Teil 4

Als Raphael am nächsten Morgen aufwachte und ich ihn aus dem Bett holte, drückte ich ihn an mich. Und in diesem Moment tröstete nicht ich ihn, sondern er mich.

"Gott, mein Süßer. Das darf doch alles nicht wahr sein", flüsterte ich ihm zu.

Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, blinzelte die aber weg. Nicht jetzt, sagte ich mir selbst.

 

Die Tränen traten dann Gott sei Dank den Rückzug an, dafür begann ich zu zittern. So stark, dass ich Raphael in den Hochstuhl setzen musste. Nun würde ich doch ein Wochenendpapa werden. Könnte ihn nicht sehen, wann ich wollte, musste zuerst mit Johanna und Gregor Rücksprache halten. Sowieso Gregor: Wie unfair war es bitte, dass der Kerl mein Kind in Zukunft öfter sehen würde als ich? Und das der nun Mitsprache bei der Erziehung hatte, war eh undenkbar. Aber genau so würde es werden.

An diesem Abend wurde mir die Tragweite dessen, was in den letzten Tagen und Wochen passiert war, erst richtig bewusst. Weil alle außer Haus waren, stand ich allein in der Küche.

 

Und da wurde mir klar, dass das meine Zukunft sein würde.

 

Wenn das Haus von Marita und Susan fertig war, würden sie mit Fiona dort einziehen. Und Johanna mit Raphael bei Gregor. Ich würde vollkommen alleine in diesem großen Haus, in dem wir jetzt noch zu sechst lebten, zurückbleiben.

Unser Arbeitszimmer. Ein Raum mit Seele, hier fanden viele Stunden kreativer Arbeit statt. Egal, ob das Susan am PC, Marita an der Blumenbank oder ich und Johanna an den Architektentischen gewesen waren.

 

Alles vorbei.

Doch bevor irgendetwas der ganzen negativen Dinge passierte, stand etwas sehr Schönes an: Nämlich die Hochzeit von Susan und Marita.

 

Die beiden feierten diesen wichtigen Tag nur mit Johanna und mir und den zwei Kindern natürlich. Das Trauzimmer von Two Lake City befand sich im alten Rathaus, und dort saß nun das aufgeregte Brautpaar vor uns.

Hanna und ich hatten die beiden Knirpse auf dem Schoß, die wir heute für diesen besonderen Tag hübsch angezogen hatten.

Der Standesbeamte hatte eine schöne Rede vorbereitet. Er sprach von den vielen Hürden, die die beiden bisher in ihrem Leben hatten nehmen müssen und spielte damit auf Susans Buch an. Er sprach von scheinbar unüberwindbaren Hindernissen, und wie Susan und Marita Brücken geschlagen hatten, um diese zu überwinden.

Die beiden sahen sich bei diesen Worten immer wieder an, und es stimmte, was der Beamte sagte: Sie hatten wirklich viele Hürden meistern müssen, um an diesen Punkt zu kommen.

 

Ich zollte ihnen meinen größten Respekt.

Der Ringtausch war dann auch ein rührender Moment, und nun waren Susan, Marita und Fiona auch vor dem Gesetz eine Familie.

 

Susan hatte Maritas Namen angenommen und hieß nun also ebenfalls Mohr mit Nachnamen, während sie ihren früheren Nachnamen Melzone als Pseudonym behielt.

Die beiden küssten sich innig, als der Standesbeamte sagte, dass sie das nun tun dürften.

Auch Raphael beobachtete das alles sehr interessiert.

"Alles Gute für euch!", sagte ich zu Marita und umarmte sie fest.

"Danke, Lucas!", sagte sie mit tränenerstickter Stimme.

Auch Johanna gratulierte den beiden, und Susan war genauso gerührt wie ihre Frau.

 

Nach der Trauung gingen wir in ein kleines Restaurant in Two Lake City und feierten da die Hochzeit der beiden.

Doch auch diesmal war Fiona völlig überfordert und weinte zu Hause den restlichen Abend und hatte dann eine sehr unruhige Nacht.

 

Marita und Susan wussten, dass richtige Hilfe nur von einem Kinderpsychologen kommen könnte, wenn sie älter war. Mit ihren anderthalb Jahren, die sie beim Einzug in der Simlane gewesen war, hatte sie vermutlich von dem Absturz ihrer leiblichen Mutter mehr mitbekommen, als wir uns das gedacht hatten. Das Wechseln in das Heim, neue Bezugspersonen, dann der Umzug zu uns und wieder neue Bezugspersonen, hatten ihr wohl den Rest gegeben. Sie war einfach völlig durcheinander geraten und hatte viel Vertrauen in ihre Mitmenschen verloren.

 

Aber vielleicht schaffte es die Liebe von Susan und Marita ja doch, dass sie immer mehr dieses Vertrauen und Ruhe gewinnen konnte, es gab durchaus Situationen, die schon besser waren als zu Beginn. Aber das würde nur die Zeit zeigen können, alles andere war jetzt noch reine Spekulation.

