Teil 3

Auch Fionas Geburtstag zwei Wochen vor Weihnachten feierten wir mit einer leckeren Torte und lieben Gästen. Allerdings nicht so lange wie mit Raphael, weil sie mit der Situation schon bald überfordert war und sich nur noch an Susan drückte. Diese hatte sie dann in ihrem Zimmer beruhigen müssen und die Gäste hatten eingesehen, dass sie lieber nach Hause gehen sollten.

 

Diese Rückschläge waren immer besonders hart, wenn man versucht hatte, es ganz besonders gut zu machen. Dabei waren hier schon weniger Leute da gewesen als bei Raphael, wo sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer gewesen war. Da sie an ihrem eigenen Geburtstag aber im Mittelpunkt gestanden war, war sie mit der Situation schnell nicht mehr klar gekommen.

Ich selbst verbrachte die nächsten Tage wie in einem Vakuum, dabei sollte ich lernen. Aber ich saß noch spät abends vor meinen Plänen, und da ging nichts. Einfach nichts. Mein Kopf war wie leergefegt. Nein, das stimmte nicht. Er war nicht leergefegt, sondern mit nur einem Gedanken gefüllt: Ich hatte Johanna verloren.

 

Die letzten Wochen und Monate gingen mir ständig im Kopf herum und die Frage, warum ich nicht einfach früher reagiert hatte. Warum hatte ich so lange gewartet? War ich mir einfach zu sicher gewesen, dass wir ewig so weiterleben würden? Dabei hätte ich es besser wissen müssen, ich kannte Johanna. Sie war doch keine Frau für eine WG. Es war eine Übergangslösung gewesen, von Anfang an, auch wenn ich das nicht so empfunden hatte. Ich hatte mich hier, in diesem Kreis meiner Lieben, wohl gefühlt, hatte eine Familie gehabt.

Ich blickte zu dem Bild von Raphael und mir auf.

 

Ja, das hier war mehr Familie, als ich so viele Jahre gehabt hatte. Selbst als mein Vater noch gelebt hatte, war er wochenlang unterwegs gewesen und hatte uns gefehlt.

 

Doch Johanna war inmitten von Vater, Mutter und einer Schwester aufgewachsen, für sie musste das hier mit uns von Anfang an nur eine vorübergehende Lösung gewesen sein.

 

Und anstatt mit mir ein neues Risiko einzugehen, hatte sie sich einem anderen Mann zugewandt. Der Gedanke, dass sie einen anderen küsste, machte mich verrückt. Und der Gedanke, dass sich dieser an Raphael als Vater anbiedern wollte, schnürte mir die Kehle zu...

 

Ich schüttelte diesen aufwühlenden Gedanken ab, denn ich musste hier wirklich und wahrhaftig jetzt was für das Studium tun. Doch natürlich schweiften meine Gedanken immer wieder ab, und ich musste für heute entnervt aufgeben. Wieder ein Tag verloren, so ein Mist. Alles war ein Mist!

Am Tag der Prüfung saßen Johanna und Marita beim Frühstück, während Susan den Kindern ein Kinderbuch vorlas. Ich hatte sehr schlecht geschlafen, fühlte mich sehr unvorbereitet und überhaupt nicht sicher. Eine Katastrophe! Wenn ich die Prüfung vergeigte, waren meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt einfach zu schlecht.

"Morgen, Lucas!", grüßten mich die Mädels.

"Morgen", gab ich knapp zurück und las noch mal in meinem Buch zur Geschichte der Architektur. Das hatte ich in den letzten Tagen ein paar Mal in der Hand gehabt, mir blieben allerdings keine Jahreszahlen mehr im Kopf hängen.

"Möchtest du auch gleich frühstücken?", fragte mich Johanna, und ich schüttelte den Kopf.

"Nein, ich kann nichts essen. Ich gehe auch gleich los".

Alle drei standen von ihren Plätzen auf und kamen zu mir. Marita riss mich als erste in ihre Arme und sagte:

"Du schaffst das!"

"Danke, Marita", sagte ich weniger überzeugt.

Auch von Susan wurde ich geherzt.

"Alles Gute! Ich sehe das wie Marita, du schaffst das locker!". Oh Gott, was sie wohl sagen werden, wenn ich mit Pauken und Trompeten durch die Prüfung gerasselt war?

"Wenn ihr das sagt, dann kann ja nichts mehr schief gehen", sagte ich immer noch nicht überzeugt.

Und dann stand Johanna vor mir. Ich schluckte hart, als sie mich ansah und hatte keine Ahnung, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Ich wartete einfach ab, was sie jetzt sagte.

"Lucas, viel Glück für deine Prüfung! Du kannst das, dass weiß ich! Ich will doch mal mit dir zusammen an einem Projekt arbeiten". Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, bevor ich antwortete:

"Danke". Mehr brachte ich nicht heraus.

Doch dann umarmte auch sie mich, und ich drückte sie fest an mich. Das war ein Gefühl, was ich so sehr vermisst hatte. Natürlich ließ sie mich viel zu früh wieder los, aber jetzt ging es mir tatsächlich etwas besser.

 

Ich verabschiedete mich von allen und machte mich dann auf den Weg zur Uni.

Dort saß ich dann nervös auf meinem Platz. Ich hatte mir bereits alles zurechtgelegt, als die Professorin kam. Sie erklärte uns genau, wie die Prüfung nun ablaufen würde, und ich atmete tief ein und aus, um mich ein bisschen besser konzentrieren zu können.

 

Und dann ging es los.

Nach der Prüfung hatte ich zumindest ein ganz gutes Gefühl. Ich hatte Informationen abrufen können, die ich davor nicht mal annähernd in meinem Kopf hatte behalten können, aber scheinbar hatten sie es sich doch irgendwo in meinem Hirn gemütlich gemacht. Auch Toni schien erleichtert.

"War doch gar nicht so schlecht, oder?", fragte sie mich.

"Stimmt, das hätte schlimmer sein können", antwortete ich.

"Ich habe ein ganz gutes Gefühl", sagte sie.

