Aufgabe 7 - Teil 3

An einem Freitag drei Wochen später besuchte mich mal wieder Oli. An diesem Tag hatte es zum ersten Mal geschneit, der Winter klopfte nun bereits an die Tür, aber Oli hatte sich vom Schnee nicht aufhalten lassen und war nach Two Lake City gefahren.

 

Ich hatte uns Lachs gemacht, und wir setzten uns, um zu Essen.

"Du bist immer noch so dünn!", tadelte ich meinen Bruder, der mehr ein Strich in der Landschaft war als alles andere. Das hatte sich auch in dem Jahr seit der OP nicht geändert.

"Ach was, da ist schon wieder ordentlich was drauf gekommen!", meinte er. Das sah ich ganz anders, im Gegensatz zu ihm sah ich aus wie ein Fettkloß.

"Von wegen! Und weil ich das wusste, habe ich heute fetthaltigen Lachs gemacht", grinste ich.

"Wie nett von dir", frotzelte Oli und aß mit gutem Appetit weiter, "Aber es schmeckt fantastisch. Wo hast du so gut kochen gelernt?"

"Meine Mutter ist eine gute Köchin, ich habe viel von ihr. Und nachdem unser Vater gestorben war, habe ich auch immer mal wieder eine Kleinigkeit zu essen gemacht, weil sie... das nicht konnte. Naja, und jetzt, seit ich nicht mehr zu Hause lebe, habe ich auch immer mal wieder was Neues probiert. Es freut mich, dass es dir schmeckt"

"Es ist wirklich richtig gut. Bist du dir sicher, dass Architekt das richtige für dich ist und nicht Koch?", fragte Oli und schob sich die nächste Gabel mit Lachs in den Mund. Ich lachte.

"Ja, absolut sicher", sagte ich fest, "Und wie geht es dir? Sind die Ärzte zufrieden?", wollte ich wissen.

"Ja, bis jetzt ist noch alles gut. Aber du weißt ja, dass man erst in vier Jahren die Prognose der vollständigen Heilung geben kann". Ja, das wusste ich. Leukämiepatienten galten erst nach fünf Jahren als geheilt.

"Verträgst du deine Medikamente jetzt besser?", hakte ich weiter nach. Oliver musste Medikamente einnehmen, die sein Immunsystem unterdrückten, damit die von mir transplantierten Stammzellen nicht abgestoßen wurden. Und das sein Leben lang. Das irrsinnige an diesen Medikamenten war, dass sie krebsauslösend sein konnten. Was nichts anderes bedeutete, dass es sein konnte, dass er zwar von der Leukämie geheilt war, aber dafür einen anderen Krebs entwickelte.

"So langsam gewöhne ich mich daran, ja", sagte er. "Blöd ist, dass ich jetzt so anfällig für Krankheiten bin. Ein Windhauch und ich habe einen Schnupfen". Ich nickte. Das alles war mehr als hart, Oli würde immer eingeschränkter als wir anderen sein.

 

"Und wie fühlst du dich sonst?", wollte ich von ihm wissen.

"Gut. Ich werde meine Ausbildung zum Tontechniker wieder aufnehmen, die ich wegen der Krankheit unterbrechen musste"

"Oh, das ist ja großartig!", freute ich mich, "Kannst du in deinem alten Ausbildungsbetrieb weitermachen oder musstest du was Neues suchen?".

"Ich kann bei dem kleinen Radiosender wieder anfangen, bei dem ich zuletzt war", sagte Oli, und in dem Moment kam Johanna von der Arbeit. Sie sagte:

"Hallo ihr zwei! Oliver, es ist schön, dich mal wieder zu sehen!", begrüßte sie ihn.

"Es freut mich auch, dich mal wieder zu sehen!", gab Oli zurück.

"Von mir redet natürlich niemand", machte ich gespielt beleidigt, und Johanna eilte sofort zu mir, um mir einen Kuss zu geben.

"Nicht, dass du zu kurz kommst", lachte sie, holte sich einen Teller Fisch und setzte sich zu uns.

"Habe ich das gerade richtig verstanden, dass du wieder deine Ausbildung aufnehmen kannst?", fragte Johanna.

"Ja", antwortete Oli kauend. "Ich freue mich schon riesig. Endlich wieder etwas Sinnvolles tun. In den letzten Tagen habe ich angefangen, den Stoff wieder aufzufrischen, im Januar geht es dann wieder los".

"Wie lange musst du dann noch?", wollte ich wissen.

"Nun, vor dem Tontechniker habe ich ja schon meine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker absolviert, als Grundlage. Die Ausbildung zum Tontechniker selbst dauert insgesamt nur ein Jahr, davon habe ich schon die Hälfte. Wenn also alles gut läuft, bin ich im Sommer fertig".

"Klasse", freute ich mich für ihn. "Ich dagegen büffel noch ein Weilchen länger, und du bist der Jüngere von uns beiden. Ungerecht!" 

"Tja, so ist es, wenn man unbedingt Abi und Uni braucht", frotzelte Oli. "Wie klappt es denn bei dir? Alles gut im Studium?"

"Ich schlage mich so durch", sagte ich. Da schaltete sich Johanna ein.

"Glaube ihm kein Wort, er ist nämlich richtig gut", sagte sie nicht ohne Bewunderung in der Stimme und ich sah sie verliebt an.

Auch sie sah mir nun tief in die Augen, und für einen Moment versank mal wieder alles um uns herum.

"Wenn ihr alleine sein wollt, sagt einfach Bescheid, ja?", lachte Oli und wir erwachten aus unserem Nebel. Ich räusperte mich, weshalb Oli nun noch mehr lachte.

"Ihr seid doch schon fast ein Dreivierteljahr zusammen, oder? Wie lange wird das wohl noch so gehen?", wollte er wissen.

 

Was hätte ich ihm da sagen sollen? Wenn es nach mir ginge, war die Antwort: Noch sehr, sehr lange.

Nach dem Essen spielten wir noch ein bisschen Darts und konnten so noch ein wenig quatschen.

