Hochzeitsglocken

oder: Herzensangelegenheiten

Ich ließ den Karton auf einen der anderen, die sich bereits in unserem Wohnzimmer türmten, fallen und atmete schwer aus. Meine Güte, diese Kartons wurden von mal zu mal schwerer. Was war da nur drin?

"Jetzt ist oben nicht mehr viel", teilte ich den anderen mit, die gerade ebenfalls in unserem Wohnzimmer, das im Moment eher einer Abstellkammer glich, anwesend waren.

Fiona begann daraufhin erneut mit ihrem Klagelied:

"Warum müssen wir heute schon gehen? Ich finde das so blöd!", schnaubte sie und Raphael stimmte dem sofort zu.

Johanna wollte die beiden trösten, doch ich merkte ihr an, dass es ihr selbst schwer fiel, die drei gehen zu lassen.


Ja, es war so weit: Heute zogen Marita, Susan und Fiona aus. Ihr Haus war einzugsfertig, und auch wenn es nur zu verständlich war, dass Marita und Susan mit ihrer Tochter in ihr eigenes Haus ziehen wollten, war es auch für uns Erwachsenen schwer, dieses 2-Familien-Haus aufzulösen. Wir hatten nun viele Jahre zusammen gelebt, die Veränderung war wirklich seltsam.

"Ich gehe mal draußen nachsehen, was die Möbelpacker so machen", sagte ich einfallslos, um der bedrückenden Stimmung hier drinnen zu entgehen.

Gerade, als ich das Haus wieder betrat, kam mir Marita mit zwei Kartons schwankend entgegen.

"Hilfe, ich kann sie kaum mehr halten!", keuchte sie, und ich eilte sofort zu ihr.

"Was machst du denn?", fragte ich sie, halb erschrocken, halb belustigt. "Einer hätte wohl nicht gereicht?".

"Es sind die letzten und ich dachte, ich bringe die beiden mit runter, damit wir nicht mehr hochgehen müssen", versuchte sich Marita zu rechtfertigen. "Wie gut, dass du gerade da warst!", bedankte sie sich.

"Immer wieder gerne!", sagte ich, während die Möbelpacker nun die letzten Sachen aus dem Haus hinaus in den Lieferwagen trugen.

Und irgendwann war dann alles von den dreien verstaut. Während die Kinder draußen den Möbelpackern dabei zusahen, wie sie die Ladung sicherten, kam für uns nun der Abschied näher.

"Sollen wir wirklich nicht mehr mit rüber und helfen auszupacken?", fragte Hanna zum wiederholten mal.

"Ja, wirklich nicht", sagte Marita und nahm Hanna in den Arm. "Es ist ja so schon schwer genug, aber wenn ihr jetzt noch mit bei uns seid, können sich die Kinder und auch wir sicher gar nicht mehr trennen"

"Da ist was Wahres dran", meinte ich. "Trotzdem ist es blöd, euch mit dem allen jetzt allein zu lassen!"

"Wir haben doch die beiden starken Männer dabei", zwinkerte Marita uns zu. "Glaubt mir, das geht alles! Macht euch keine Sorgen!"

Auch Susan bestätigte das.

"Das ist wirklich kein Problem, und wir haben das doch besprochen. Es ist sicher besser, wenn wir jetzt dann ganz schnell gehen. Fiona fällt es immer schwerer, das merkt man". Das stimmte. Die Kleine hatte den Umzug schon immer "blöd" gefunden, aber jetzt wurde es von Stunde zu Stunde schlimmer. Raphael war ebenfalls nicht begeistert, dass er seine Spielkameradin und "Fast"-Schwester verlor.

"Ich glaube, es ist für uns alle nicht leicht", bemerkte ich, und dem stimmten die Frauen zu.

 

Die Verabschiedung fiel lang aus, immer gab es noch etwas, was unbedingt gesagt werden musste.

Doch irgendwann war es dann so weit: Unsere drei nun ehemaligen Mitbewohner fuhren in ihrem Auto davon. Raphael winkte dem Wagen nach, bis er nicht mehr sichtbar war.


Und auch wenn sie im gleichen Ort wohnten, wenn wir uns auch in Zukunft oft sehen würden, würden sie uns fehlen, dessen war ich mir sicher.

An diesem Abend befiel Raphael dann erneut eine tiefe Traurigkeit. Es war wirklich hart, ihn so zu sehen.

 

Ich konnte ihn verstehen. Wir zwei waren erst vor zwei Wochen von den Kappes zurück gekehrt, in den Tagen danach kamen dann zuerst Hanna und dann Susan mit Fiona und zu guter Letzt Marita zurück. Und nun wurde wieder alles auseinander gerissen, und diesmal für immer.

Ich nahm ihn in den Arm.

"Mein Großer", sagte ich zu ihm. "Sei nicht traurig. Du wirst Fiona auch in Zukunft sehr oft sehen können. Du weißt doch, dass du ein paar Mal in der Woche nach dem Kindergarten zu ihr darfst, weil Mama und Papa dann noch arbeiten sind. Und Susan holt euch gemeinsam ab und ihr könnt zusammen essen und dann spielen. Und an den Tagen, wenn Mama oder ich mittags hier arbeiten können, dann kommt Fiona zu uns. Du wirst fast keinen Unterschied bemerken, glaube mir!"

"Aber abends bin ich bei der Gutenachtgeschichte allein", bemängelte er gleich. Ja, ich konnte meinem Sohn einfach nichts vormachen. Natürlich wusste er, dass sich was Gravierendes geändert hatte.