Die Beziehung mit Michelle hatte sich immer mehr vertieft, wir sahen uns oft. Bisher war sie noch nicht bei mir gewesen, aber heute hatte ich sturmfrei und sie deshalb hierher eingeladen. Weil es ein warmer Tag war, machten wir es uns auf der Wiese gemütlich.

"Chérie?", sagte sie und sah mich an. Hach, wie schön sie dieses Chérie immer sagte. Michelles Vater war Franzose und war für ihre Mutter hierher nach Deutschland gezogen. Sie selbst war hier geboren, aber zweisprachig aufgewachsen. Und in unseren Gesprächen ließ sie vor allem solche Worte immer wieder auf französisch einfließen. Und obwohl mein Schulfranzösisch nun wirklich sehr eingerostet gewesen war, kam ich so langsam aber sicher wieder hinein.

 

Vor allem, was solche Worte wie "Chérie" betraf.

"Oui?", gab ich zurück.

"Weißt du, dass ich mich in deinen Armen ganz schön wohl fühle?", fragte sie dann und sah mich an.

"Ach, wirklich?", fragte ich zurück und hielt sie noch fester. Sie seufzte wohlig auf.

"Lucas?"

"Ja?"

"Je crois que je suis amoureuse", sagte sie dann leise, so dass ich sie kaum verstanden hatte. Ich sah sie erstaunt an, und wenn mich mein Schulfranzösisch nicht komplett verlassen hatte, dann hatte sie gerade gesagt, dass sie glaubte, verliebt zu sein.

"Und in wen?", wollte ich dann wissen, ob ich sie auch wirklich richtig verstanden hatte. Denn ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass so etwas jetzt kommen könnte.

Bevor sie jedoch antworten konnte, kam jemand auf das Grundstück gelaufen, und als ich den Kopf hob, erkannte ich Johanna. Huch! Hanna hatte noch keine Ahnung davon, dass ich eine Freundin hatte.

Michelle und ich standen auf und klopften uns das Gras von den Klamotten.

"Lasst euch bitte nicht stören!", sagte Hanna und war schon versucht, ins Haus zu gehen.

"Hanna, warte mal. Ich möchte dir Michelle Laval vorstellen. Michelle, das ist Johanna Keppler"

"Ah, eine deiner Mitbewohnerinnen!", freute sich Michelle, Johanna kennzulernen. Ja, meine Mitbewohnerin und die Mutter meines Sohnes, von dem Michelle bis jetzt noch nichts wusste.

Die beiden begrüßten sich freundlich, bevor Hanna dann so etwas stammelte, dass sie Raphaels Schmusetier vergessen hatte und das nur schnell holen wollte. Sie war mit unserem Sohn zu ihren Eltern gefahren, der dort heute auch übernachten würde, und hatte dort wohl bemerkt, dass Hoppel fehlte, ohne den er zur Zeit nicht schlafen wollte. Wir vermuteten, dass die Umstellung auf den Kindergarten das bei ihm ausgelöst hatte, den er seit fünf Wochen besuchte. Johanna ging dann in das Haus, und Michelle wandte sich wieder mir zu.

"Sie ist nett", sagte Michelle zu mir.

"Ja", sagte ich und küsste sie.

"Hat sie ein Kind? Weil sie etwas von Schmusetier gesagt hat", wollte sie dann weiter wissen, und jetzt war wohl der beste Moment, ihr zu sagen, dass Raphael auch mein Kind war. Wenn das hier tiefer gehen sollte, dann nur mit offenen Karten. Nie wieder Geheimniskrämerei, das hatte ich mir geschworen.

"Du solltest etwas wissen, Michelle", sagte ich zu ihr, und sie sah mich ernst an. Sie ahnte wohl, dass es etwas Wichtiges war.

"Ja, Chérie?"

"Das Kind, von dem Johanna gesprochen hatte - Raphael -, also...", ich stotterte herum, weil ich einfach nicht abschätzen konnte, wie sie gleich auf mein Geständnis reagieren würde. Doch sie wartete, bis ich weitersprach, und das tat ich dann auch:

"Raphael ist auch mein Sohn. Ich habe ein Kind".

Zuerst sagte sie gar nichts, und man hatte ihr regelrecht angesehen, wie sie die Information verarbeitet hatte. Doch dann erhellte sich ihr Gesicht.

"Weißt du, dass du mir das sagst, zeigt mir, dass ich dir nicht egal bin. Und natürlich hat mich das jetzt überrascht, aber es gibt dort draußen so viele Patchwork-Familien... Es ist völlig in Ordung, Lucas. Vorausgesetzt, da läuft nichts mehr zwischen dir und Johanna". Ich sah sie verblüfft an. Hatte sie die Info jetzt wirklich so schnell verdaut?

"Nein, sie hat selbst einen neuen Freund. Zu dem wird sie auch ziehen, sobald das Haus umgebaut ist", erklärte ich.

"Wer behält von euch dann euren Sohn?", fragte sie weiter. "Verzeih bitte meine Neugier!", bat sie mich noch, und ich lächelte sie an.

