Immer noch nicht.

 

Ganz im Gegenteil sogar stand ich langsam auf, ging zu meinem Zimmersafe und holte das goldene Schmuckstück heraus, das ich darin deponiert hatte. Ich tappte wieder zu meinem Bett und öffnete etwas zögerlich den kleinen, seitlichen Verschluss, und die Klappe des alten Medaillons schnappte auf.

Sachte strich ich mit meinem Zeigefinger über Lucas` Gesicht. Nein, man konnte wirklich nicht behaupten, dass ich über ihn hinweg war. Aber das war auch nicht leicht, denn schließlich gehörte das Gefühl für Lucas schon so lange zu meinem Leben dazu, es gehörte zu mir, und in dem Moment, wenn ich es begrub, fehlte auch ein Teil von mir. Wer oder was sollte diese Lücke füllen?

"Warum hast du mir das angetan?", flüsterte ich dem Bild von ihm zu und dachte wie so oft an diesen verhängnisvollen Nachmittag, an dem er praktisch aus heiterem Himmel mit mir Schluss gemacht hatte. Mir klangen seine Worte immer noch nach. Wie er gesagt hatte, dass er wollte, dass ich glücklich war. Dann wie ich versucht hatte, ihm zu erklären, dass ich das nur mit ihm sein konnte. Und dann, wie mit einem Hammerschlag auf den Kopf: "Johanna, ich liebe dich nicht mehr".

 

Schon allein bei dem Gedanken zog sich mein Magen zusammen. Wann, in Gottes Namen, hatte er aufgehört mich zu lieben? Und vor allem, warum? Ich hatte die Anzeichen übersehen. War mit mir und der überraschenden Schwangerschaft beschäftigt gewesen, hatte gerade am Anfang furchtbar unter der Hormonumstellung gelitten und war deshalb immer wieder wegen Nichtigkeiten in Tränen ausgebrochen. Wie auch an diesem Nachmittag. Ich hatte mir so fest vorgenommen gehabt, dass ich Lucas endlich gestand, dass er Vater wurde. Hatte mich über mich selbst geärgert, weil ich meinem Chef von der Schwangerschaft noch vor Lucas erzählt hatte, was aber nicht anders gegangen war, weil er mich für ein Projekt vorgesehen hatte, dessen Beginn um den Geburtstermin des Kindes gelegen hatte. Dieses Gespräch hatte an eben diesem Tag stattgefunden, und ich war eh schon sehr labil gewesen. Als sich dann auch noch herausstellte, dass sich hinter Toni eine bildhübsche Mitstudentin von Lucas entpuppte, hatte ich einfach heulen müssen, und diese Tränen hatten Lucas dann wohl zu dem Schluss kommen lassen, dass er sich von mir trennen müsse.

Natürlich war das nur eine Ausrede gewesen. Denn er hatte ja gesagt, dass er mich nicht mehr liebte, das war natürlich der wahre Grund für die Trennung gewesen. Er hatte also auch bei mir einen Grund gefunden, die Bindung zu beenden, wie schon so oft davor. Ich hatte mir zwar eingebildet, dass das mit uns etwas Besonderes gewesen war, aber das hatten meine Vorgängerinnen sicher auch und waren, wie ich, enttäuscht worden.

 

Ich klappte das Medaillon wieder zu und betrachtete es. Lucas hatte es mir zu Weihnachten geschenkt. Das Medaillon seiner Großmutter väterlicherseits. Ein Schiller-Familienerbstück, das er nach der Trennung nicht mehr zurückhaben wollte. "Gebe darauf acht", hatte er nur gesagt. Wie könnte ich nicht auf dieses Medaillon achtgeben?

 

Es war natürlich für das drüber hinwegkommen nicht gerade förderlich, wenn ich das Medaillon und seinen Inhalt immer wieder betrachtete. Aber immerhin hatte es den Weg schon von meinem Hals in die Handtasche und dann schließlich in diesen Safe geschafft. Und ich hoffte, dass ich so, wie ich mich von diesem Medaillon immer mehr trennen konnte, es auch schaffte, mich von Lucas zu lösen.