"Aber ab und zu kann sie auch bei uns übernachten und du bestimmt dort, wenn sie alles eingerichtet haben, dann habt ihr wieder eine gemeinsame Gutenachtgeschichte, ja? Komm`, ich lese dir wieder Winnie Puh vor, okay?", lockte ich ihn mit seinem derzeitigen Lieblingsbuch. Und Gott sei Dank war er einverstanden.

Natürlich war es damit aber nicht getan. Raphael vermisste Marita, Susan und vor allem Fiona sehr, vor allem in diesen ersten Tagen nach dem Auszug. Wir versuchten natürlich, uns so oft zu sehen wie es ging. Wenn ein Treffen nicht möglich war, nahmen Hanna und ich uns viel Zeit, um mit ihm zu spielen oder Ausflüge zu unternehmen. Der Spielplatz, auf dem ich schon als Kind gespielt hatte, war auch bei meinem Sohn hoch im Kurs.

Dadurch, dass Susan zu Hause arbeitete und Raphael nach der Schule häufig noch mit zu Mohrs ging, weil Hanna und ich noch arbeiteten, sahen sich die Kinder mehrmals die Woche. Wenn Hanna oder ich mal früher Feierabend machen oder einen Nachmittag zu Hause arbeiten konnten, kam dann als Ausgleich Fiona mit zu uns.

Und begleitete Raphael natürlich auch gerne mit auf den Spielplatz.


Durch diese Regelung fand sich Raphael dann wirklich nach und nach in das neue Gefüge ein.

Ein paar Tage später saßen wir drei bei einem gemütlichen Sonntagsfrühstück, als wir über die Privatschule sprachen, auf die Raphael ja nach dem Sommer wie die Kappe-Kinder gehen wollte.

"Mama, der Direktor ist wirklich nett!", zeigte sich Raphael immer noch so begeistert wie vor ein paar Wochen, als er mit Herrn Jakoby im Kappe-Haus gesprochen hatte. Ich fand das ja rührend und hoffte, dass seine Begeisterung für die Schule möglichst lange anhalten würde. Und nicht wie bei seinem Vater, der schon bald alle Dinge im Kopf gehabt hatte außer dem Lernen.

"Wenn ich richtig verstanden habe, kommt dieser Direktor aber erst noch mal zu uns, oder?", vergewisserte sich Johanna.

"Genau", bestätigte ich. "Die schauen sich auch immer das private Umfeld ihrer potenziellen Schüler an".

"Und wenn ihm unser Haus nicht gefällt?", fragte Raphael nachdenklich.

"Warum sollte Herrn Jakoby unser Haus nicht gefallen? Du musst einfach dein Zimmer aufräumen, bevor er kommt, und dann wird er sicher ganz begeistert sein!", sagte ich.

"Okay, das ist kein Problem!", sagte Raphael nun schon wieder lachend. "Wann kommt er denn?"

"Ich rufe ihn morgen mal an und mache einen Termin aus", versprach ich meinem Sohn.


Der Direktor hatte am Telefon sofort gewusst, wer ich war, und freute sich darauf, zu uns zu kommen. Schon am darauffolgenden Freitag würde es dann soweit sein.

Der Freitag war schnell da, und sowohl Hanna als auch ich machten an dem Tag früher Feierabend, um noch die letzten Vorbereitungen bei uns zu treffen. Als das Haus blitzte und es nichts mehr für uns zum Vorbereiten gab, hieß es nur noch, die letzte Stunde bis zum Eintreffen von Herrn Jakoby zu warten.

"Haben wir alles?", fragte ich sicherheitshalber noch mal bei Hanna nach.

"Ich denke schon", sagte sie und wirkte etwas nervös. Ich konnte das nur zu gut verstehen, vor nicht allzu langer Zeit war auch mir die Pumpe kurz vor dem Besuch des Privatschuldirektors gegangen. Nun, da ich wusste, was auf uns zukommen würde, war ich schon sehr viel ruhiger.

"Alles gut, Schatz!", beruhigte ich sie und nahm sie in den Arm. "Herr Jakoby ist ein sehr netter Mensch, überhaupt nicht weltfremd oder so. Glaube mir. Außerdem wird er von dir eh so angetan sein, dass er Raphael sofort auf seine Schule nehmen wird"

"Alter Charmeur!", lachte sie und gab mir einen Kuss.

"Was denn, wenn es doch die Wahrheit ist!"

Als es dann pünktlich zur vereinbarten Zeit an unserer Tür klingelte, eilte ich dahin, um zu öffnen.

Und ich packte dann wieder meine besten Umgangsformen aus, um den guten Mann zu beeindrucken.

"Herr Jakoby, es freut mich, dass sie so schnell Zeit für uns gefunden haben!", begrüßte ich ihn und führte ihn in unser Haus. Ich sah, wie er sich unauffällig umschaute, aber auch das kannte ich ja schon. Gut, es war noch etwas anderes, dass nun das eigene Haus so gemustert wurde, doch ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass das Haus nicht schlecht abschneiden würde.

"Ich bedanke mich, dass ich hier sein darf!", sagte der Direktor höflich.

Hanna kam dann zu uns, und ich stellte die beiden einander vor.

"Entzückt ihre Bekanntschaft zu machen, Frau Keppler!", sagte Herr Jakoby galant zu Hanna.

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite", sagte Hanna und ich musste mir ein schmunzeln unterdrücken. Ich stellte mir vor, jemand unserer Freunde würde uns so reden hören. Die würden uns sicher nicht mehr wiedererkennen!

In unserer Wohnküche traf Herr Jakoby dann auf Raphael.

"Na, wie geht es dir, junger Mann?", fragte der Direktor meinen Sohn.