"Ist doch super! Bei mir geht es eigentlich auch, so schwer war das jetzt gar nicht".

"Das sollten wir feiern, findest du nicht auch?"

"Erst, wenn wir die Ergebnisse haben!", lachte ich.

"Spielverderber", maulte sie.

"Nur vernünftig. Stelle dir mal vor, wir feiern jetzt und bekommen in ein paar Wochen das Ergebnis, dass wir durchgerasselt sind", korrigierte ich sie grinsend.

"Schon gut!", lachte sie. "Dann warten wir die Ergebnisse ab und feiern dann, oder?"

"Wenn es dann noch was zu feiern gibt, gern", sagte ich. Dann verabschiedete sie sich, weil sie noch zu Oli fahren wollte.

Und es gab tatsächlich was zum Feiern. Es war unglaublich, aber ich hatte mein Studium mit einer 2,0 abgeschlossen. Toni, die Streberin, hatte es auf eine 1,4 gebracht, und so feierten wir also eine Party. Und zwar bei mir, weil Toni in einem Wohnheim lebte und da der Platz etwas eingeschränkt war.

Ich nahm mir etwas zum Essen und setzte mich zu Mark an den Tisch.

"Lucas, ich hätte ja nicht gedacht, dass du das wirklich schaffst", sagte er grinsend.

"Na, danke auch!", sagte ich.

"Bitte, bitte!", zwinkerte er mir zu, und ich hatte große Lust, ihm was von meinem Truthahn an den Kopf zu werfen.

Urplötzlich stürmte Oli an uns vorbei, direkt auf Toni zu und küsste sie wild.

"Ey, Bruderherz! Lass sie noch ganz, ja?", rief ich den beiden zu, und ich hatte ein paar Lacher auf meiner Seite. Auf der anderen Seite war es unglaublich schön zu sehen, wie gelöst sie ihre Liebe lebten. Und das, obwohl sie mehr wie jeder andere hier im Raum Grund hatten, sich zu sorgen. 

 

Aber da war so eine Vertrautheit zwischen ihnen. Toni würde für ihn kämpfen, das sah man sogar dann schon, wenn man, so wie ich gerade, die beiden nur beobachtete und nicht mit ihnen sprach.

 

Und ich war mir sicher, dass Oli nicht so dumm war wie ich.

Ich stellte meinen Teller in die Küche, und mein Blick fiel auf Johanna. Diese wunderbare Frau hätte ebenso für mich gekämpft, sie wäre in allen Situationen zu mir gestanden und sie hätte sich von meinen Albträumen oder meinen Ängsten sicher nicht dazu bringen lassen, sich von mir zu trennen. Wir hatten stundenlang über alles mögliche reden können, so auch über meine schwere Zeit nach dem Tod meines Vaters. Sie hatte gewusst, wie sehr ich damals gelitten hatte, und sie war bereit gewesen, mit mir zusammen daran zu arbeiten.

Nur ich hatte diesen dummen Einfall, es könnte ihr zu viel werden. Keiner hier hatte je daran gedacht, und alle Menschen, die mich in meinem Leben begleitet hatten, hatten auch diese Bürde mit mir getragen. Hatte mir Mark die Freundschaft gekündigt, als es mir so schlecht ging? Hatte mich meine Mutter fallen lassen, als ich ein Mädchen nach dem anderen angeschleppt hatte? Hatte sich Benny von mir abgewandt, nachdem ich mich von Johanna getrennt hatte? Nein, sie alle standen felsenfest hinter mir.

 

Dann sollte ich anfangen, dasselbe für mich zu tun.

Ich ging auf unsere Terrasse hinaus und sog tief die frische Frühlingsluft in meine Lungen.

 

Ich war ich, und ich sollte damit beginnen, mich so zu akzeptieren, wie ich war. Dass ich es wert war, dass auch für mich gekämpft wurde und ich nicht noch die Menschen, die zu eben diesem Kampf bereit waren, vor den Kopf zu stoßen. Dass ich Fehler hatte, die zu mir gehörten, und die mich zu dem Menschen machten, der hier von meiner Familie und meinen Freunden geschätzt und geliebt wurde. Ich selbst würde für sie alle hier ebenso kämpfen, würde in allen Situationen zu ihnen stehen. Für mich war das selbstverständlich, dann sollte es mir klar sein, dass es für sie ebenso selbstverständlich war, das gleiche für mich zu tun. Für Johanna musste es sich schlimmer als meine Albträume angefühlt haben, als ich mich so plötzlich von ihr trennte, denn das war die Realität gewesen, kein Traum.

Dr. Eigner hatte gesagt, dass es wichtig war, dass man sich selbst annehmen konnte, um Liebe geben zu können, und jetzt verstand ich erst richtig, was er damit gemeint hatte. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, sah in den Himmel, sah die Wolken in der Ferne, die laut Wetterbericht spätestens heute Nacht Regen bringen würden. Und dann schwor ich mir selbst etwas:

                Lucas Aaron Schiller, du wirst keine Zweifel mehr haben.

                Du wirst die Menschen, die du liebst, nicht mehr

                derartig enttäuschen, sondern dich mit ihnen verbünden,

                um alles gemeinsam meistern zu können. Diejenigen,

                die das von sich aus entscheiden und das mit dir

                durchstehen möchten, machen das freiwillig

                und weil du das für sie wert bist.

                Dann solltest du dir selbst das ebenfalls wert sein.

 

 Es soll nie wieder passieren, dass ich einen geliebten Menschen derartig verletze.

Ich ging wieder hinein, sah in die Runde und ließ meine Blicke über meine wunderbaren Wegbegleiter gleiten. Ich musste dankbar sein, solche Schätze in meinem Leben gefunden zu haben. 

Wir feierten lange, und ich war sehr gelöst. Es war ein geniales Gefühl, mit dem Studium fertig zu sein. Ich freute mich auch, dass Ellen gekommen war, Johannas Schwester. Ihr Mann Marcel war zu Hause bei Julian, weil der eine recht starke Erkältung auskurieren musste.