Lucas. Der Teil meiner Gedanken seit meinem 16. Lebensjahr war. Anfangs wurde er von mir nicht beachtet, er gehörte einfach zu einer der Klassen über mir. Lange hatte ich mich auch gar nicht für das andere Geschlecht interessiert, war eher ein Spätzünder gewesen. Ich war zufrieden gewesen, wenn ich ein gutes Buch lesen oder mit dem Zeichenstift ein Bild auf weißes Papier zaubern konnte.

 

Irgendwann hatte die eingebildete, und leider auch sehr begehrte Nina aus meiner Klasse einen neuen Freund gehabt. Und das war Lucas gewesen. Man sah die beiden in den Pausen zusammen herumhängen, und ich fragte mich, weshalb es immer noch Jungs gab, die auf diese eingebildete Ziege hereinfielen. Weshalb Lucas in meiner Gunst zuerst auch eher in Kellerregionen abgerutscht war. Und Nina war leider kein Mädchen, das ihre Gefühle für sich behalten konnte. Nein, sie schwärmte in der Klasse von ihrem tollen Freund, von seinen atemberaubenden Küssen, und machte das eine oder andere Mädchen damit ziemlich neidisch. Wir waren damals in einem Alter, in dem uns die Pupertät und die Hormone voll im Griff hatten. Nur mich ließ das Geschwätz von Nina ziemlich kalt. Denn bei Nina war immer alles toll, sie prahlte ständig, und ich schaltete bei ihren Schwärmereien irgendwann einfach auf Durchzug. 

Ich wurde dann allerdings an dem Tag hellhörig, als Nina mit verheulten Augen nach der großen Pause zurück in die Klasse kam.

Es war unfassbar: Lucas hatte mit ihr Schluss gemacht. Damit war er der erste Junge, der Nina sitzen gelassen hatte.

 

Und damit hatte er dann meine Aufmerksamkeit errungen.

Gleich am nächsten Tag konnte ich einen Blick auf ihn erhaschen, auf dem Schulflur. Er stand, wie meistens, mit seinem Kumpel Mark da. Mark Jones, der für mich ein wunderbarer platonischer Freund werden würde. Die beiden quatschten miteinander, und ich konnte mir den schwarzhaarigen Jungen mit seinen hellblauen Augen in Ruhe betrachten.

Und dieser Junge, der Nina sitzen gelassen hatte, stahl sich ab diesem Moment langsam, dafür unauslöschlich in mein Herz.

Zuerst war es sein Lächeln, seine Augen. Das Interesse wuchs, ich erfuhr immer mehr von ihm. Und gleichzeitig mochte ich ihn immer mehr, es war nicht aufzuhalten. Hielt es für Schicksal, dass er ebenso gern zeichnete wie ich, liebte es, seine Stimme zu hören, auch wenn das immer nur kurz war. Es gab Tage, an denen ich nur deshalb gut gelaunt die Schule betrat, weil ich wusste, dass ich ihn dann in den Pausen sehen würde.

 

Doch ich schaffte es nicht mal mit Marks Hilfe, Lucas auf mich aufmerksam zu machen. Stattdessen sah man ihn häufig mit anderen Mädchen, superschönen Mädchen, gegen die ich keine Chance hatte.

 

Ich litt, und Mark schaffte es irgendwann auch nicht mehr, mich aufzubauen. Er sagte mir ganz klar, dass ich Lucas vergessen solle, er wäre gar nicht bereit, ein interessantes Mädchen wie mich wirklich kennen zu lernen. Er bräuchte nur seine Püppchen. Das waren Marks Worte gewesen. 

 

Ich schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab und stand auf, holte eine kleine Plastiktüte und steckte das Medaillon hinein, bevor ich es zurück in den Safe legte. Und weil heute mal wieder ein wunderbar sonniger Tag und zudem Sonntag war, rief ich Gregor an und fragte ihn, ob er etwas mit mir unternehmen wollte. Es war einfach nicht gut, wenn ich jetzt alleine war, und Gregor kümmerte sich hier wirklich rührend um mich.

 

Und das tat gut, denn ich hatte viel alleine zu stemmen. Etwa alles, was mit der Schwangerschaft zu tun hatte. Meinen 1. Termin hier auf der Insel hatte ich bereits gehabt, ich hatte eine nette, englischsprechende Ärztin schon von Deutschland aus gefunden gehabt und mich noch in der ersten Woche dort vorgestellt. Und es war hier so wie in Deutschland auch: Es gab auch hier genug Partner, die ihre schwangeren Frauen mit in die Praxis begleiteten. Und ich saß alleine da, wirklich alleine, denn ich wusste ja, dass der werdende Vater auch nicht zu Hause auf mich wartete, mich verwöhnte, mir Arbeit abnahm, wenn es mir mal nicht so gut ging...  