"Wohnt Johanna jetzt eigentlich schon fest hier?", fragte mich Oli, während er die Dartpfeile nahm und sich in Position vor die Dartscheibe stellte.

"Ja, das könnte man schon so sagen. In der WG hätte sie eh nicht mehr lange bleiben können, die ist ja für Studenten gedacht. Und so hätte sie sich was eigenes suchen müssen, da haben wir gedacht, dass es doch sinnvoller ist, wenn sie hierher zieht". Oli warf einen Pfeil in das 20er-Feld der Dartscheibe, grinste dann breit und sah mich an.

"Sinnvoller also", sagte er. "Wenn es weniger sinnvoll gewesen wäre, wärt ihr zwei also nicht auf die Idee gekommen, zusammenzuziehen, oder?". Ich musste mir ein Grinsen verkneifen und fuhr ihn an:

"Jetzt schieß schon endlich deine restlichen Pfeile ab! Oder willst du Wurzeln schlagen?". Oli lachte laut los und spielte dann weiter.

 

Als er sich gegen Mitternacht von mir verabschiedete, tat ich das wieder mal mit dem sehr guten Gefühl im Bauch, froh zu sein, einen Bruder bekommen zu haben.

Der Winter neigte sich schon dem Ende zu, die Zeit der Grippen und Erkältungen war damit schon fast vorbei, als es Johanna noch mal ziemlich schlimm erwischte. Sie hatte zwei volle Tage gespuckt und auch Durchfall gehabt, eine typische Magen-Darm-Grippe. Jetzt lag sie schon den vierten Tag im Bett und ich hoffte, dass es ihr langsam besser ging.

 

Als ich unser Schlafzimmer betrat, um nach ihr zu sehen, schlief sie.

Ich fühlte vorsichtig ihre Stirn und kontrollierte, ob sie Fieber hatte, doch ihre Stirn fühlte sich normal temperiert an. Dann legte ich die Decke wieder richtig über sie und wollte gerade hinaus gehen, als sie sich bewegte.

Johanna wachte auf und setzte sich hin.

"Wie geht es dir heute, Jojo?", fragte ich sie.

"Ich weiß noch nicht", murmelte sie schlaftrunken. "Zuerst muss ich mal dringend wohin"

"Musst du etwa wieder spucken?", fragte ich sie besorgt, aber sie lächelte.

"Nein, mir ist nicht mehr schlecht. Meine Blase drückt nur so furchtbar", sagte sie und ging, so schnell wie sie konnte, ins Bad.

Als sie wieder hier war, fragte ich sie erneut:

"Und? Wie geht es dir?"

"Ganz gut. Ich glaube, ich bin jetzt bald wieder auf dem Damm", sagte sie.

Ich nahm sie in den Arm und wollte sie dann wieder ins Bett verfrachten, damit sie sich vollends erholen konnte.

Doch Jojo küsste mich und ich roch, dass sie sich gerade im Bad auch die Zähne geputzt hatte. Frische Minze, gemischt mit ihrem typischen Jojo-Geruch konnte ich jetzt bei diesem Kuss schmecken.

 

Jojo legte ihre Hand in meinen Nacken und zog mich fest zu sich heran. Natürlich reagierte ich sofort auf sie, und weil das jetzt nicht ging, zog ich mich sanft zurück.

"Schatz, du solltest mich nicht so küssen, wenn du noch krank bist. Sonst komme ich noch auf ganz andere Gedanken", erklärte ich ihr.

"Ich fühle mich aber überhaupt nicht mehr so krank", machte sie meinen Tonfall nach. "Ganz im Gegenteil. Ich fühle mich fit genug für so manche Dinge, die wir jetzt und hier tun könnten". Gott, schon wie sie das sagte! Ihre Stimme war eine Oktave nach unten gerutscht, sehr sexy und dazu ihr Blick und ihre geöffneten Lippen - wie sollte ich da widerstehen können?

Ich machte uns die Kerzen auf dem Nachttisch an und legte mich zu Johanna auf das Bett.

"Du bist dir ganz sicher, dass das hier schon wieder geht?", vergewisserte ich mich noch einmal.

"Ganz sicher", bestätigte sie.

Was dann folgte war sanft und gefühlvoll, und ich war voller Liebe zu dieser Frau, die mich aus meinem Beziehungsdornröschenschlaf geweckt hatte. Als ich danach fertig, aber glücklich, neben ihr lag, sagte ich ihr noch, wie sehr ich sie liebte, bevor ich dann einschlief. Johanna in meinen Armen ruhend.

Als es Johanna wieder ganz gut ging, wurden wir von Benny und Amber zum Essen eingeladen.

 

Wir waren überrascht, denn es gab überhaupt keinen Anlass dazu, freuten uns aber sehr, die beiden mal wieder zu sehen. Wir gaben beim Kellner unsere Bestellung auf und ich wurde natürlich sofort hellhörig, als Benny eine Flasche Sekt dazu bestellte. Was war nur los?

"Sagt mal, gibt es etwas zu feiern?", fragte ich dann auch.

"Schon möglich", sagte Benny geheimnisvoll, und Amber begann zu kichern.

"Macht es bitte nicht zu spannend!", sagte Johanna, die nun sicher auch wissen wollte, was hier los war.

"Also eigentlich wollten wir euch das erst nach dem Hauptgang erzählen", grinste Benny.

"Aber jetzt habt ihr keine andere Wahl, als uns sofort zu sagen, was ihr ausgeheckt habt", warf ich sofort ein. Das ging ja jetzt nicht, dass man uns hier so auf die Folter spannte!

"Haben wir nicht?", echote Amber.

"Habt ihr nicht", bestätigte ich und Johanna und ich sahen die beiden gespannt an. Benny warf Amber einen verliebten Blick zu, und Amber sagte:

"Benny hat mir einen Heiratsantrag gemacht!"

"Was?", freute ich mich. Das war ja großartig! Die beiden würden heiraten! Dann wandte ich mich an Amber, um sie ein kleines bisschen zu ärgern:

"Den Heiratsantrag hast du sicher nicht angenommen. Immerhin wirst du in diesem Jahr erst 20!", und grinste sie frech an. 