Als ich an einem der nächsten Tage nach Hause kam, saß Johanna mit ihrer besten Freundin Zoe im Wohnzimmer. Die beiden unterhielten sich angeregt.

Ich grüßte die beiden kurz im Vorübergehen und war schon fast an der Tür zur Küche, als ich Zoe "Gregor" sagen hörte. Dann ein "Pst" von Johanna, und als ich noch mal über die Schulter zurück sah, machte Zoe ein recht zerknirschtes Gesicht und mir fuhr es kalt den Rücken runter.

 

Gregor. Wieviele Gregors gab es wohl auf der Welt?

Zu wenig, wie ich feststellen musste. Es dauerte noch einige Zeit, bis ich Johannas neuen Freund sah, dann nämlich, als sie auf der Terrasse standen und sich küssten. Johanna und Gregor Benning. Ihr Kollege und der größte Angeber des Universums.

Das war der Moment, als ich wieder mit Yoga begann. Das konnte jetzt auf jeden Fall nicht schaden.

Oooohmmmmm - Gregor Benning ist nicht hier in deinem Haus... Oooohmmmmm - Johanna küsst nicht diesen solariumgebräunten Angeber...

An einem sonnigen Frühlingstag fand ich mich vor diesem architektonisch ansprechenden Gebäude wieder. Klar, dass darin ein Architektenbüro beherbergt war. Und ich war hier, weil ich mich auf eine Praktikantenstelle beworben hatte. Natürlich wäre eine feste Stelle schöner, aber ein Praktikum war immer noch besser als nichts.

Ich wurde von dem Chef hier persönlich begrüßt.

"Sie müssen Herr Schiller sein", kam er sofort auf mich zu.

"Der bin ich, Herr Wagner", bestätigte ich ihm und wir reichten uns die Hand.

"Ihr Lebenslauf hat uns gut gefallen. Die Teilausbildung als technischer Zeichner, dann ihr gut abgeschlossenes Studium mit dem Master - das kann sich sehen lassen", sagte er, und ich freute mich über diese Worte. Waren meine Chancen vielleicht doch nicht so schlecht?

"Gut, dann kommen sie mal mit, ich möchte ihnen noch ein paar Fragen stellen", sagte er, und wir gingen in sein Büro, wo das ganz normale Bewerbungsgespräch statt fand.

Am Ende dieses Gespräches stand fest, dass ich das Praktikum machen konnte. Außerdem stand sogar offen, hier eine feste Stelle zu bekommen, wenn ich mich bewährte.

 

Herr Wagner führte mich in das Büro des Mitarbeiters, den ich unterstützen sollte und der im Moment auf einer Baustelle war.

"Dann willkommen im Team, Herr Schiller", sagte mein neuer Chef zu mir, und ich bedankte mich herzlich. Am nächsten 1. würde es losgehen.

Am Wochenende ging ich dann mal wieder mit Mark aus. Im Doc Browns saßen wir auf der Couch, vor uns unsere Getränke auf dem Tisch. Die Musik wummerte aus den Lautsprechern, das Stimmengewirr um uns herum war kolossal, nur wir beide saßen da als würden wir Enten auf einem Teich beobachten.

"Wir hatten hier drin auch schon mal mehr Spaß", sagte Mark trocken zu mir, als wir uns wieder sekundenlang angeschwiegen hatten.

"Das ist wahr", sagte ich matt und fühlte mich müde genug, um auf der Stelle nach Hause zu gehen und es mir in meinem Bett gemütlich zu machen.

"Das ist doch nicht normal!", beschwerte sich Mark. "Wie alt sind wir? 80?"

"Es fühlt sich zumindest so an", sagte ich lakonisch.

"Mein Gott", seufzte Mark auf, und ich konnte ihm das gut nachfühlen. Er wusste natürlich längst wegen Johanna Bescheid und verstand meine Niedergeschlagenheit, genauso, wie ich von ihm wusste, dass ihm sein Job inzwischen so wenig Spaß machte, dass er sogar schon überlegte, die Firma zu wechseln. Und das wollte was heißen, er hatte in dem Betrieb seine Ausbildung gemacht und hing eigentlich an dieser Firma. Trotzdem ließen wir uns wirklich übermäßig gehen, aber das musste doch jetzt aufhören!

Entschlossen stand ich auf.

"Mark, du hast völlig Recht. Ab heute weht hier wieder ein anderer Wind! Du und ich, wir werden jetzt wieder Spaß haben! Das kann doch nicht unser ernst sein, dass wir hier in der Disco sitzen und wie ein Rentnerehepaar quatschen. Los, komm!"

"Was hast du vor?"

"Spaß haben, habe ich doch gesagt! Dort vorne ist eine gutaussehende Frau, und die werde ich jetzt ansprechen"

"Hat sie eine Freundin dabei?", fragte Mark interessiert und verrenkte sich den Hals, um zu sehen, wen ich meinte. Scheinbar war es auch ihm total ernst, an dieser Situation was zu ändern. Wir hingen in dieser doofen Lethargie nun schon seit Wochen mal mehr, mal weniger, und irgendwann war es doch auch mal wieder gut.

"Keine Ahnung", musste ich zugeben. "Aber du wirst schon noch eine nette Gesprächspartnerin finden. Gibt hier ja genug davon", sagte ich entschlossen, dann ging ich zu der besagten Frau.

Die Schöne sah mich zuerst skeptisch an, als ich auf sie zutrat. Oh ja, ich kannte diesen Blick. Attraktive Frauen wurden oft angequatscht, und leider auch von vielen Männern auf die doofe Tour. Doch ich hatte gelernt, es anders zu machen. Genau wie früher, Lucas! Du kannst das noch! Du hast das zig mal gemacht, und so etwas verlernt man doch nicht!, machte ich mir Mut. 

"Hey", sagte ich zu ihr lächelnd.

"Hallo", grüßte sie mich zurück. Immer noch Skepsis von ihr aus, aber das war klar. Und nun? Ganz platt: >Na, dich habe ich hier auch noch nie gesehen!<? Ne, das war ja wohl zu plump. Ein Kompliment über ihr Aussehen? Besser nicht, das war noch zu früh.