 

Nein, ich brauchte jetzt dringend jemanden zum Reden und rief entschlossen Gregor an.

In den nächsten Tagen führte er mich in den langen Mittagspausen zum Essen aus oder unternahm abends etwas mit mir. Er versicherte mir in einer Tour, wie froh er war, dass ich nun doch noch hier mitarbeitete, und wem würden solche Worte nicht auch gut tun? Meine geschundene Seele nahm sie jedenfalls auf wie ein Schwamm das Wasser.

 

Wir sprachen viel bei diesen Treffen, und von mal zu mal wurde es immer persönlicher. Wir freundeten uns an und vertrauten uns nun Dinge an, die wir früher im Büro niemals besprochen hätten. Ich erfuhr von Gregors Familie, seinen drei jüngeren Geschwistern, seinen Eltern.

Und irgendwann ergab es sich, dass ich mit ihm auch über Lucas sprach. Davon, dass er sich von mir getrennt hatte und ich deshalb tief bedrückt hierher nach Teneriffa gekommen war. Gregor packte die Gelegenheit gleich noch mal beim Schopf, um festzustellen, dass Lucas ein Looser war. Jetzt erst recht, weil er mich so schmählich sitzen gelassen hatte. Und was ich überhaupt an ihm gefunden hätte?

 

Ich sagte nichts dazu, was hätte ich auch sagen sollen? Hätte ich Lucas verteidigen sollen? Nachdem, was er mir angetan hatte? Die andere Möglichkeit wäre gewesen, dass ich Gregor zugestimmt hätte. Aber auch das konnte ich nicht.

"Lass uns von was anderem reden", hatte ich daraufhin gebeten, und wir hatten das Thema gewechselt. Doch in Gedanken kreiste die Frage, was ich an ihm gefunden hatte, weiter in meinem Kopf herum. Was ich an ihm gefunden hatte und immer noch fand. Was mich all diese Jahre, in denen er kaum gewusst hatte, dass es mich überhaupt gab, an ihm fasziniert hatte.

 

Es war so leicht, diese Fragen zu beantworten. Denn es war einfach alles. Lucas von Kopf bis Fuss, von innen nach außen und wieder zurück. Er hatte eine Ausstrahlung, die ich so niemals wieder an jemanden gefunden hatte, eine Mischung aus Draufgängertum und Schüchternheit, man konnte das nur schwer beschreiben. Ein Charisma, welches mich immer wieder aus der Bahn geworfen hatte, da konnte ich mir noch so oft vornehmen, dass ich mich von ihm lösen sollte.

Jetzt hatte ich ihn als Partner erlebt und als Liebhaber, und all das, was ich zuvor nur ersehnt hatte, war wahr geworden. Er war mein Traummann, ein kreativer Chaot, ein herzlicher Familienmensch, ein Vertrauter, ein Freund - mein Seelenverwandter.

 

Und dieser Seelenverwandte hatte sich von mir getrennt, hatte meine Gefühle mit Füßen getreten. Es war ihm doch völlig egal gewesen, wie sehr ich leiden würde, wenn er sich unter seltsamen und fadenscheinigen Gründen von mir trennte. Auch heute noch kamen mir seine Beteuerungen seltsam vor. Machte so etwas ein Seelenverwandter? Wohl kaum.

 

Es tat immer noch weh, und ich fühlte mich weggeworfen. Und weil ich jetzt nicht nur an mich, sondern auch an das wachsende Leben in mir denken musste, war die Zeit da, mir endlich, endlich klar zu werden, dass ich Lucas abhaken musste.

 

Endgültig.

Gregor, meine wunderbare Arbeit und diese wunderschöne Insel schafften es dann nach und nach, dass ich tatsächlich immer weniger an Lucas dachte. Die Arbeit war erfüllend wie immer, ich hatte nie etwas anderes machen wollen, als Gebäude, Häuser und Wohnungen zu planen. Die Mischung aus den akkuraten Zeichnungen und der Kreativität, die man beim Planen brauchte, hatte mich schon immer fasziniert. Auch jetzt war ich mit Feuereifer dabei, diese Urlaubsbungalows zu zeichnen, den Grundriss zu überlegen und das alles vor allem für Familien zu planen.