"Gut!", strahlte Raphael. "Und wenn ich auch auf ihre Schule gehen darf, geht es mir noch besser!". Ich sah, wie Herr Jakoby schmunzelte.

"Du bist wirklich ein Junge, der weiß, was er will. Das gefällt mir! Möchtest du denn auch ein guter Schüler werden?". Raphael nickte eifrig.

"Auf jeden Fall!", antwortete Raphael völlig überzeugend.

"Also, dann kann ja nichts mehr schief gehen", lachte Herr Jakoby. "Wärst du denn so nett und würdest mir mal dein Zimmer zeigen?".

"Ja. Das habe ich doch extra aufgeräumt!", sagte Raphael wie zu einem Kindergartenfreund und führte den Direktor in sein Zimmer. Hanna und ich gingen den beiden hinterher, und ich drückte Hannas Hand. Sie machte sich sicher mehr Sorgen als ich, denn sie sah etwas blass aus. Ich jedoch wusste, dass es Herrn Jakoby eher imponierte, wenn jemand sagte, was er dachte. Und Raphael war einfach hinreißend ehrlich.

"Ein schönes Zimmer hast du da!", lobte dann Herr Jakoby, als er in Raphaels Zimmer stand.

"Danke! Ich habe sogar schon einen Schreibtisch, auf dem ich dann mal meine Hausaufgaben machen kann!", erklärte mein Sohn.

"Sehr gut! Du bist ja wirklich bestens vorbereitet!", lobte der Direktor und wandte sich dann an uns.

"Wenn ich sie noch kurz alleine sprechen könnte, wäre das gut. Raphael, du bekommst deine Eltern bald wieder, versprochen"

"Okay, ich spiele solange was!", sagte mein Kleiner großzügig und setzte sich schon an seine Spielzeugkiste.

Im Wohnzimmer setzten wir uns dann auf die Couch. Ich bot dann noch etwas zu Trinken an, doch Herr Jakoby lehnte dankend ab.

"Frau Keppler, Herr Schiller, ich denke, ich habe genug gesehen und gehört. Der Besuch war ja auch mehr pro forma, Raphael hatte schon im Haus der Familie Kappe einen guten Eindruck auf mich gemacht. Und ihr Wohnumfeld ist natürlich absolut geeignet, um einen Schüler einer gehobenen Privatschule zu beherbergen". Natürlich taten diese Worte gut, hieß das denn nicht, dass Raphael dann ab der ersten Klasse in die Privatschule gehen konnte? Doch irgendwie schwang da noch ein "aber" im Raum.

"Das freut uns natürlich", sagte Hanna. "Sie müssen uns nur sagen, was genau wir nun zu tun haben, damit Raphael bei ihnen angemeldet ist"

"Ich habe die Unterlagen, die sie ausfüllen müssen, schon hier. Wenn sie sie ausgefüllt haben, schicken sie sie uns und sie bekommen dann eine Anmeldebestätigung zugesandt", erklärte Herr Jakoby. Doch ich spürte immer noch, dass er noch nicht alles gesagt hatte.

"Das ist alles?", hakte ich deshalb nach. Herr Jakoby räusperte sich.

"Nicht ganz", sagte er dann. "Herr Schiller... Sie wissen ja über unser Programm Bescheid, über das die vier Kappe-Kinder auf unsere Schule gekommen sind. Ich gehe auch davon aus, dass sie, Frau Keppler, darüber Bescheid wissen?"

"Ja, Frau Kappe hatte uns damals davon erzählt", bestätigte Hanna. Der Direktor räusperte sich noch einmal. "Es ist nur so: Sie erfüllen die Kriterien leider nicht, um in dieses Programm aufgenommen zu werden". Jetzt wusste ich endlich, was der Direktor uns die ganze Zeit mitteilen wollte!

"Wir haben also die normalen Gebühren zu bezahlen?", fragte ich.

"Ja, leider. Ich weiß, es muss für sie unangenehm sein, wenn die Kinder ihrer Freunde zu einem Bruchteil des Geldes auf die gleiche Schule gehen können als ihr eigener Sohn, aber ich kann es leider nicht ändern. Ich könnte das nie vor dem Kollegium rechtfertigen"

"Verdienen wir so gut?", fragte ich leicht belustigt.

"Ihr genaues Einkommen weiß ich ja erst, wenn sie die Unterlagen ausgefüllt bei uns eingereicht haben, aber ich schätze, dass sie als Architekten bereits mit einem Gehalt etwas über dem Satz liegen, den wir als Grenze festgelegt haben". Ich wusste bis jetzt noch gar nicht, dass Hanna und ich zu den Gutverdienern gehörten, dachte ich aufseufzend. Gut, der Direktor wusste nicht, dass ich eine 80 %-Stelle hatte. Nach meinem Praktikum im Architekturbüro Wagner & Sander waren meine Chefs mit meiner Arbeit so zufrieden gewesen, dass sie mir die Stelle angeboten hatten. Leider konnten sie sich keine 100 %-Stelle leisten, und mir waren die 80 % allemal lieber als keinen Job zu haben oder einen Vollzeitjob in einem blöden Team. Die Arbeit bei Wagner & Sander aber machte mir unglaublich viel Spaß, so dass ich schnell zugesagt hatte. Inzwischen war ich schon seit fast anderthalb Jahren fest im Architektenteam dort beschäftigt.