"Möchtest du tanzen?", fragte ich sie dann einfach, und ich freute mich, als sie bejahte. Der Anfang war gemacht. 

Und ich hatte wirklich mal wieder Spaß. Ich tanzte und flirtete, meine Müdigkeit verflog, und nachdem sich Michelle, wie sich meine Tanzpartnerin vorstellte, auch noch als eine echt humorvolle Frau entpuppte, mit der man super lachen konnte, war der Abend gerettet.

Als sie dann ging, ging ich noch mit nach draußen. Sie wollte aber nicht, dass ich sie weiter begleitete und hatte sich ein Taxi bestellt. Was ja auch irgendwie richtig war, dass sie nicht mit einem fremden Typen alleine nach Hause ging.

"Das war jetzt echt ein schöner Abend", sagte ich zu ihr.

"Finde ich auch. Vielleicht können wir uns ja mal wieder sehen?", fragte sie mich.

"Sehr gern. Ich gebe dir meine Handynummer, dann kannst du mich anrufen, wenn du Zeit und Lust hast". Ich gab ihr meine Nummer, dann rief sie mich gleich darauf an, damit ich ihre Nummer auch auf dem Handy hatte und wir verabschiedeten uns ganz zahm nur mit Worten. Michelle machte auf mich den Eindruck, als hätte sie ein paar feste Prinzipien, die sie nicht brechen wollte, und ich respektierte das nicht nur, sondern fand das auch gut so.

Am nächsten Wochenende waren Mark und ich wieder im Doc Browns.

"Und? Hast du dich seither mal mit Michelle getroffen?", wollte Mark wissen.

"Nein, das hat sich noch nicht ergeben", sagte ich.

"Dann muss ich mich ja geehrt fühlen, dass du heute hier mit mir abhängst anstatt mit ihr"

Ich lochte zuerst meine Kugel ein, dann sagte ich:

"Stimmt. Fühle dich ruhig geehrt, Mark", dann peilte ich die nächste Kugel an.

"Und hast du vor, heute eine andere Frau anzubaggern? Wie früher?".

Ich sah Mark an, noch bevor ich den Stoß gemacht hatte.

"Ich weiß nicht", sagte ich zu ihm. "Wäre es sehr schlimm, wenn ich es wieder so machen würde?"

"Das musst du selbst wissen. Aber es hat sich seither nun doch einiges verändert, oder? Du hast ein Kind, vergiß das nicht". Ich lochte auch diese Kugel ein, bevor ich antwortete:

"Das vergesse ich auch nicht! Klar, dass ich jetzt nicht ohne Weiteres eine Frau mit nach Hause nehmen kann, aber ich kann mich doch hier ein bisschen amüsieren. Mehr will ich doch gar nicht".

"Ich wollte es ja nur gesagt haben", sagte Mark, und ich konnte mir schon denken, dass ihn das beschäftigte.

"Hey, ich habe wirklich nicht vor, das auf die gleiche oberflächliche Tour von damals zu machen! Es hat sich, wie du gesagt hast, einfach zu viel geändert. Auch ich. Aber ein bisschen Spaß sollte ja wohl trotzdem drin sein, außerdem, wie soll ich denn sonst vielleicht eine neue Frau kennenlernen? Dir würde das mitunter auch nicht schaden, und brächte dich auch mal auf andere Gedanken", schlug ich ihm vor.

"Ich kann eben nicht so flirten wie du. Im Grunde ist es schon erstaunlich, wie du der einen noch hinterhertrauerst und dich schon wieder anderen zuwenden kannst". Das saß.

"Es würde überhaupt nichts ändern, wenn ich zu Hause säße und Däumchen drehte", sagte ich verletzt.

"Schon klar", sagte Mark, "aber das du dich da schon auf jemand anderen konzentrieren kannst..."

"Soll ich denn ewig hinterhertrauern?", wollte ich von ihm wissen und sah ihn herausfordernd an.

"Nein, aber vielleicht erst mal mit der einen komplett abschließen, bevor man sich schon in das nächste Abenteuer begibt".

"Ich suche ja gar kein Abenteuer, verstehst du? Das versuche ich dir doch schon die ganze Zeit zu erklären! Nur Spaß, und nicht so wie früher, dass man irgendwohin verschwindet. Nein, nur hier tanzen, lachen, quatschen. Fertig. Einen netten Abend verbracht, gut gelaunt nach Hause gehen und sich einfach besser fühlen. Das solltest du doch verstehen. Und es selbst mal probieren".

Doch Mark sagte plötzlich gar nichts mehr, sondern keuchte überrascht auf.

"Was ist denn?", fragte ich und blickte in die Richtung, in die Mark sah.

Aber außer dem Kassierer und einer hübschen Frau sah ich dort nichts, was so ein erschrecken rechtfertigen würde. Doch Mark sah das anders. Er schmiss seinen Kö auf den Billardtisch und fluchte vor sich hin. Ich schnappte vorerst nur ein paar Brocken von dem auf, was er sagte: "Nicht mal hier Ruhe... zum Kotzen... kann gleich nach Hause gehen...".

"Hey, Mark! Was ist denn los? Kläre mich bitte auf!", bat ich meinen Kumpel.

Mark hatte sich matt auf eines der Sofas fallen lassen und atmete tief ein.

"Die Dame in rot, die soeben das Doc Browns betreten hat, ist Tanja Königs. Meine Chefin". Meine Augen wurden groß, und ich starrte ihn an. Dann suchte ich Tanja und sah sie mir noch mal an. Diese absolut super aussehende Frau sollte die Schreckschraube sein, von der Mark seit Monaten erzählte? Unmöglich!

"Du verarscht mich doch!", sagte ich zu ihm.

"Nein, tu ich nicht", widersprach mir Mark. "Überraschung!". Wieder ein Blick zu Marks Chefin.

"Sag mal, ist das dein Ernst? Du zoffst dich wirklich mit so einer Frau?"

"Was heißt hier zoffen", verteidigte sich Mark. "Ich muss mich immer rechtfertigen, dann diskutiert sie wieder über Kleinigkeiten, als hinge unser Leben davon ab. Dieser Frau macht es Spaß, mich zu nerven".