Die Wochen rasten vorbei, und zwei Wochen vor meinem geplanten Rückflug hatten wir die Pläne dem Bauherr übergeben, mit denen er zum Glück hochzufrieden war. Meinen immer dicker werdenden Bauch hatte ich unter weiten Blusen und Tuniken versteckt, und Gregor ahnte immer noch nicht, dass ich schwanger war. Das war das einzige, das ich ihm verschwiegen hatte.

 

An diesem Abend kamen wir vor den Hotelzimmern an und hatten den Erfolg mit unseren Plänen gefeiert. Ich natürlich nur mit Nicht-alkoholischen Getränken, aber es gab hier so viele leckere alkoholfreie Cocktails, das mir der Verzicht wirklich nicht schwer fiel.

"Was für ein Erfolg!", freute sich Gregor. "Das hat jetzt wunderbar geklappt, dank dir, Johanna. Du solltest unseren Chef mal fragen, ob du nicht auch Auslandsprojekte machen darfst, denn du scheinst mich zu inspirieren!". Ich lachte verlegen auf.

"Das kannst du alles allein, Gregor. Ich bin doch keine Inspiration".

"Und wie du das bist", sagte er, und plötzlich änderte sich sein Blick und die ganze Stimmung. Ich sah ihn an, ob ich mich nicht irrte. Wollte irgendetwas unverfängliches sagen, doch ich wusste nicht, was.

Dann hob Gregor seine Hand und streichelte mir damit über die Wange. Ich hielt den Atem an, und mein Kopf war wie leergefegt.

Und dann küsste er mich, gierig und leidenschaftlich, und ich küsste ihn zurück. Küsste ihn zurück, weil ich diesen Kuss von Gregor genoss, weil ich mich begehrt fühlte und schön, und das tat gut. Und ich hielt einen tollen Mann im Arm, er war attraktiv, witzig, erfolgreich. Und er schmeckte fantastisch, nach Sonne, Hitze, Begehren.

 

Gregor fummelte irgendwann den Zimmerschlüssel aus seiner Hosentasche, küsste mich sofort wieder, und ich küsste ihn zurück. Wenn wir jetzt auf seinem Zimmer landeten, dann würde ich auch das genießen. Ich war frei, ich konnte das hier tun, alles andere war weit weg.

 

Bis auf mein Kind in meinem Bauch.

Erschrocken riss ich mich von Gregor los.

"Oh Gott", entfuhr es mir.

"Was hast du?", fragte Gregor verwirrt, und ich konnte ihm das nicht verdenken.

"Gregor, das hier... wir können das nicht machen", begann ich.

"Warum denn nicht? Stimmt etwas nicht?", fragte er nach. Ich schluckte hart. Ich schwankte für Sekunden, ob ich ihm die Wahrheit sagen oder ich mich in eine Ausrede flüchten sollte. Ich entschied mich für ersteres, denn das war etwas, was er bald eh sehen würde.

"Ich bin schwanger, Gregor", sagte ich und zog mein Shirt am Bauch fest, so dass er nun deutlich die Wölbung sehen konnte. Gregor starrte auf meinen Bauch, dann sah er mich wieder an.

"Das... kommt jetzt ziemlich überraschend", meinte er.

"Das kann ich mir vorstellen", sagte ich ernüchtert. Und erleichtert, denn nun wusste er endlich Bescheid. "Ich denke kaum, dass du jetzt noch Lust hast, mit mir in dein Zimmer zu gehen, oder?". Gregor räusperte sich.

"Lass mir Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Immerhin erwartest du ein Kind. Auch wenn sich das jetzt für dich blöd anhören muss", sagte er entschuldigend.

"Nein, nichts anderes habe ich erwartet", sagte ich. Ja, erwartet hatte ich nichts anderes, aber erhofft. Weil es mir jetzt schon zeigte, dass ich mit einem Kind in Zukunft anders wahrgenommen werden würde. Nämlich als Mutter, nicht mehr als Frau. Gregor musterte mich.