"Und wie ich den angenommen habe!", sagte Amber und drückte Bennys Hand.

"Ich freue mich für euch!", lachte Johanna, "Gratulation!"

"Ich gratuliere euch natürlich auch!", schloss ich mich an, und in dem Moment wurde das Essen aufgetragen. Kurz darauf kam auch schon der Sekt und wir konnten auf die Verlobung von Benny und Amber anstoßen.

"Auf euch!", sagte ich, als wir alle unsere gefüllten Gläser vor uns stehen hatten. "Und auf euer Leben zu zweit!"

"Auf euch!", sagte Johanna, und wir tranken alle einen kräftigen Schluck. Der Sekt war gut, und machte die eh schon gute Stimmung noch besser.

"Habt ihr schon etwas geplant?", fragte Johanna.

"Nein, noch gar nichts. Das ist alles noch so frisch, so dass wir noch nichts Festes planen konnten. Aber der Termin wird wohl irgendwann im Frühling sein", erklärte Amber.

"Na, dann warten wir mal, ob wir eine Einladung bekommen", zwinkerte ich Johanna zu, die zurückgrinste.

"Das kommt ganz darauf an, wie vor allem du dich Lucas, in der nächsten Zeit verhälst!", gab Benny trocken von sich und wir lachten alle los.

 

Unser weiteres Gespräch drehte sich dann hauptsächlich über die bevorstehende Hochzeit, und Amber fragte Johanna, ob sie Lust habe, mit ihr nach einem Brautkleid zu suchen, dem Jojo freudig zustimmte. 

Als wir dann wieder aufbrachen, nahm ich eine Frau wahr, die etwas unschlüssig in dem Restaurant stand.

"Warte mal bitte, Jojo", sagte ich zu meiner Süßen, "Ich möchte jemanden begrüßen".

"Marlene! Was machst du denn hier?", fragte ich dann meine frühere Mitbewohnerin. Ich wusste ja, dass sie nicht mehr hier in Two Lake wohnte und war überrascht, sie hier zu sehen.

"Lucas!", begrüßte sie mich nun ebenso überrascht. "Ich bin hier zum Essen verabredet".

"Mit deinem Freund?", fragte ich sie, weil ich noch in Erinnerung hatte, dass sie von einem Mann gesprochen hatte, als wir uns das letzte Mal getroffen hatten. Das war vor fast anderthalb Jahren gewesen, aber sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Nun verdunkelte sich allerdings ihr Blick.

"Nein", sagte sie dann hart, "Ich bin Single. Der Mann, von dem ich dir erzählt habe, hat mich nach einem Jahr wieder verlassen".

"Oh, das tut mir leid", gab ich zurück.

"Muss es dir nicht. Ich treffe mich hier mit einer alten Kollegin vom Lebensmittelgeschäft, mit der ich immer noch Kontakt habe", erklärte sie.

Ich drehte mich zu Johanna um und bedeutete ihr, näher zu kommen.

"Johanna, du kennst ja noch Marlene", sagte ich dann, als sie bei uns stand.

"Natürlich", sagte Jojo und reichte Marlene die Hand.

"Und du bist Johanna, oder? Die Architektin", wusste auch Marlene noch Bescheid.

"Richtig", lächelte Jojo Marlene zu.

"Ihr seid wohl zusammen hier?", fragte Marlene und sah neugierig von Johanna zu mir. Sie lächelte zwar dabei, aber das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. Sie schmerzte es sicher, weil ihre eigene Beziehung in die Brüche gegangen war, während Johanna und ich glücklich waren.

"Ja, zusammen mit einem befreundeten Pärchen. Die warten auch draußen auf uns, wir müssen leider gehen", sagte ich und reichte Marlene die Hand zum Abschied.

"Schönen Tag wünsche ich euch noch", sagte Marlene.

"Das wünschen wir dir auch", sagte ich, bevor ich mit Jojo das Restaurant verließ. Marlene war also wieder allein, dabei hatte sie beim letzten Treffen so hoffnungsvoll geklungen, was den Kerl betraf. Irgendwie hatte die Frau kein Glück bei den Männern.

In dieser Nacht gingen die Albträume wieder los. Es war in der letzten Zeit etwas besser geworden, aber in dieser Nacht gab es wieder die gesamte Palette.

Natürlich war es wieder Johanna, die in Lebensgefahr schwebte und der ich nicht helfen konnte. Diesmal hing sie über einem Abgrund, klammerte sich an einen Felsvorsprung, den ich eigentlich super erreichen könnte. Aber ich hatte keine Chance, jeder Schritt, den ich vorwärts machte, warf mich zwei zurück. Ich kam nie bei ihr an, hörte die kreischende Stimme Johannas, die unentwegt meinen Namen und immer wieder "Helfe mir!" rief. Doch ich konnte ihr nicht helfen, ich entfernte mich immer mehr von ihr. Und irgendwann verließen sie ihre Kräfte und sie stürzte mit einem markerschütternden Schrei in die Tiefe.

Mit einem erstickten Keuchen wachte ich schweißgebadet aus diesem Albtraum auf. Mein Herz klopfte, als hätte ich gerade auch in Wirklichkeit versucht, diesen Felsvorsprung rennend zu erreichen.

Ich setzte mich auf und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Außerdem versuchte ich, wieder ruhiger zu atmen, denn mein Herz klopfte so schnell, dass es sich anfühlte, als würde es gleich explodieren.

 

Warum? Warum immer noch diese Träume? Und dann in dieser Heftigkeit? Wie oft hatte ich Johanna schon in den Träumen verloren? Es waren die unterschiedlichsten Situationen gewesen, mein Unterbewusstsein zeigte da eine erstaunliche Kreativität. Am häufigsten waren es Unfälle im Straßenverkehr, und das wunderte mich nicht wirklich. Ich hatte meinen Vater bei einem Unfall verloren, natürlich projizierte mein Unterbewusstsein nun Johanna in diese Situationen. Aber sie war im Traum auch schon von Baustellen geflogen, vom Balkon eines riesigen Hauses, in dem wir auf einer Party gewesen waren, war in einem Gewitter von einem Blitz erschlagen worden, wurde von einem Fremden erschossen, war im Mühlsee in Two Lake ertrunken, an einem im Hals stecken gebliebenen Bissen erstickt. Und jetzt also reihte sich da auch ein Abgrund ein. Und immer war ich dabei, immer konnte ich sie nicht retten. Es machte mich fertig.