"Das ist doch völlig okay. Raphael wird bei ihr wohnen", sagte ich, und ich konnte es nicht verhindern, dass sich mein Herz wieder schmerzhaft zusammenzog.

"Zieht sie weit weg?"

"Nein, nur zwei Orte weiter, ich kann ihn also trotzdem regelmäßig sehen"

"Das ist doch gut. Und ich hoffe, dass ich ihn dann auch mal sehen kann", sagte sie hoffnungsvoll.

"Sehr gerne sogar", antwortete ich und nahm sie in den Arm.

Abends, als Michelle schon wieder weg war, wuselte Johanna in unserem Haus herum. Sie war oben, und ich ging nun ebenfalls dorthin um zu sehen, was sie machte. Gerade, als ich an ihre Tür anklopfen wollte, kam sie heraus.

Hanna kam auf mich zu, drängelte sich an mir vorbei und sagte etwas genervt:

„Lucas, stehe mir doch jetzt bitte nicht im Weg herum“. Ich machte ihr Platz, und sie ging in das Bad hier oben, wo ich ein klappern und rascheln hörte, so lange, bis sie mit vollgepackten Händen wieder aus dem Bad in Richtung ihres Zimmers stürmte. Sie ging so hektisch, dass sie unterwegs eine Cremedose verlor.

Ich hob die Dose auf, ging in Johannas Zimmer, wo sie gerade den Inhalt ihrer Arme in den Koffer entleerte und gab sie ihr. Wortlos riss sie mir die Dose aus der Hand und schmiss sie zu den anderen Dingen in ihrem Koffer. Der nächste Weg führte sie zu ihrem Kleiderschrank, und ich sah ihr für einen Moment wortlos dabei zu, wie sie Kleidung zusammenraffte.

„Ist es jetzt dann soweit?“, fragte ich sie und beobachtete sie dabei, wie Hosen, Blusen und Shirts in ihrem Koffer landeten.

„Ja. Und es wäre mir am Liebsten, das alles wäre schon längst über die Bühne gegangen“, sagte sie gehetzt. Klar, sie sehnte sich nach ihrem geordneten Leben mit Gregor, weg von dem Chaos mit mir. Es traf mich, wie genervt sie war, vielleicht, weil ich die ganze Situation selbst so aufwühlend fand.

„Das ist noch lange kein Grund, hier für schlechte Laune zu sorgen“, fuhr ich sie deshalb an.

„Wie nett“, sagte sie ironisch. „Du bist schon lange nicht mehr umgezogen, Lucas, sonst wüsstest du sicher noch, was das für ein Stress ist“. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust, ging komplett auf Abwehrhaltung.

„Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich tatsächlich nicht daran. Weder als ich hier eingezogen bin, noch als du oder Marlene oder Marita und Susan hier eingezogen sind, gab es je so einen Stress, wie du den jetzt verbreitest“, sagte ich bemüht beherrscht. Ich betonte jeden der Namen besonders, was fies war, denn so begab ich mich echt auf niedriges Niveau und wollte ihr nur klar machen, dass es absolut nichts Besonderes war, wenn sie jetzt zu Gregor zog. Dabei machte mich diese Situation rasend. Sie wendete sich wieder von mir ab und ich hatte keine Ahnung, ob meine Worte sie nun getroffen hatten oder nicht, und dann rauschte sie mit ihren Sachen an mir vorbei.

„Gut. Dann habe ich jetzt eben mehr Hektik und Stress, so was kommt schon mal vor“, meinte sie im Vorübergehen. „Aber das kann dir ja egal sein, nicht? Du hast diesen Stress ja nicht, hast jetzt deine Michelle, und du findest es vermutlich eh blöd, dass ich zu Gregor ziehe“. Jetzt blieb sie stehen und sah mich mit funkelnden Augen an. Bleibe cool, Lucas, sagte ich mir, bevor ich laut und möglichst locker sagte:

„Was sollte ich da dagegen haben? Wenn es dich glücklich macht…“

„Schön! Dann ist ja alles prima!“, sagte sie spitz, bevor sie aus meinem Blickfeld verschwand, weil sie nun das Zimmer verlassen und auf dem Weg nach unten war. Ich nutzte den Moment um kurz meine Augen zu schließen. Alles prima. Von wegen…

Gegen später kam dann tatsächlich ein Taxi, das sie und ihre Koffer zu Gregor bringen würde. Die Möbel und großen Teile würden separat geholt werden, wenn alles im Haus fertig war.

Ich ging vor das Haus, als das Taxi abfuhr, und sah ihr hinterher. Und obwohl sie Gregor hatte und ich Michelle, fühlte es sich so falsch an, was hier passierte. Ich konnte nicht erfassen, ob das nur wegen Raphael war oder ob da noch was anderes dahintersteckte. Jetzt, in dieser Sekunde, fühlte ich mich einfach scheiße.

Ich sah den roten Lichtern hinterher, bis man sie nicht mehr erkennen konnte, und fühlte mich sehr allein.

 

Mich tröstete nicht mal der Gedanke, dass ich Michelle anrufen könnte. Diese Einsamkeit, die ich tief drinnen spürte, war eine andere.

 

 

 

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