"Also, davon muss ich mich jetzt mal selbst überzeugen", sagte ich und war schon dabei, zu Tanja Königs zu gehen, als mich Mark zurückhielt.

"Warte! Du kannst doch da jetzt nicht hinstiefeln!"

"Und warum nicht?", fragte ich provozierend. "Ist sie verheiratet oder sonst vergeben?"

"Nein"

"Na also, warum soll das nicht gehen? Die kennt mich doch gar nicht". Mark seufzte auf.

"Gut, dann siehst du ja mal selbst, dass sie Haare auf den Zähnen hat". Und genau davon wollte ich mich jetzt überzeugen und ging an die Bar, an der sie es sich gemütlich gemacht hatte.

Also sprach ich sie kurzerhand an.

"Hallo! Sag mal, du hast dir doch hoffentlich noch nichts bestellt? Hier an dieser Bar muss man einfach einen Coco Choco trinken". Tanja musterte mich.

"Ach ja?", fragte sie mich misstrauisch aus stahlblauen Augen. Aus der Nähe sah sie noch besser aus.

"Ja. Du kannst mir vertrauen, ich komme hier schon seit Jahren her". Sie besah sich noch mal die Getränkekarte und ich könnte wetten, dass sie gerade nachlas, was in einem Coco Choco so drin war.

"Ohne Alkohol", sagte sie dann. "Könnte ich also mal versuchen". Aha, sie war selbst gefahren. Aber warum ging eine Frau wie sie allein in so einen Schuppen? Ob sie verabredet war? 

"Du wirst es nicht bereuen", sagte ich dann überzeugt zu ihr.

Ich wartete, bis sie den Drink tatsächlich vor sich stehen hatte und kostete. In der Zwischenzeit hatte ich genug Zeit, sie zu mustern. Und ich verstand Mark einfach nicht, mit so einer Frau stritt man sich doch nicht tagaus, tagein. Die umgarnte man nach allen Regeln der Kunst. Gut, wenn das die eigene Chefin war, flirtete man natürlich nicht, aber auf jeden Fall zeigte man ihr keine Krallen. 

"Und?", wollte ich von ihr wissen, nachdem sie probiert hatte.

"Nicht schlecht", nickte sie.

"Sag ich doch. Ich bin übrigens Lucas"

"Und ich Tanja. Und du kommst hier schon lange her?", wollte sie wissen.

"Ja, ich bin hier aufgewachsen"

"Ach, wirklich?", zeigte sich nun Tanja interessiert. "Obwohl ich im Nachbarort aufgewachsen bin, bin ich heute zum ersten Mal hier". Im Nachbarort, klar. Marks Arbeitgeber saß in Leeds, fünfzehn Autominuten von hier entfernt. Aber ich kam mit Tanja schon nach kurzem in ein nettes Gespräch, und die Haare auf den Zähnen suchte ich vergebens. Was hatte Mark bloß?

Ich ging dann wieder zu Mark, und der sah mich grinsend an:

"Ah, du hast auch schon genug! Hast du das also auch gesehen, dass sie ein Biest ist, oder?". Doch da musste ich ihn enttäuschen.

"Nein, das habe ich nicht. Das ist ja das, was mich verwundert. Ich meine klar, ich habe jetzt nicht ewig mit ihr geredet, aber da war alles normal. Ist sie bei euch echt so schlimm? Ich kann mir das gar nicht vorstellen"

"Ich ziehe mir das doch nicht aus den Fingern! Aber du hast dich also gut mit ihr amüsiert, ja?", fragte er mich herausfordernd. Nanu?

"Ja, das kann man sagen", sagte ich stichelnd.

"Oh, prima", meinte er dann kurz angebunden, "jetzt reißt mein Kumpel schon meine Chefin auf. Das ist ja echt super". Irgendwie schlich sich ein kleiner Verdacht in meine Gedanken, der Verdacht, den auch schon Amber geäußert hatte, und ich überlegte, wie ich mich vergewissern könnte. Dann fiel mir etwas ein, was zwar recht subtil war, aber bestimmt erfolgreich. Zumindest, wenn es stimmte, was ich dachte.

„Oh, was heißt hier aufreißen“, sagte ich dann wie nebenbei. „Ich habe mich einfach sofort total von ihr angesprochen gefühlt. So sehr, dass ich ihr meine Nummer gegeben habe, damit sie mich mal anrufen kann. So einen heißen Feger lasse ich so schnell nicht von der Angel, und du hast ja definitiv kein Interesse, nicht wahr?“. Unschuldig nahm ich einen Schluck von meinem Spezi und Marks Blick bohrte sich in meinen.

„Typisch“, spie er aus. „Das ist ja so typisch! Du hast sie also angebaggert. Und sie fand das toll, oder? Klar. Wenn Lucas Schiller, der erfahrene Lucas Schiller, flirtet, dann springt die Auserwählte doch auch darauf an. Wieso sollte das bei Tanja anders sein? Mann, ich gehe jetzt heim, das hält hier ja kein Mensch aus“. Damit trottete Mark dann tatsächlich davon.

 

Volltreffer.

Ich folgte ihm und erreichte ihn dann draußen.

"Mark, warte mal!", rief ich ihm hinterher, und er drehte sich daraufhin herum.

"Was ist denn noch?", fragte er gereizt, und das bestätigte mich noch mehr. Deshalb wollte ich jetzt Klartext reden.

"Ich würde sagen, dass du jetzt wirklich sagst, was mit dir wegen deiner Chefin ist. Und komme mir jetzt nicht wieder mit Nervereien oder sonst irgendwelchem Kram! Du warst ja wohl gerade eifersüchtig ohne Ende!"

"Und wenn es so wäre? Dann hätte ich doch eh wieder den Kürzeren gezogen", spie er aus.

"Quatsch! Ich sagte das doch nur, weil ich dich aus der Reserve locken wollte! Ich habe ihr weder meine Nummer gegeben noch wäre ich an ihr interessiert. Außerdem ist sie für mich tabu, wenn du sie willst. Also: Willst du sie?". Ich sah ihn scharf an.