Hinter mir raschelte es, Johanna wachte auf. Leider hatte sie einen ziemlich leichten Schlaf und es meistens mitbekommen, wenn ich aus einem der Albträume erwacht war.

"Liebling?", fragte sie verschlafen.

"Ja", gab ich knapp zur Antwort und wünschte, ich hätte sie nicht geweckt.

"Hast du wieder geträumt?"

"Ja". Ich schluckte und drehte mich zu ihr um. Sie streckte mir ihren Arm entgegen, und ich legte mich zu ihr.

"Was war es diesmal?", fragte sie mich.

"Ich... ist ja egal", wich ich der Frage aus. Johanna sagte erst mal nichts dazu und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

"Glaubst du, es wäre besser, wenn du Hilfe von außen bekommen würdest?", fragte sie dann nach. "Ich mache mir ganz schön viele Sorgen, um ehrlich zu sein. Du scheinst da einiges nicht verarbeitet zu haben".

"Bitte, mache dir keine Sorgen, ja? Wer weiß, was meinem Unterbewusstsein sonst noch alles einfällt", wollte ich scherzen, doch es war ein blöder Spruch, das wusste ich selbst.

"Aber wenn das nicht aufhört, solltest du vielleicht wirklich mal..."

"... zu einem Seelenklempner gehen, klar", ergänzte ich ihren Satz trocken.

"Das ist keine Schande, Lucas. Und es betrifft ja nicht nur die Nächte, in denen du von Albträumen geplagt wirst. Wie oft hast du schon auch tagsüber Angst um mich gehabt? Mir hinterhertelefoniert, bist mir hinterhergefahren?". Ich schluckte, denn ich wusste natürlich, dass sie recht hatte.

War ich wirklich so fertig, dass ich zu einem Therapeuten musste? Wo war Hoppel diesmal? Der hatte mir doch letztes Mal so gut helfen können, doch jetzt blieb er still. War ich etwa ein hoffnungsloser Fall geworden?

"Lass mir noch Zeit, Jojo", sagte ich dann aber. "Ich bekomme das bestimmt in den Griff. Ich... muss mich erst daran gewöhnen, jemanden so sehr zu lieben, wie ich dich liebe, ohne diese Angst zu haben, ich könnte dich verlieren"

Sie küsste mich zärtlich.

"Du hast alle Zeit der Welt. Ich bin für dich da und möchte, dass du mit mir darüber sprichst, ja?", sagte sie nach dem Kuss zu mir.

"Okay. Allerdings werde ich dich nicht nachts wecken, wenn ich wieder einen Albtraum haben sollte und du nicht davon aufwachst. Sondern werde das erst am nächsten Tag mit dir besprechen, ja?"

"In Ordnung", sagte sie.

Wir legten uns dann wieder eng aneinandergekuschelt hin, und ich schlief erst nach einiger Zeit wieder ein. Der Albtraum hatte mich zu sehr aufgewühlt, und es dauerte etwas, bis ich wieder zur Ruhe gekommen war.

Im Wonnemonat Mai heirateten dann Amber und Benny, und ich hatte mir zu diesem Zweck sogar einen neuen Anzug gekauft.

Jojo sah in ihrem neuen Kleid einfach zauberhaft aus, und noch bevor wir in die Kirche gingen, küsste ich sie zärtlich.

Gerade, als Hanna und ich in der Kirche Platz genommen hatten, begann die Orgel zu spielen und Amber betrat die Kirche. Sie war eine sehr schöne Braut, blutjung mit ihren 20 Jahren, aber absolut hinreissend. Nun würde also Marks kleine Schwester vor uns allen verheiratet sein.

Benny grinste seine Braut stolz an, als sie bei ihm vorne angekommen war. Der Pfarrer trat nun an die beiden heran und begann mit der Zeremonie.

Als die beiden zu Mann und Frau erklärt wurden und sich darauf ihren Hochzeitskuss gaben, hörte man immer wieder ein Schluchzen in den Reihen der Gäste.

Auch Hanna und ich strahlten. Der Moment war einfach schön. 

Nach der Kirche wurde dem Brautpaar natürlich gratuliert. Als ich Amber umarmte, sagte ich zu ihr:

"Herzlichen Glückwunsch! Ich wünsche dir alles Gute, Kleine!"

"Danke, Lucas!", sagte Amber und wehrte sich nicht mal, weil ich sie >Kleine< genannt hatte. Klar, in dem Moment war ihr das wohl herzlich egal.

"Und du hast mit Benny einen tollen Mann bekommen!", fügte ich noch hinzu.

"Ich weiß", sagte sie ergriffen und strahlte mich dann an. Sie sah so glücklich aus. Ich machte dann Platz für die nächsten Gratulanten und wartete auf Johanna, die hinter mir war und nun ebenfalls Amber gratulierte.

Danach ging es dann ins nebenan gelegene Gemeindehaus, wo die Feier stattfand. Dort gab es Essen vom Buffet, lauter Leckereien, die wir uns munden ließen.

Mit Mark hatte ich viel Spaß, wir alberten ziemlich viel herum.

"Jetzt ist deine kleine Schwester schon vor uns verheiratet, Mark. Das wird sie uns ewig vor die Nase halten!", meinte ich zu ihm.

"Ich hoffe nicht! Sonst müssen wir der Kleinen diese Flausen austreiben, wie früher!", grinste er.

Nach dem Essen eröffneten Benny und Amber die Tanzfläche mit dem Brauttanz.

Die beiden hatten noch einen Crash-Tanzkurs belegt, um hier heute eine gute Figur zu machen. Und es sah wirklich nicht schlecht aus, was sie da fabrizierten, vor allem hatten sie eine Menge Spaß und wurden von uns Gästen noch mehr angefeuert.