"Herr Jakoby, sie müssen sich nicht rechtfertigen. Wir haben von Anfang an nicht damit gerechnet, dass wir in das Programm fallen könnten. Das wollen wir auch gar nicht. Dort draußen gibt es sicher Familien, die es nötiger haben als wir", sagte Hanna. Sie sprach mit dieser wunderschönen Stimme, die einen immer irgendwie einlullte und einem das Gefühl gab, dass es nichts Böses auf dieser Welt geben konnte. Ich war mal wieder wie verzaubert und musste mich regelrecht von ihr losreißen, um mich wieder auf das Gespräch konzentrieren zu können. Auch Herr Jakoby lächelte nun.

"Schön, dass sie das sagen. Das erleichtert mich", sagte er aufatmend. Dann stand er auf, holte seinen Aktenkoffer, den er neben der Eingangstüre abgestellt hatte und reichte uns die Unterlagen, die wir ausfüllen mussten.

"Ich denke, ich kann sie schon mal herzlich auf der Albert-Einstein-Privatschule Willkommen heißen!"

 

Und damit hatten wir es geschafft!

"Sind wir gut oder sind wir gut?", fragte ich Hanna, als sich Herr Jakoby von uns dreien verabschiedet hatte.

"Wenn du mich so fragst...", lachte Hanna und gab mir einen Kuss.

"Du warst wundervoll", sagte ich zu meiner bezaubernden Freundin und kraulte ihren Nacken. Sie liebte das, bekam davon immer eine Gänsehaut und oft genug schloss sie auch genießerisch ihre Augen dabei.

"Du aber auch", schluckte sie und schloss ihre Augen. "Das tut gut!". Ich lächelte.

"Wenn Raphael nachher schläft können wir ja genau an der Stelle weitermachen", lockte ich sie. Sie schlug langsam ihre Augen auf, die hier in der Dunkelheit geheimnisvoll funkelten.

"Ich muss mal nachsehen, ob ich nachher nicht noch einen anderen Termin habe", sagte sie gespielt ernst.

"Hast du nicht. Ich habe die alle gecancelt", spielte ich ihr Spiel mit.

"Du hast meine Termine gecancelt?", fragte sie mit großen Augen.

"Habe ich. Du wirst nachher viel Zeit für deinen wunderbaren Freund haben"

"Wen meinst du nur damit? Herrn Jakoby vielleicht?", klimperte sie unschuldig mit ihren Wimpern.

"Du musst doch wissen, wer dein wunderbarer Freund ist!", sagte ich ebenso gespielt empört.

"Tut mir leid, nein", antwortete sie, und wir beide kämpften damit, nicht breit grinsen zu müssen.

"Vielleicht hilft das hier deinem Erinnerungsvermögen etwas auf die Sprünge", sagte ich und küsste sie so leidenschaftlich, wie ich nur konnte.

 

Und ich wusste, dass ich das konnte.

Völlig atemlos lösten wir uns dann wieder voneinander.

"Ich kapituliere. Du hast meinem Gedächtnis wirklich wieder auf die Sprünge geholfen", sagte Hanna weich und war wie Wachs in meinen Händen. Das war auch so etwas, was ich so an ihr liebte. Hanna konnte sich jemandem hingeben, ohne irgendetwas zu erwarten. Sie ließ sich einfach komplett darauf ein.

"Gut so", sagte ich und hielt sie weiter lächelnd im Arm. Sie stand mit roten Lippen und Wangen vor mir und sah einfach zum Anbeißen aus.

"Mein Gott, du schaffst es doch wirklich immer wieder", sagte sie, bevor sie sich aus meiner Umarmung befreite und schon einen Schritt auf das Haus zuging, doch ich hielt sie noch mal zurück.

"Was schaffe ich immer wieder?"

"Dass ich dich immer noch ein bisschen mehr liebe", sagte sie dann und küsste mich noch einmal, bevor sie im Haus verschwand.

 

Ich blieb noch kurz stehen und sah ihr hinterher.

"Und wie sehr ich dich liebe", murmelte ich dann, um dann ebenfalls ins Haus zu gehen.

Weil Herr Jakoby Raphael bei der Verabschiedung nicht gesagt hatte, dass er auf seine Schule kommen durfte, weil er es uns Eltern überlassen wollte, ihm diese Nachricht zu überbringen, war der erste Weg jetzt natürlich zu Raphaels Kinderzimmer.

Als ich dann kurz nach Hanna sein Zimmer betrat, hatte dieser sich schon erwartungsvoll vor Hanna aufgebaut.

"Mama, sag doch, darf ich auf die Privatschule oder nicht?", löcherte er gerade seine Mutter.

Hanna wollte unseren Sohn nicht auf die Folter spannen und sagte feierlich:

"Ja, das darfst du!". Raphael jubelte sofort laut los und wir freuten uns alle über unseren Erfolg.

"Du kleiner Racker hast das Spitze gemacht!", lachte ich und kitzelte meinen Sohn durch, so dass er lauthals lachte.


Doch dann war es tatsächlich so weit, Raphael ins Bett zu bringen. Hanna las ihm heute noch eine Geschichte vor, und wie immer war er schnell eingeschlafen.

Ein sehr guter Zeitpunkt also, tatsächlich da weiterzumachen, wo wir vorhin draußen aufgehört hatten.

Die Anmeldung für Raphael war schnell gekommen, von uns ausgefüllt worden und wieder an die Privatschule geschickt worden. Damit war unser Sohn tatsächlich ab dem Sommer ein Privatschüler, mit allen Privilegien, die das mit sich brachte. Selbstredend, dass auch seine Großeltern stolz wie Oskar waren, und selbst Silvia, Hannas Mutter, mit der ich immer noch ein "Hauptsache-wir-sind-so-weit-voneinander-entfernt-wie-es-nur-geht"-Verhältnis pflegte, war angetan. Sicher, sie würde niemals sagen, dass ich auch nur annähernd etwas mit so einem Erfolg zu tun hatte. Doch Bernd, Hannas Vater, hatte mir schon damals, als ich bei einem unserer Angelausflüge erzählt hatte, dass ich die Kappe-Kinder auf die Privatschule gebracht hatte, anerkennend auf die Schulter geklopft.