Mark senkte seinen Kopf und stand urplötzlich wie ein begossener Pudel vor mir. Jetzt tat es mir natürlich leid, dass ich so deutlich gewesen war.

"Du hast recht", sagte Mark und sah wieder auf. "Und auch Amber hatte recht. Lucas, du weißt selbst, das ich ein Realist bin. Und ausgerechnet ich muss mich in meine Chefin verlieben". Er machte eine Pause und atmete so schwer, als hätte er schon seit Stunden gesprochen. Er war also tatsächlich verliebt. Und das wollte was heißen, Mark verschenkte sein Herz nicht schnell.

"Warum kabbelst du dich denn dann dauernd mit ihr?", wollte ich wissen.

"Soll ich sie auf der Arbeit anbaggern oder was?", fragte er.

"Nein, das natürlich nicht. Ich glaube, du hast einfach Angst, dass du ihr nicht genügen könntest. Ist doch so, oder?"

"Wie gesagt, ich bin Realist", sagte er. "Du glaubst doch nicht, dass sie sich in einen ihrer Maurer verlieben könnte!"

"Da sind schon weit ungewöhnlichere Dinge passiert", sagte ich überzeugt.

"Ja, da spricht wieder der Träumer aus dir", triezte er mich.

"Das hat damit nichts zu tun. Ich denke, es würde schon mal helfen, wenn ihr euch nicht immer streiten würdet", sagte ich und zog eine Augenbraue in die Höhe.

"Es ist einfach - so eine blöde Situation", versuche er, zu erklären. "Wenn sie was sagt, habe ich immer das Gefühl, besonders dumm dazustehen. Dabei würde ich mir das Gegenteil wünschen. Und ich glaube, deshalb muss ich besonders heftige Kritik anbringen". Ich nickte, so hatte das ja auch schon Amber gesehen.

"Also, ich könnte mich ja irren, aber ich würde ihr meine Schokoladenseite zeigen, so dass sie gar nicht auf die Idee kommen kann, dass ein Maurer nicht genügen könnte".

"Du wieder", sagte er und grinste schief.

"Hey, wenn es sich lohnt, dann kämpft man auch. Hat mir das nicht mein Kumpel so oder so ähnlich gesagt?"

"Schon möglich", musste er zugeben. "Und es würde sich lohnen"

"Dann weiß ich nicht, worauf du noch wartest", machte ich ihm Mut.

Nur ein paar Tage später erwartete mich eine Überraschung, als ich von meinem Praktikum zurück kam. Susan, Marita und Johanna saßen im Wohnzimmer und schienen mich schon zu erwarten.

"Gut, dass du kommst", sagte Susan, "Wir müssen was miteinander besprechen. Das heißt, Marita und ich möchten dich und Johanna was fragen". Also hatte mich mein Gefühl nicht getäuscht.

Ich setzte mich kurzerhand auf den Tisch und sah Marita und Susan abwartend an.

"Na, dann schießt mal los", forderte ich sie auf.

Auch Johanna hörte nun aufmerksam zu, als Marita loslegte:

"Hört zu, bei Susan und mir wird sich so einiges verändern. Zum einen werden wir in naher Zukunft heiraten".

"Das ist ja toll!", freute ich mich für die beiden, und auch Johanna sagte:

"Oh, wie klasse! Gratulation, das ist ja wirklich wunderbar!".

"Danke!", sagte Susan glücklich. "Jetzt mit Fiona ist das auch einfach schöner. Und außerdem könnte ja ein zweites Kind dazu kommen, wir sind jetzt, nachdem sich Fiona nun eingelebt hat, wieder mit Chris in Kontakt". Es freute mich wirklich sehr für die beiden, dass sie nun ihren Weg gehen konnten. Ich erinnerte mich an viele Momente von früher, in denen sie wirklich verzweifelt gewesen waren, als ihr Traum in weite Ferne gerückt war. Aber sie hatten dafür gekämpft, und das war ihre Belohnung.

"Und dann gibt es da noch etwas, was wir euch beide fragen wollten", sagte Marita.

"Sollen wir für euch die Blumenkinder sein?", prustete ich los und Marita grinste.

"Nein, das nicht. Aber das ist eine verlockende Vorstellung, Lucas! Nein, was wir euch fragen wollten, ist etwas ganz anderes. Für unser Familiennest brauchen wir ein Haus. Wir schauen uns gerade schon immer wieder Grundstücke an, hier und in der Umgebung, und wenn wir eines gekauft haben, bräuchten wir den einen oder anderen Architekten, der uns unser Traumhaus plant". Sie sah uns abwechselnd an, und in meinem Kopf ratterte es. Nicht nur die Tatsache, dass ich hier einen super Job bekommen würde, rotierte in meinem Kopf. Sondern auch die Tatsache, dass Marita und Susan ausziehen würden, wenn sie ein Haus hatten...

"Wir wissen natürlich, dass ihr selbst viel zu tun habt, deshalb auch die Frage an euch beide, so dass das niemand von euch alleine stemmen muss", fügte Susan hinzu.

"Ja, und jetzt müssten wir natürlich wissen, ob ihr das für uns machen wollt", fragte uns nun Marita ganz direkt.

Und Hanna und ich sahen uns an. Ein gemeinsamer Auftrag, ein schöner noch dazu. Ich würde es natürlich auf der einen Seite wahnsinnig gerne machen, schon allein, weil Susan und Marita ja nicht irgendwer waren. Und dann fühlte ich mich auch echt geehrt, dass sie mir als Neuling so vertrauten.

 

Aber wie sah das Johanna? Sie jetzt einfach so zu fragen erschien mir im Moment komisch. Aber wenn ich jetzt sagte, dass ich es machen würde und sie total dagegen war, war das auch eine blöde Situation.

Ich sah ihr in die Augen, die mich ebenfalls musterten. Früher, als wir noch zusammen gewesen waren, hatten wir uns auch ohne Worte verstanden. Ob sie mit etwas einverstanden war oder nicht war wirklich eine der leichtesten Übungen, die ich an ihrem Gesicht ablesen konnte.