 

Als die Tanzfläche eröffnet war, begannen nun auch andere Pärchen zu tanzen. Ich hatte seit dem Tanzkurs in der 8. Klasse nicht mehr diese Standardtänze getanzt und wusste nicht, ob ich die Schritte überhaupt noch hinbekam.

Ich selbst sah auf der Tanzfläche jemanden, den ich hier nie erwartet hätte. Also ging ich auf sie zu, und während ich ihr die Hand gab, fragte ich:

"Tiffany! Was machst du denn hier?".

"Na, was glaubst du wohl?", fragte sie zurück. Tiffany war eine Kollegin in dem Betrieb gewesen, in dem ich meine Ausbildung zum Technischen Zeichner gemacht hatte.

"Wegen wem bist du heute hier?", fragte ich weiter.

"Ich bin Bennys Cousine", antwortete sie, und ich dachte nur mal wieder, dass die Welt doch wirklich klein war.

Ich unterhielt mich noch mit Tiffany, als Jojo zu uns trat.

Ich machte die beiden einander bekannt und bemerkte, wie Johanna Tiffany musterte.

"Schön, dich kennenzulernen!", sagte Tiffany zu Jojo.

"Freut mich ebenso!", gab Jojo zurück, und dann unterhielten wir uns noch ein wenig zu dritt. 

Weil Benny und Amber dann die Hochzeitstorte anschnitten, eilten wir Gäste zu den beiden, um ihnen dabei zuzusehen. Als Amber den Kuchen anschnitt, sah ich mich nach Jojo um, die das gerade zu verpassen schien, denn sie war nicht zu sehen.

Doch dann erblickte ich sie. Sie saß allein an der Festtafel und starrte vor sich hin.

 

Und das war er, der Moment, wo ich mich zum ersten Mal fragte, ob ich Johanna überhaupt gut tat.

 

Mir war völlig klar, warum sie dort saß und die Hochzeit nicht mehr genießen konnte. Sicher fragte sie sich, ob ich mit Tiffany was gehabt hatte.

Notenbild ist verlinkt und führt zu einem Video.

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Ich forderte sie dann kurzerhand zum Tanzen auf. Da die meisten noch mit ihren Kuchen beschäftigt waren, hatten wir die Tanzfläche für uns allein. Ich vergaß sogar, Panik zu bekommen, weil ich die Schritte gar nicht mehr richtig konnte.

 

Jojo kam mit mir mit, und ich legte sanft meine Hand auf ihren Rücken, während wir uns mit der anderen hielten.

"Höre zu, Hanna", begann ich dann, während ich sie über das Parkett schob, "Tiffany ist eine frühere Kollegin von mir. Sie war in dem Betrieb, in dem ich meine Ausbildung zum Technischen Zeichner gemacht habe, ebenfalls eine Auszubildende".

"Ich habe doch gar nichts gesagt", sagte sie und versuchte zu lächeln. Es misslang ihr, und wieder dachte ich, dass ich ihr jetzt sogar schon die Hochzeit unserer Freunde versaute.

Ich küsste sie, um diese Schatten zu verjagen, die sich über uns legen wollten, doch selbst das half nicht.

Denn mir war ganz klar, dass es nicht nur diese Situation heute war, die sie erneut durcheinander gebracht hatte.

 

Bei genauem Überlegen hatte es auch in den Wochen und Monaten davor immer wieder solche Momente gegeben, die sie daran erinnerten, dass ich ihr so lange keinen Blick geschenkt hatte, dafür aber vielen anderen Frauen. Sie hatte ja leider viel mitbekommen. Johanna war wie ich hier aufgewachsen, und wir waren uns immer wieder über den Weg gelaufen. Wenn ich daran dachte, was sie alles gesehen hatte, während sie schon in mich verliebt gewesen war, fuhr es mir kalt den Rücken runter. 

 

Entweder, sie belastete das nun doch mehr, als sie zugab, oder sie war eifersüchtig und hatte Angst, ich könnte sie verlassen. Oder beides.

Die Stimmung zu Hause wollte sich nicht mehr ganz normalisieren. Ich beobachtete Johanna und wollte so herausfinden, ob sie eifersüchtig war. Und ich merkte ihr an, dass sie das belastete. Nicht nur diese Frauensache, sondern auch meine Albträume und meine immer wieder mal herrschende Angst, dass ich sie verlieren könnte. Sie sagte aber kein Ton zu mir.

 

Ich war an einem Samstag in der Stadt und wollte mir in der Buchhandlung ein neues Buch über Architektur besorgen, das uns mein Professor empfohlen hatte, als es trotz Sonnenschein zu regnen anfing. Und mir Gerda vor dem Prima Gelato entgegenkam. Wir wechselten nur ein paar wenige Worte, um nicht völlig durchnässt zu werden, aber die hatten schon gereicht, um mich daran zu erinnern, wie schlecht es Gerda und ihrer Familie zur Zeit ging.

 

Mir war noch gut im Ohr, wie ich zu ihr gesagt hatte, dass sie nicht die Therapeutin von Albert war, aber mir fiel auf, dass Johanna genauso zu meiner Therapeutin geworden war. Wie oft hatte sie mich schon beruhigen müssen?

 

Aber auch Johanna sollte das nicht sein müssen, und irgendetwas musste passieren. Ich wusste nur noch nicht, was.

Es war ein paar Tage später, als ich mich mit einer meiner Kommilitoninnen zum Lernen traf. Die nächsten Prüfungen kamen mit großen Schritten auf uns zu und ich würde, wenn alles gut lief, mein 4. Semester abschließen können.

 

Toni saß dann mit mir in der Küche und wir wälzten unsere Bücher. Toni hieß eigentlich Antonia, aber sie mochte den Namen nicht besonders und bestand darauf, dass man sie nur Toni nannte.

 

Wir machten gerade eine Pause und plauderten über Belangloses, als Johanna von ihrer Arbeit kam.

"Hallo", grüßte sie uns und sah Toni an. Und ich konnte in diesem Blick sehen, was sie dachte: Nicht schon wieder eine Frau.

Ich erhob mich und ging zu ihr hin.