Und heute war noch ein großer Tag. Es war Samstag, ich arbeitete noch an ein paar Plänen, die ich nachmittags einem Kunden zeigen wollte und wartete nur darauf, dass es klingelte.

Ich war super gut gelaunt, und die Arbeit floss mir deshalb problemlos aus den Händen.


Und dann, endlich, klingelte es an unserer Tür.

Ich umarmte meinen besten Freund sofort.

"Verdammt, das war eine lange Zeit!", begrüßte ich ihn, und Mark lachte auf.

"Ich freue mich auch, wieder hier zu sein!", sagte er. Ein langes halbes Jahr hatte Mark in Amerika gearbeitet. So lange waren wir noch nie getrennt gewesen. Und auch wenn wir viel telefoniert oder geskypt hatten, es war natürlich nicht mal annähernd das gleiche gewesen, wie wenn er hier war.

"Wie war dein Flug?", wollte ich wissen und sah meinen Kumpel an. Mark war schon am gestrigen Abend in Deutschland gelandet, wir hatten aber erst den heutigen Vormittag für ein Treffen ausgemacht, weil er natürlich auch zu seiner Familie wollte und sicher auch mit Jetlag zu kämpfen hatte. Außerdem war er auch kurz in seiner Firma gewesen, um auf den aktuellen Stand der Dinge gebracht zu werden.

"Gut, aber ich bin froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben", sagte er und ich bat ihn ins Haus.

Drinnen holte ich uns eine Pepsi aus dem Kühlschrank und gab Mark eine davon.

"Sind Johanna und euer Kleiner nicht hier?", fragte Mark.

"Nein, Hanna ist mit ihm einkaufen gefahren. Sie sagte, wir zwei sollen die Zeit für uns haben nach der langen Zeit", antwortete ich und Mark lächelte.

"Sie ist einfach ein Goldstück. Ist bei euch noch alles gut?", fragte er mich.

"Nein", sagte ich. "Besser". Mark grinste.

"Ihr seid glücklich, oder? Du ahnst nicht mal, wie mich das freut! Denn das war so ein verdammt hartes Stück Arbeit für mich!", sagte er und wir grinsten uns an. Ich ahnte natürlich, dass er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte und konnte mir immer noch nur schwer vorstellen, was Mark in den ganzen Jahren, in denen er von Johannas Liebe zu mir gewusst und mich mit der wilden Flirterei mit den ganzen Frauen vor Augen gehabt hatte, durchmachen hatte müssen. Seine Erleichterung, dass dieses Kapitel nun endgültig geschlossen war, musste groß sein.

"Hanna ist meine Traumfrau", sagte ich bestätigend, "Und du hast das noch vor mir gewusst"

"Allerdings", lachte Mark.

"Aber genug von mir! Erzähle, wie es dir in den Staaten ergangen ist!".

Und Mark erzählte von seinen Erfahrungen in der amerikanischen Baufirma. Dieses Wissen wollte er dann hier mit seinen Kollegen und seiner Chefin teilen und dann bei seiner Arbeit nutzen. Er hatte viel gelernt und würde sicher gute Ideen für nächste Bauprojekte haben, wenn es darum ging, Hochhäuser zu bauen.


Das war die offizielle Version.

Die Wahrheit war, dass Mark geflüchtet war. Er war in seine Chefin Tanja verliebt, unglücklich verliebt. Die beiden hatten sich immer wieder in die Haare bekommen, ein regelrechter Machtkampf war dort ausgetragen worden, der Mark aber immer unglücklicher gemacht hatte, denn eigentlich wollte er mit Tanja alles andere als Streit. Dank seiner amerikanischen Verwandten, die ihm eine Stelle gesucht und schließlich auch gefunden hatten, war er dann vor einem halben Jahr auf und davon. Außer mir wussten diese inoffizielle Version nur noch Hanna, Marks Schwester Amber und deren Mann Benny. Sonst niemand. Nicht einmal seine Eltern.


"Mark?", fragte ich dann, als er mit seinen Erzählungen fertig war.

"Ja?", fragte er

"Wie war es gestern mit Tanja?". Er war ja noch kurz bei seiner Chefin gewesen, um auf den aktuellen Stand der Arbeit gebracht zu werden, damit er am Montag wieder durchstarten konnte.

Ich hätte wohl besser nicht gefragt, denn Mark stutzte kurz, sein Gesicht verlor alles Lachende und dann sagte er ernst:

"Wie wohl. Es hat sich nichts geändert. Einfach nichts geändert". Ich starrte ihn an und konnte nicht glauben, was ich da hörte.

"Was?", fragte ich nach und ordnete meine Gedanken. "Soll das heißen, dass ihr beide, nachdem ihr euch ein halbes Jahr nicht gesehen habt, schon wieder gestritten habt?". Mark sagte nichts, doch sein Blick sprach Bände. Ja, war das denn zu glauben? "Das gibt es doch nicht! Mark! Könnt ihr nicht mal ein paar Minuten normal miteinander reden?". Ich verstand die Welt nicht mehr!

Während ich fassungslos vor meinem besten Freund stand, entspannte sich dessen Gesicht plötzlich wieder. Er begann zu lächeln, was überhaupt nicht zu dieser Situation passte.

"Dein Gesicht, Lucas!", prustete er plötzlich los und konnte sich kaum mehr halten vor Lachen.