 

Los, Hanna, gib mir ein Zeichen!, flehte ich im Stillen.

Und ich hoffte, dass ich ihr so mitteilen konnte, dass ich es machen würde. Es war eine kurze, stumme Zwiesprache zwischen uns, und es funktionierte immer noch. Sie blinzelte mir so zu, dass das ein eindeutiges Ja war, während ich ihr kaum bemerkbar zunickte. Damit war es entschieden.

"Ja, ich würde es machen", sagte ich dann laut, und Hanna fügte hinzu:

"Ich auch. Es würde mich total freuen, euer Haus planen zu dürfen!"

"Oh, wie klasse!", sagte Susan sofort.

 

Hanna und ich erklärten den beiden, dass wir den notariellen Plan ihres Grundstücks bräuchten, wenn sie eines gekauft hatten, und dann würden wir uns um alles weitere kümmern.

Marita und Susan kauften dann vier Wochen später ein Grundstück, das erfreulicherweise in Two Lake City lag. Es war zwar am anderen Ende der Stadt, aber mit dem Auto in zehn Minuten zu erreichen. Das Grundstück hatte 7 ar, war total eben und lag direkt an die Felder und den Ahrensee angeschlossen. Ein Traumgrundstück!

 

Jetzt begann die Arbeit von Hanna und mir, und abends, nach unseren regulären Jobs, machten wir uns daran, die Pläne für das Haus zu zeichnen. Wir wussten natürlich, was Marita und Susan wollten und was nicht, sie hatten ihre Wünsche gesagt und wie sie sich das Haus ungefähr vorstellten. Jedoch ließen sie uns freie Hand über die Feinheiten, und das war natürlich wunderbar. Johanna und ich konnten jetzt unserer Kreativität freien Lauf lassen.

"Hanna, könntest du mal kurz kommen?", fragte ich sie, als wir mal wieder an den Plänen arbeiteten.

"Klar", sagte sie und stand auf.

"Die beiden wollen ja einen Erker im Wohnbereich, und wir haben den hier rechts geplant. Ich würde den aber doch eher an die Südwest-Seite anbringen, und zwar an der Ecke. Der Vorteil wäre mehr Sonne tagsüber, und wir könnten daraus einen schönen Erkerturm machen, viel Glas - ich glaube, das wäre besser. Was meinst du dazu?". Ich zeichnete meine Idee ganz leicht in den Plan ein, damit sie sich vorstellen konnte, was ich meinte. Und Johanna betrachtete es sich eine Weile, bevor sie dann sagte:

"Gute Idee, aber mit Glas würde ich nicht übertreiben, sonst heizt sich der Raum zu sehr ein, wenn dann im Sommer die Sonne richtig drauf knallt. Ganz zu schweigen vom Wärmeverlust im Winter"

"Das stimmt. Vielleicht dann im EG etwas weniger Glas, dafür dann mehr oben im OG 1, mit Blick auf die Galerie. Das hätte auf jeden Fall den Vorteil, dass es zusätzliches Licht in die Galerie bringen würde. Und dort können wir Isolationsfenster nehmen, das würde ich für den Erker eh vorschlagen"

"Das ist gut! Ja, ich glaube, so machen wir das". Sie setzte sich zurück an ihren Plan und zeichnete weiter, ich überlegte mir, wie groß die Fenster in dem Erker sein sollten, um das mit Licht und Wärme ausgewogen zu halten.

"Lucas?", sprach mich dann Hanna von ihrem Platz aus an.

"Hm?", machte ich konzentriert, weil ich gerade dabei war, die Erkerfläche zu zeichnen.

"Es macht echt Spaß, mit dir zu arbeiten", sagte sie völlig unvorbereitet, und ich sah sie verblüfft an.

"Danke", sagte ich verwirrt. "Das kann ich genau so zurückgeben". Sie lächelte mich kurz an, dann ich sie, bevor ich mich wieder dem Plan auf meinem Tisch zuwandte. Ich fühlte mich in dem Moment wieder schrecklich mit ihr verbunden. Dabei sollte ich sie endlich aus diesen Gedanken verbannen. Michelle, fiel es mir da ein. Die wird morgen gleich angerufen und ein Date ausgemacht.

Ich traf mich dann mit Michelle im Hard Rock Cafe, und sie sah noch schöner aus als in meiner Erinnerung. Jedenfalls zog sie mich sofort in ihren Bann, als wir uns begrüßten.

Ich ging mit ihr nach oben, weil es dort meistens etwas ruhiger war als unten, und auch weniger los. Hier könnten wir uns ungestört unterhalten.

Dort angekommen warf ich dann Geld in die Musicbox und suchte ein Lied aus. Eine Rockballade sollte es schon für ein Date sein, und ich entschied mich für "November Rain" von Guns `N Roses, eine der besten Balladen, die je geschrieben wurden, meiner Meinung nach.

"Geniales Lied", sagte Michelle sofort, als die ersten Töne erklungen. Und das freute mich ehrlich.

"Finde ich auch", sagte ich.

"Dein Musikgeschmack ist schon mal super", sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich grinste.

"Deiner aber auch", woraufhin wir beide lachen mussten.

Okay, die Stimmung zwischen uns passte schon mal hervorragend. Und ich bewegte mich wieder auf sicherem Terrain. Ich konnte es noch, eindeutig. Ich fragte Michelle, ob sie Lust hatte, mit mir zu tanzen, denn das hatte ja schon bei unserem ersten Treffen super geklappt. Ihre Musikalität war natürlich genial, ein Metier, auf dem ich mich auskannte.

 

Nachdem sie meine Frage mit "Und wie ich Lust habe!" beantwortet hatte, nahm ich sie in den Arm. Dieses Lied sollte man doch wirklich nur mit einem Stehblues tanzen, und so schmiegte sie sich an mich.