"Hallo Schatz", begrüßte ich Johanna und gab ihr einen Kuss. "Ihr beiden kennt euch noch nicht, oder? Toni, das ist meine Freundin Johanna, und Johanna, das ist Toni. Wir studieren zusammen und haben ein bisschen gelernt, bevor es jetzt ja bald mit den Prüfungen losgeht". Die beiden Frauen reichten sich die Hand.

"Lucas hat mir schon eine Menge von dir erzählt!", sagte Toni zu Johanna und strahlte sie an.

"Du bist also Toni? Und ich dachte immer, dass du ein Mann bist!", sagte Johanna überrascht. Und ich konnte nur ahnen, was in Johannas Kopf gerade herumging. Toni lachte auf. 

"Naja, Antonia gefällt mir überhaupt nicht, und deshalb lasse ich mich von allen Toni nennen", erklärte sie.

"Aha", machte Johanna und konnte den Blick nicht von Toni lassen. "Ich würde ja noch gerne mit euch plaudern, aber ich muss noch was für die Arbeit tun". Damit ging Johanna aus der Küche hinaus und ins Arbeitszimmer.

Scheiße.

 

Es war mehr als offensichtlich, dass Johanna und ich in einer Sackgasse gelandet waren. Und es war für mich wirklich kaum zu ertragen, sie so zu sehen. Außerdem schmerzte es mich, dass sie mir scheinbar nicht vertraute.

 

Ich verabschiedete mich von Toni unter dem Vorwand, dass ich nachher noch zu meiner Mutter müsste und ging, nachdem sie gegangen war, in das Arbeitszimmer.

Als ich das Arbeitszimmer betrat, saß Johanna weinend am Schreibtisch. Und mir wurde bei ihrem Anblick ganz anders. Tränen bei einer Frau - das ging immer noch nicht. Und bei Johanna schon gleich zweimal nicht.

 

Ich sah diesen Schmerz auf ihrem Gesicht, und mein Magen zog sich so hart zusammen, dass ich mich fast übergeben musste.

 

Die 14 Monate mit ihr waren für mich unglaublich schön gewesen, denn ich liebte zum ersten Mal in meinem Leben. Johanna war wirklich genau die Frau, die mich glücklich machte. Und vor allem: Die ich glücklich machen wollte. Aber sie war eben nicht glücklich, und das schmerzte mich wirklich sehr.

"Jojo", sagte ich sanft, und Johanna schrak auf. Sie hatte mich wohl nicht kommen gehört und wischte sich jetzt schnell die Tränen von den Wangen.

"Ich... komme gleich", sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Dieser Gesichtsausdruck, diese Traurigkeit in ihren Augen – ich wollte schreien, so weh tat mir das, sie so zu sehen.

„Du hast geweint“, sagte ich dann nur, und meine Stimme zitterte sogar leicht.

„Nein, ich…“, stammelte sie, und ihr Blick senkte sich. Ich hob ihren Kopf an ihrem Kinn an und zwang sie so, mich anzusehen.

„Doch“, sagte ich traurig. „Das hast du. Und ich weiß auch, warum“

„Mache dir keine Gedanken darüber“, sagte sie. „Es geht gleich wieder“

„Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken darüber“, sagte ich zu ihr. Nun trat ein überraschter Ausdruck auf ihr Gesicht. Wir standen beide für Sekunden einfach nur da und sahen einander an.

Ich musste sie gehen lassen. Das wurde mir spätestens in diesem Moment völlig klar. Ich würde sie nie glücklich machen können, und Johanna verdiente es mehr als alles andere, richtig glücklich zu sein. Doch ich war definitiv nicht der richtige Mann dafür.

„Du machst dir Gedanken?“, fragte sie dann in diese unerträgliche Stille. „Über was?“. Ich musste es ihr sagen und wusste nicht wie.

„Über… uns“, sagte ich dann nur.

„Über uns?“

„Ja“. Wieder Stille. Johanna stand so dicht bei mir, und ich hätte sie am liebsten in die Arme genommen. Doch ich zog das jetzt durch. Ich musste einfach. „Du bist mit mir unglücklich“, hörte ich mich sagen. Nun sah sie mich überrascht an.

„Nein! Das bin ich nicht, und das weißt du auch!“

„Hanna“, sagte ich, „Ich merke es doch! Bitte. Du musst dich nicht mehr verstellen. Nie mehr“

„Was bedeutet das alles, Lucas?“, fragte sie, und ich hörte einen Ton aus ihrer Stimme heraus, den ich noch nie zuvor an ihr gehört hatte. War das Panik?

„Ich möchte einfach, dass du glücklich bist. Und ich bin es nicht, der dich glücklich machen kann, das haben wir in den letzten Wochen doch immer wieder gemerkt. Auch heute hast du wieder wegen mir geweint. Ich mute dir das jetzt einfach nicht mehr zu“. Meine Stimme war immer leiser geworden und war am Ende schon fast nur ein Flüstern. Und fast unbemerkt hatten meine Hände zu zittern begonnen, ich bemerkte es erst, als ich mir zittrig durch die Haare fuhr.

"Sag so etwas nicht!", sagte sie erschrocken. "Du weißt, dass ich dich liebe und ich möchte, dass...", doch ich unterbrach sie.

"Eine Liebe sollte einen aber nicht kaputt machen, oder?", fragte ich sie.

Sie ahnte schon, worauf ich hinaus wollte, denn ihre Augen wurden riesig, so voller Angst. Ich konnte sie so nicht sehen und hätte mich am Liebsten entschuldigt, sie geküsst und dann das hier einfach vergessen.

„Nein! Lucas, bitte! Ich werde lernen, damit klar zu kommen! Wirklich!“, sagte sie und hob dabei ihre Stimme an.

"Das ist ja nicht alles", fügte ich hinzu. "Zu dem spielst du hier schon Therapeutin für mich, und das geht nicht"

"Das ist kein Grund", sagte sie, "Das weißt du! Ich möchte alles mit dir durchstehen..." 

"Und ich will dich glücklich sehen", unterbrach ich sie.

"Dann vergessen wir dieses Gespräch und machen so weiter wie bisher", sagte Johanna und sah mich verzweifelt an. Sie meinte das ernst, das wusste ich. Aber genau das wollte ich nicht.