"Ist Lucas der Vater?", fragte er mich dann. Ich nickte nur.

"Hat er dich deshalb sitzen lassen?". Meine Güte, nach meiner Mutter war Gregor nun schon der zweite, der das von Lucas dachte. Sie kannten ihn einfach nicht im Geringsten. 

"Nein, er weiß nicht mal über die Schwangerschaft Bescheid", erklärte ich. Doch Gregor war davon nicht überzeugt.

"Bist du dir da sicher? Ist doch seltsam, dass er so schnell Schluss gemacht hat. Du hast mir doch selbst erzählt, dass es wie aus heiterem Himmel passiert ist. Wer weiß denn schon, welches Vögelchen ihm das gezwitschert hatte!". Oh Gott! Was, wenn Gregor recht hatte? Bisher hatte ich nicht mal an diese Möglichkeit gedacht...

"Nein, das glaube ich nicht", sagte ich dann. "Das hätte er nicht getan". Gregor musterte mich zweifelnd.

"Und warum hast du ihm dann nicht von der Schwangerschaft erzählt? Wenn du dir dessen doch so sicher warst?", fragte mich Gregor, und darauf hatte ich dann auch keine Antwort mehr.

 

Der Abend war jedenfalls gelaufen. Die leidenschaftliche Stimmung war weg, Gregor hatte keine Anstalten gemacht, mich zu küssen oder mich gar in den Arm zu nehmen. Soviel dazu.

Die letzten Tage auf Teneriffa gingen dann relativ schnell vorbei. Am letzten Tag machte ich noch mal einen ausgiebigen Strandspaziergang. Denn jetzt war es soweit: Ich würde nun mein Leben in die Hand nehmen müssen. Ich hatte hier, weitab von zu Hause, eine wunderbare Arbeit verrichtet und tolle Erfahrungen dabei gesammelt. Privat sah das etwas anders aus. Gregor hatte keinerlei Anstalten eines Annäherungsversuches mehr gemacht, die Stimmung zwischen uns war auch nicht mehr ganz so ausgelassen wie vor dem Vorfall und das hatte meine Bedenken bezüglich meiner Zukunft nicht gerade entschärft.

 

Okay, es blieb mir nichts anderes übrig, als das als Urlaubsflirt abzuhaken. Ich war nicht die erste und ganz sicher auch nicht die letzte, die unter südlicher Sonne einen Flirt hatte. Und Gregors Worte wegen Lucas und der Schwangerschaft hatten mir auch keine Ruhe mehr gelassen. So sehr sich alles in mir drin dagegen sträubte, dass er deshalb mit mir Schluss gemacht haben könnte, wäre das zumindest eine Erklärung für die Trennung. Ich würde ihn ganz genau beobachten, wie er reagierte, wenn ich ihm zu Hause sagte, dass er Vater wurde. Denn das wollte ich jetzt so schnell es ging machen, auch wenn ich jetzt schon weiche Knie bekam beim Gedanken daran, ihm das zu sagen.

 

Und das war ja nicht das einzige, was es zu regeln galt. Gleich wenn ich zu Hause war, würde ich mich auf Wohnungssuche begeben müssen. Außerdem musste ich eine Betreuung für mein Kind finden, ein Schwangerschaftskurs wäre auch angemessen. Immerhin ging es dem kleinen Knöpfchen gut, dass hatte die Frauenärztin hier gesagt. Sie hatte sogar schon gesehen, was es wird, doch ich wollte mir das nicht sagen lassen.

Und auch wenn es mir mulmig war, in Zukunft alles alleine managen zu müssen, so würde ich jetzt nach vorne blicken. Etwas anderes blieb mir gar nicht übrig.

 

Wir zwei würden das schon schaffen. Und wie zur Bestätigung meiner Worte fühlte ich zarte Bewegungen in meinem Bauch.

 

 

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19.03.19 Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Seite nun fit für die DSGVO gemacht, alles ist online und ihr könnt hier wieder die Abenteuer meiner Schillers lesen!

 

Ich wünsche euch viel Spaß dabei!

 

 

In meiner Geschichte gibt es immer wieder Bilder, die verlinkt sind und zu Videos auf verschiedenen Video-Plattformen führen. Diese Info steht auch bei jedem der verlinkten Bilder dabei.

 

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