"Äh?", machte ich dümmlich und verstand wirklich gar nichts mehr. Der Jetlag hatte ihm wohl doch mehr zugesetzt als gedacht!

"Das war es wert! Für dieses Gesicht würde ich es jederzeit wieder so machen!", lachte er immer noch.

"Okay, wenn ich dich aufmuntern kann, dann freut mich das natürlich. Und schön, dass du das mit Tanja so locker sehen kannst. Dann hat sich ja doch etwas geändert in der Zeit...". Weiter kam ich nicht, denn ich wurde von ihm unterbrochen.

"Lucas! Tanja und ich hatten keine zwei Sätze miteinander gewechselt, und sind dann wie ausgehungert übereinander hergefallen!"

"Warte - was?", fragte ich und konnte ihm nicht mehr richtig folgen. Dieser Gefühlswechsel hatte mich doch kurzzeitig überfordert. "Übereinander hergefallen?"

"Als wüsstest ausgerechnet du nicht, was DAS bedeutet!", zwinkerte Mark. Meine Kinnlade klappte nach unten, so überrascht war ich, als mir endlich der Sinn seiner Worte klar wurde.

"Heißt das, dass ihr gestern im Büro von ihr... miteinander geschlafen habt?", fragte ich ihn mit großen Augen. Meine Güte! Er fuhr sich durch seine wilden Rastas und lächelte selig.

"Es war der Hammer!", bestätigte er. "Ich kam in dieses Büro, gewillt, endlich meine Gefühle für sie zu begraben, sollte dieser eine Abend wieder so schlecht laufen wie so viele male zuvor. Ich hatte schließlich ein halbes Jahr lang Zeit, mir darüber Gedanken zu machen! Sie saß am Schreibtisch, sah auf. Diese Augen!". Er machte eine verlegene Pause.

"Und weiter?", bohrte ich ungeduldig nach.

"Wir haben uns ein paar Sekunden nur angestarrt. Ich war so gebannt! Und ich wollte sie so sehr! Tanja ist dann aufgestanden, hat mich begrüßt und mir die Hand gegeben. Diese Berührung und ihr Blick waren es dann, und ich habe gewusst, dass sie mich auch vermisst hat". Bei der Erinnerung begann Mark zu strahlen.

"Und dann?", fragte ich weiter.

"Und dann werde ich dir sicher keine Details erzählen, oller Schnüffler!", lachte Mark auf.

"Aber es ist passiert?"

"Ja", lächelte er und ich bohrte nicht mehr weiter nach. Mark würde jetzt natürlich keine Details preisgeben, das hielt er genau wie ich. Aber das musste er auch nicht. Denn alles Wichtige war gesagt. Mark hatte seine Tanja erobert! Ihn so froh zu sehen war wirklich unbezahlbar!

"Also seid ihr jetzt fest zusammen?", wollte ich von ihm wissen.

"Um ehrlich zu sein... ich weiß nicht, wie das weitergehen wird, Lucas. Sie ist immer noch meine Chefin, meine Kollegen sind immer noch Jungs, die sich sofort das Maul darüber zerreißen würden, wenn sie es mitbekämen. Aber an das will ich heute nicht denken. Nicht nach so einer Nacht. Sie hat mir gesagt, dass sie mich in den letzten Wochen sehr vermisst hat. Und... sie hat gesagt, dass sie mich liebt. Kannst du dir das vorstellen?"

"Und ob ich das kann!", sagte ich ohne lange nachdenken zu müssen. Mark war schließlich einer der liebenswertesten Menschen, die ich kannte. Er lächelte mich an.

"Es muss einfach einen Weg für uns geben!".

"Das wird es auch! Meine Güte, das passiert doch nicht zum ersten Mal, das ein Chef mit seinem Mitarbeiter was anfängt. Ganz im Gegenteil sogar. Ihr findet schon eine Lösung! Und ich freue mich wahnsinnig für dich und euch!", sagte ich überzeugt.

"Danke. Jetzt muss ich dir wenigstens nicht mehr das Ohr volljammern, was?", sagte er.

"Eben!", grinste ich. "Und da willst du mir erzählen, dass sich nichts geändert hat! Also wirklich!", spielte ich auf den Beginn dieses Themas an, als er mich so an der Nase herumgeführt hatte.

"Stimmt doch!", rechtfertigte er sich sofort. "Es hat sich doch nichts geändert! Ein halbes Jahr, in dem ich weg war, hat nichts an meinen Gefühlen für sie geändert!".

"Gut gesagt, Cowboy!", sagte ich.

Mark ging dann kurz darauf, denn der lange Flug und eine schlaflose Nacht hatten ihn doch völlig fertig gemacht und er wollte sich jetzt eine ordentliche Mütze Schlaf abholen.


Ich sah ihm noch eine Weile nach, wie er mit müden Schritten, aber absolut happy, unser Grundstück verließ. Und mein Glückspegel war noch mal um einiges angestiegen!

Aber es gab da noch ein Problem, welches sich auch nach meiner Rückkehr aus dem Kappe-Haus nicht erledigt hatte, und das stand heute nach der Arbeit vor unserem Haus.


Desdemona hatte auf mich gewartet und kam nun mit sicheren Schritten auf mich zu. Ich seufzte innerlich auf.

"Hallo Desdemona!", begrüßte ich sie unverfänglich freundlich. "Wie geht es dir und deiner Familie?"

"Gut, danke", antwortete sie knapp. Anscheinend war sie nicht hierher gekommen, um über ihr Wohlbefinden oder das ihrer Familie zu reden.

 

Wer hätte das gedacht.