"Nein", sagte ich dann, "Wir machen ganz sicher nicht weiter wie bisher. Weil es dir nicht gut tut".

"Lucas...". Ihre Stimme erstarb, als sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Ich fühlte mich elend, und meine Stimme brach fast weg, als ich zu ihr sagte:

"Suche dir einen Mann, der dich glücklich machen kann"

"Aber das bist doch nur du! Schon so viele Jahre bist das immer nur du gewesen!", sagte sie tränenerstickt.

Sie hielt daran fest, sah nicht, auf welchem Weg wir uns befanden. Es würde immer schlimmer werden. Sie würde sich sicher verändern, weil sie ständig darauf gefasst sein würde, entweder eine Panikattacke von mir schlichten zu müssen oder eine Frau zu begutachten und abzuschätzen, ob die eine Gefahr für sie war oder nicht. Meine fröhliche, herzliche Johanna würde sich in ein verbittertes Elend verwandeln. Wie meine Mutter.

 

Nein, das ließ ich nicht zu. Es tat mir selbst unendlich weh, sie zu verlieren, aber es musste sein. Ich liebte sie zu sehr, um das geschehen zu lassen und wusste nicht mehr, wie ich ihr deutlich machen sollte, dass es besser war, wenn sie nicht bei mir blieb. Und um ihr das endgültig klar zu machen, sagte ich dann etwas zu ihr, was sich so falsch anhörte, dass sich mir der Magen umdrehte:

"Johanna, ich liebe dich nicht mehr. Es ist besser, wenn wir uns trennen".

Ihr Blick, ihr Gesichtsausdruck, den sie nach diesen Worten bekam, war eines der Gesichter, die man nie gesehen haben wollte und die sich einem in die Netzhaut brannten, um einen ein Leben lang zu quälen. Sie war entsetzt und verletzt, und ich stand stocksteif vor ihr und konnte es nicht fassen, dass ich das gesagt hatte.

"Wenn das so ist...", sagte sie dann völlig tonlos, bevor sie zu weinen anfing und aus dem Zimmer stürmte.

Und ich ließ mich kraftlos auf den Boden sinken und konnte nicht verhindern, dass mir nun ebenfalls die Tränen aus den Augen rannen.

 

Es war vorbei. Nie wieder würde sie wegen mir weinen müssen. Nie wieder.

 

Und wenn auch mein Hirn wusste, dass das so besser war, wurde ich nun vom eigenen Schmerz völlig überrollt.

Als meine Tränen soweit getrocknet waren, dass ich wieder unter Leute konnte, machte ich mich schnurstracks auf den Weg zu Frank. Heute würde ich Trost im Alkohol suchen.

"Na, Lucas? Heute ganz alleine hier?", begrüßte mich Frank.

"Ja, ganz allein", sagte ich und stellte fest, dass das nun auch wieder für mein Liebesleben galt. Ich war wieder Single, allein, ohne Johanna.

 

Ohne Hanna.

 

Alles in mir zog sich zusammen, als mir das jetzt richtig bewusst wurde. Wir waren kein Paar mehr, kein Team. Wir würden nichts mehr miteinander teilen. Jeder würde ab jetzt einen anderen Weg gehen. Es war unvorstellbar schmerzhaft. 

"Lass mich raten: Ein Weizenbier. Habe ich recht?", fragte mich Frank und nannte damit das Getränk, das ich hier meistens bestellte. Eigentlich war es unglaublich, was er für ein Gedächtnis hatte, nur heute reichte mir ein Bier nicht ganz.

"Das kannst du mir dazu stellen. Zum Runterspülen. Aber heute brauche ich auch etwas Härteres. Einen Jacky hätte ich gerne mal für den Anfang".

"Jacky Cola?", hakte Frank nach.

"Pur", sagte ich fest. "Und du kannst die Flasche gleich in Reichweite lassen". Frank sah mich kurz mit großen Augen an, bevor er dann aber den Jack Daniels aus seiner Bar holte und mir ein Glas davon einschenkte.

Ich kippte den Jacky in großen Schlucken in meinen Rachen. Und er brannte mir den Hals runter, so dass ich dachte: Prima, wenns im Hals brennt, dann spüre ich vielleicht diesen Hammerschmerz in der Brust nicht mehr so stark. Das Glas war recht schnell leer und ich orderte sofort eines hinterher. Bis ich das hatte, nahm ich mir das Bier zur Hand und nahm da ebenfalls ein paar kräftige Schlucke davon.

Ich war hierher geflüchtet, um zu vergessen, aber ich dachte ständig an Johanna. Wo war sie wohl jetzt? Als ich noch im Arbeitszimmer gesessen war und mit mir selbst gekämpft hatte, hatte ich gehört, wie die Schranktüren bei uns im Schlafzimmer geknallt hatten. Es war klar, dass sie ein paar Sachen eingepackt hatte und irgendwohin geflohen war. Nur wohin? Zu ihren Eltern? Saß sie jetzt in dem Moment mit Silvia auf der Couch und erzählte, wie sehr ich sie verletzt hatte?

"Frank, noch einen Jacky. Und stell mir gleich noch ein Bier dazu", bestellte ich, als ich mir schon wieder die letzten Tropfen in den Hals kippte.

"Scheißtag gehabt, was?", fragte er, als er mir meine neue Bestellung gab.

"Richtiger Scheißtag", bestätigte ich schon mit etwas schwerer Zunge.

Er bediente dann ein paar andere Gäste, und ich kippte die Getränke abwechselnd und ziemlich unkontrolliert in mich hinein. Ich hoffte, dass ich vergessen konnte. Wenigstens für einen Abend.

"Ich hoffe, das Mädel ist den Brummschädel morgen früh wert", sagte Frank, als er wieder bei mir war und ich ihm mein leeres Jacky-Glas hinhob, damit er es noch mal füllte.

"Ha, schiehsch du! Du hasch auch gleich gewuscht, dasch der Grund eine Frau isch!", begann ich schon etwas zu lallen. Nichtsdestotrotz nahm ich gleich noch mal einen kräftigen Schluck vom Jacky. "Un sie isch es wert", fügte ich noch hinzu.

"Das denkt man doch immer", sagte Frank.

"A...ber bei Johanna... bei Johanna schtimmt das auch!", sagte ich mit erhobenem Zeigefinger und griff diesmal zum Bier.

"Und jetzt hat sie dich sitzen lassen!", folgerte Frank falsch.

Ich lachte hysterisch auf.

"Schie mich? Ich schie! Das isch es ja!", sagte ich und konnte mich kaum mehr konzentrieren. Außerdem begannen die Wände um mich herum zu wackeln und verursachten mir Übelkeit.

Ich war völlig in der Kneipe versumpft und hatte keine Ahnung mehr, wieviel ich schon getrunken hatte, als ich eine bekannte Stimme hinter mir vernahm. Ich drehte mich langsam um, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Kopf schwabbelte. Trotz meiner Vorsichtsmaßnahme drehte sich alles, als ich die Person erblickte.

"Mark, Kummbel!", begrüßte ich ihn und kam schwankend auf ihn zu.

"Oh, er erkennt mich noch", sagte Mark trocken und ich musste schon wieder lachen, weil er ganz seltsam vor sich hinwackelte. Scherzkeks, der.

Frank gesellte sich dann auch zu uns und sagte zu mir:

"Ich hoffe, es ist dir recht, dass ich Mark angerufen habe. Ich dachte, es wäre gut, wenn dich jemand sicher nach Hause bringt".

"Isch geeehe aber noch nich!", protestierte ich. "Komm Mark, wir schwei trinken jetss mal wasch susammen!". Ich wollte Mark eigentlich am Ärmel zu der Bar ziehen, verfehlte ihn aber und kippte fast vornüber. Wie peinlich! Aber auch lustig, deshalb kicherte ich schon wieder vor mich hin.

"Ich zahle mal seine Zeche. Er kann mir das Geld ja morgen wieder geben", sagte Mark kopfschüttelnd zu Frank. "Was schuldet er dir?"

"31,50 §"

"Respekt", sagte Mark und zückte schon seine Geldbörse, um zu bezahlen

"Schbielverderber", brummte ich beleidigt.

"Ja, ja", sagte Mark, "Wir gehen jetzt nach Hause. Und morgen kannst du mir erzählen, warum du dir heute an einem stinknormalen Wochentag hier einen Rausch ansaufen musstest". Ich klopfte mit der rechten Hand auf meine Brust.

"Weil esch hiiier drin scho verdammdt weh tut!", sagte ich und geriet schon wieder aus dem Gleichgewicht. Mark musste beherzt unter meine Arme greifen, sonst wäre ich wohl endgültig auf den Boden geknallt.

"Erzähls mir morgen. Jetzt bringe ich dich erstmal nach Hause", sagte Mark noch mal, dann geleitete er mich nach draußen.

Als wir nach draußen traten, verursachte mir der Frischluftschock Kopfschmerzen und ich hielt meinen Kopf.

"Mein... Schschädel!", jammerte ich, und Mark verfrachtete mich in sein Auto.

"Wenn du kotzen musst, sagst du mir aber bitte davor Bescheid!", sagte er noch, bevor er losfuhr.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dauerte es eine geraume Zeit, bis ich richtig zu mir kam. Ich hatte so starke Kopfschmerzen, als würde ein Schmied ständig mit seinem Schmiedehammer meinen Kopf als Amboß benutzen. Dann diese pelzige Zunge und der trockene Mund. Außerdem war jede Bewegung mühsam.

Langsam ging ich dann los, weil ich dringend ins Bad musste. Einiges an Bier und Jacky musste jetzt wieder raus.

Als ich an Johannas Bild vorbei kam, blieb ich geschockt stehen. Denn mit einem Schlag kamen die Erinnerungen des gestrigen Tages zurück.

 

Ich hatte mit ihr Schluss gemacht. ICH HATTE MIT IHR SCHLUSS GEMACHT!!!

 

Oh Gott!

Ich ging langsam weiter, und jede einzelne Szene des gestrigen Nachmittages kam mir wieder in den Sinn. Ihr Gesicht, wie verletzt sie war... es traf mich erneut mit voller Wucht. Im Wohnzimmer stand plötzlich Mark vor mir.

"Was machst du denn da?", fragte ich ihn überrascht und das Sprechen fühlte sich seltsam an. Meine Zunge war irgendwie pelzig und tat ihren Dienst nicht mehr wie sonst. 

"Ich habe heute Nacht hier gepennt", sagte er. "Auf der Couch".

"Echt? Und warum?", wollte ich wissen.

"Das weißt du nicht mehr?", fragte mich Mark.

"Ich weiß nur noch, dass ich bei Frank saß...", murmelte ich.

"Kann ich mir vorstellen. So betrunken habe ich dich, glaube ich, noch nie gesehen. Nicht mal, als ich dich das letzte Mal da raus geholt habe".

"Das letzte Mal? Du hast mich doch noch nie von Frank geholt. Oder?", fügte ich zweifelnd hinzu. Wer wusste denn schon, ob ich nicht schon mal so einen Filmriss hatte.

"Das weißt du nur nicht mehr. Und es ist auch schon einige Zeit her. Es war ungefähr zu der Zeit, als Marlene ausgezogen ist". Ich erinnerte mich dunkel, dass ich da morgens mal in meinem Bett erwacht war und nicht mehr gewusst hatte, wie ich da reingekommen war. Und davor war ich auch bei Frank gewesen.

"Ach, das warst auch du?", fragte ich überrascht.

"Ja, und das, obwohl ich damals echt richtig sauer auf dich war! Aber ich konnte dich ja schlecht dort sitzen lassen, nachdem mich Frank angerufen hatte".

"Bist ein echter Freund", sagte ich zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.

"Ich weiß", sagte er cool. "Aber jetzt erzähle du mal, warum du gestern da versumpfst bist!"

"Gleich. Erst mal muss ich wohin, dann sage ich es dir"

 

 

Auf der nächsten Seite, im Teil 4, geht das Gespräch weiter >> 

 

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