"Was verschlägt dich hierher?", fragte ich dann weiter. Ich kannte die Antwort, und eigentlich musste sie auch ahnen, dass ich es wusste, denn sie hatte ja mitbekommen, dass ich das Gespräch zwischen ihr und Miranda gehört hatte. Doch sie sah mich von unten mit einem Augenaufschlag an, den ich einer fast 15jährigen nicht zugetraut hätte.

"Ich habe ein Problem, Lucas, und brauche deine Hilfe", begann sie dann und ich machte mich auf alles gefasst.

Ich versuchte cool zu bleiben und legte meine Hände auf meine Hüften.

"Aha", machte ich erst mal nur. Und wusste nicht, ob ich das jetzt einfach niedlich oder doch besorgniserregend finden sollte. Wollte sie in mir irgendeinen Beschützerinstinkt wecken? Oder hatte sie einfach vor, Zeit mit mir zu verbringen, wenn ich ihr aus ihrer "Not" half?

"Ja", fuhr sie fort und lächelte mich an. "Du kannst dich doch sicher noch daran erinnern, wie du mir mit Mathe geholfen hast, oder?". Da ich allen vieren geholfen hatte, wenn Fragen aufgetaucht waren, die ich hatte beantworten können, war bestimmt auch irgendwann mal Mathe dabei gewesen.

"Na, an Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, denn ich habe euch ja allen geholfen, aber wenn du das noch weißt, wird es schon stimmen", versuchte ich, ihr auf die nette Art den Wind aus den Segeln zu nehmen.

"Ich weiß es aber noch, und du hast mir das einfach so toll erklärt, dass ich es endlich verstanden hatte!", sagte Desdemona sofort und himmelte mich an. Oh Gott, wie kam ich nur aus dieser Nummer wieder raus?

"Das ist doch wunderbar, wenn ich dir helfen konnte", sagte ich. "Aber wo ist denn nun dein Problem?", brachte ich sie auf den Grund ihres Kommens.

"Das Problem ist, dass ich jetzt auf der Privatschule einen Lehrer in Mathe habe, bei dem ich gar nichts mehr verstehe. Jetzt haben wir Geometrie, aber der sagt irgendwelche Formeln für die Winkelberechnungen, die ich noch nie gehört habe. Und du kannst mir da bestimmt weiterhelfen!". Das könnte ich mit Sicherheit. Mathe war eines meiner Lieblingsfächer in der Schule gewesen, und Geometrie eines meiner liebsten Themen daraus. Diesbezüglich konnte ich mich ja jetzt auch als Architekt austoben, was mir ungeheuren Spaß machte.

 

Doch dem hier musste ein Riegel vorgeschoben werden.

Ich seufzte hörbar aus. Wie konnte ich dem Mädchen nun einen netten Korb geben? Körbe sind nie nett, Lucas, sagte ich mir selbst und hörte auf, mir selbst was vorzumachen. Egal, wie und was ich nun sagen würde, sie würde niedergeschlagen sein. Doch weil dass das kleinere Übel war, musste ich es durchziehen.


Ich verschränkte also die Arme vor meiner Brust und ging damit in Abwehrhaltung. Desdemona, dachte ich, merke dir: Wenn ein Kerl, den du magst, SO vor dir steht, hast du keine Chance. Das sagte ich natürlich nicht, sondern versuchte es anders zu erklären:

"Das ist ja nett, dass du da an mich alten Knacker denkst, wenn du Hilfe in Mathe benötigst!", sagte ich. Alter Knacker! Es war mir schwer über die Lippen gekommen, denn ich fühlte mich kaum anders als mit 25, doch ich musste Desdemona doch irgendwie klar machen, dass ich nicht der Richtige für sie war.

"Oh Lucas, du bist doch nicht alt!", widersprach sie mir charmant. Tolle Wurst!

"Danke", schmunzelte ich. "Wenn so ein junges Mädchen wie du das sagt ist das natürlich besonders nett". Desdemona lächelte mich wieder an.

"Hilfst du mir?", fragte sie schon fast bettelnd, und das war wirklich unglaublich.

"Höre zu", begann ich ihr zu erklären, warum ich keinesfalls mit ihr lernen konnte, "es ist so: Ich habe in der nächsten Zeit sehr viele Termine und werde keine Zeit für dich finden. Du solltest dir das von jemand anderem erklären lassen. Ihr habt doch in der Klasse sicher jemanden, der gut ist in Mathe". Desdemonas Gesichtszüge wurden sofort ernst.

"Ich kenne die ganzen Leute doch noch nicht so gut!", sagte sie verzweifelt. "Woher soll ich wissen, wer da ein Mathegenie ist und wer nicht?"

"Frage doch deine Nebensitzer", schlug ich ihr unbeeindruckt vor. "Ich kann es jedenfalls nicht für dich machen, tut mir leid". Diese Abfuhr verstand sie dann tatsächlich und verabschiedete sich schnell von mir.

 

Und ich fragte mich, ob es damit endlich vorbei war. Was, wenn das Gerda mitbekäme? Ich war mit Gerda nun schon viele Jahre befreundet, und das sollte auch in Zukunft noch so bleiben.

Es war natürlich nicht vorbei. Desdemona suchte auch weiterhin den Kontakt zu mir, egal ob persönlich oder telefonisch. Irgendeinen Grund fand sie immer, und mir fiel bald nichts mehr ein, um sie auf die nette Art zu überzeugen, dass ich nicht an ihr interessiert war.

Deswegen hatte ich mir vorgenommen, mit Gerda darüber zu sprechen. Sie musste es von mir selbst erfahren und sie musste helfen, dass Desdemona aufhörte, mir hinterherzurennen.


Wir waren in die Eisdiele gefahren und hatten es uns auf dem Sofa in Candy-Form gemütlich gemacht.

Nachdem wir zuerst ein bisschen normalen Small-Talk gehalten hatten, kam ich dann auf das dringliche Thema zu sprechen.

"Gerda", begann ich und überlegte, wie ich ihr das sagen konnte. Ich hoffte zum einen, dass sie mir glaubte, dass ich nichts dazu beigetragen hatte, dass mir Desdemona hinterher rannte, ich wollte aber ja auch keine Petze sein und die Kleine vor ihrer Mutter schlecht dastehen lassen. Wie sagte ich das also am Besten? Natürlich hatte ich mir schon auf der Herfahrt Gedanken dazu gemacht, doch so richtig zufrieden war ich mit keiner Möglichkeit gewesen.

"Ja?", hakte Gerda nach, nachdem ich nicht weiter sprach.

"Es gibt etwas Wichtiges, was ich mit dir besprechen muss", sagte ich. Gerdas Gesicht wurde ernster.

"In Ordnung. Brauchst du meine Hilfe?", fragte sie mich. Ich nickte leicht.

"So könnte man es nennen, ja". Ich schluckte noch mal kurz und betete, dass sie mich nicht falsch verstehen würde. Dann sprach ich weiter: "Es ist eine Sache, die begonnen hat, während ich die zwei Wochen bei euch gewohnt habe"

"Aha", machte Gerda. "Was ist los, Lucas?"

"Hör zu, bevor ich dir das gleich sage, muss ich betonen, dass ich das nicht gewollt habe! Ich weiß nicht, warum das passiert ist oder wie ich das hätte verhindern können". Gerda lachte auf.

"Ich glaube dir ja, Lucas! Ich weiß doch, dass du mich nicht belügen würdest! Also, jetzt raus mit der Sprache: Was ist passiert?"

"Ich glaube, dass deine Tochter für mich schwärmt", sagte ich dann.

Gerdas Gesichtszüge wurden wieder ernster.

"Miranda? Dabei hielt ich sie immer für so vernünftig..."

"Es ist Desdemona", erklärte ich sofort und nun sah Gerda schon fast schockiert aus.

"Das kann doch nicht sein! Sie wird doch gerade mal 15!", meinte sie dann.

"Oh ja, das weiß ich. Und ich verstehe es kein bisschen!", sagte ich ehrlich.

"Wie äußert sich das denn? Bist du sicher?". Ich seufzte auf.

"Gerda, Desdemona telefoniert wöchentlich mehrmals mit mir, wartet vor meiner Arbeit oder vor meinem Haus auf mich und... ich habe es gehört, als sie es zu Miranda gesagt hat. Zweifel ausgeschlossen". Gerda schüttelte ungläubig den Kopf.

"Desdemona ist sehr zielstrebig. Normalerweise begrüße ich das auch sehr, aber hier..."

"Ich weiß", sagte ich. "Nur habe ich so langsam keine Ahnung mehr, wie ich ihr auf die nette Art sagen soll, dass ich nicht der Richtige für sie bin. Und ich habe das versucht, das kannst du mir glauben!"

"Ich glaube dir das ja auch", sagte Gerda und ich atmete erleichtert auf. Wenigstens war das nicht zu einem Problem geworden! "Ich werde mit ihr reden. Sie ist meine Tochter und ich möchte, dass es ihr gut geht. Einem Mann hinterherzurennen, den sie nie wird haben können, macht sie sicher nur unglücklich, und das möchte ich nicht"

Ich seufzte auf.

"Das möchte ich natürlich auch nicht!", bestätigte ich sofort. "Aber wenn du mit ihr redest, weiß sie, dass ich mit dir darüber gesprochen habe", sagte ich.

"Ich werde schon eine Möglichkeit finden, dass sie nicht darauf kommt. Aber irgendetwas muss man ja machen, so geht das ja nicht", erklärte Gerda resolut. Das sah ich natürlich auch so.


Wir verabschiedeten uns mit den Versprechen, dass wir uns auf jeden Fall auf dem Laufenden halten würden.

Als Hanna, Raphael und ich am nächsten Tag in unserem Garten waren und das immer wärmer werdende Wetter genossen, fiel mir auch wieder ein, dass auch Hanna noch keine Ahnung über meine glühende Verehrerin hatte. Auch das musste geändert werden. Wir hatten gelernt, wie wichtig es war, über so etwas zu sprechen und ich musste Hanna einweihen, das ging gar nicht anders.


Aber noch etwas anderes ging mir beim Anblick meiner Familie im Kopf herum. Etwas, an das ich in den letzten Wochen immer mal wieder gedacht hatte, nämlich seit der Zeit bei den Kappes, als mich Miranda gefragt hatte, warum Hanna und ich noch nicht verheiratet waren.


Ja, es war einfach nur wichtig, dass wir zusammen waren. Sie gehörte zu mir und ich zu ihr, und wir hatten einen gemeinsamen Sohn. Das war meine Familie. Und doch gefiel mir der Gedanke immer besser, dass wir unsere Beziehung krönen könnten, dass wir aller Welt zeigen würden: Wir gehören zusammen! Und mir gefiel der Gedanke, Hanna als meine Frau vorzustellen, nicht nur als meine Lebensgefährtin. Es hatte etwas noch stärker verbindendes, wenn wir uns auf so eine Art zueinander bekennen würden.


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19.03.19 Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Seite nun fit für die DSGVO gemacht, alles ist online und ihr könnt hier wieder die Abenteuer meiner Schillers lesen!

 

Ich wünsche euch viel Spaß dabei!

 

 

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