Es war wirklich so leicht, und ja, es machte Spaß, eine attraktive Frau zu erobern.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir uns hier oben irgendwo hinsetzten und dann uns kennenlernten, aber das war gar nicht möglich. Ich und eindeutig auch sie waren so voller Adrenalin, tanzten, schäkerten miteinander und hatten unglaublich viel Spaß an diesem Abend. Das Kennenlernen ging wie von selbst. Dann holte ich uns was zum Trinken, sie machte sich kurz auf der Toilette frisch, und dann tanzten wir schon wieder.

Wir flirteten wie verrückt miteinander und es tat wirklich gut, so offen bewundert zu werden. Endlich mal wieder. Nach so vielen Monaten, nach so viel Schmerz. Ich fuhr alle Register aus, und sie ging bereitwillig darauf ein.

Ich hätte es ja gerne auf übermäßigen Alkoholkonsum geschoben, aber ich hatte keinen Tropfen intus, hatte mich den ganzen Abend über an Cola gehalten. Und doch knutschte ich wie wild mit Michelle, die wirklich super küssen konnte.

 

Und ja, das tat mir gut. Eindeutig.

"Ich küsse eigentlich nicht beim ersten Date", hatte sie mir nach unserem ersten Kuss gesagt, und ich strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr.

"Und was hat dich jetzt deine Grundsätze über Bord werfen lassen?", fragte ich sehr unbescheiden nach.

"Das sage ich nicht", machte sie geheimnisvoll und blinzelte mich an.

"Okay. Dann sollten wir uns auf jeden Fall wieder treffen, so dass ich die Chance habe, das herauszufinden", meinte ich zu ihr.

"Und wenn ich mich nicht mehr mit dir treffen möchte?", gab sie sich unnahbar und sah mich von unten mit einem ganz besonderen Augenaufschlag an. Das war unglaublich sexy.

"Du hast keine andere Möglichkeit, wenn du mir diese vorige Frage nicht beantworten möchtest", schmunzelte ich.

"Alles klar. Muss ich mich da wohl geschlagen geben", seufzte sie theatralisch auf und grinste mich dann an. Wir küssten uns noch mal, bevor sie nach Hause ging und ich ihr versprach, mich bald wieder bei ihr zu melden.

Als ich nach Hause kam, brannte in Raphaels Zimmer noch Licht, obwohl es schon 2.00 Uhr durch war. Und Hanna schlief auf dem Sessel. Irgendetwas stimmte nicht, und mich überkam sofort ein komisches Gefühl. Ganz cool bleiben, Lucas, dachte ich mir und atmete tief ein. Wäre es etwas Schlimmes, hätte Hanna dich auf dem Handy angerufen, gar keine Frage.

Ich beugte mich zu meinem Sohn hinunter und streichelte ihm über den Kopf. Er war ganz heiß, außerdem sah ich jetzt auch, dass er ganz rote Bäckchen hatte. Fieber also. Während ich Raphaels Stirn fühlte, wachte Johanna auf.

"Du bist da?", flüsterte Hanna verschlafen.

"Ja, ich kam gerade eben. Was hat er? Außer Fieber, meine ich?", flüsterte ich zurück.

"Nichts. Der Kinderarzt meint, es wäre das Drei-Tage-Fieber", sagte sie und rieb sich ihren verspannten Nacken.

"Du warst schon beim Arzt? Du hättest dich doch ruhig melden können", sagte ich leise zurück. Und wurde vom schlechten Gewissen überrollt. Da flirtete ich wie verrückt in dem Hard Rock Cafe, während hier Raphael krank im Bett lag.

"Du weißt, dass ich mich gemeldet hätte, wenn es wirklich was Schlimmeres gewesen wäre. Aber so habe ich ein fiebersenkendes Medikament für ihn bekommen, und sehr viel mehr kann man auch nicht machen".

Ich sah auf meinen kleinen Sohn hinab, der jetzt recht friedlich schlief. Das Drei-Tage-Fieber war mir schon von Julian, Johannas Neffen, bekannt. Eine typische Kinderkrankheit war das, bei der die Kinder tatsächlich drei Tage lang Fieber haben, danach noch einen roten Ausschlag bekommen, und das war es dann schon.

 

Es stimmte schon, dass man nicht viel machen konnte, und doch kam es mir ganz komisch vor, dass ich mich heute amüsiert hatte, während Hanna mit Raphael beim Arzt gesessen war.

Aber es stimmte wirklich: Schon bald ging es Raphael besser, und er konnte mich schon wieder anlachen.

Dafür erwischte es dann natürlich auch Fiona.

Marita nahm sich eine halbe Woche frei, damit sie Fiona gesund pflegen konnte, weil Susan einen Termin mit ihrer Lektorin hatte und zwei Tage auf jeden Fall weg war.

 

Und auch bei Fiona verlief die Krankheit völlig typisch, auch sie war am dritten Tag schon viel fitter und bekam dann am nächsten Tag den Ausschlag. Weil wir wegen Raphael nun schon wussten, was wir machen mussten, war das hier dann kein Problem mehr. 

Als Gerda mal wieder zu Besuch kam, sah sie wirklich entspannt und um Jahre verjüngt aus.

"Hey, Gerda!", begrüßte ich sie. "Wie geht es Albert?"

"Sehr gut", antwortete sie. "Er hat die Entziehung gut überstanden, ist jetzt seit Anfang des Jahres wieder zu Hause und hat sich ganz intensiv um einen Job bemüht. Man erkennt ihn fast nicht wieder", lachte sie.

"Und? Hat sich schon was ergeben?", fragte ich weiter.

"Ja, er hat über so ein Wiedereingliederungsprogramm einen Job als Küchenhilfe in einem kleinen Restaurant drüben in Leeds ergattert", erzählte sie. "Es ist zwar nicht in seinem Beruf als Koch, aber er arbeitet in einer Küche, das ist schon mal was. Und unsere finanzielle Lage wird sich auch wieder entspannen, denn er bekommt jetzt als Küchenhilfe fast fünfzig Prozent mehr Geld überwiesen als mit dem blöden Arbeitslosengeld".

"Das hört sich doch gut an!", freute ich mich mit. So lange hatte die sechsköpfige Familie wirklich hart kämpfen müssen, jetzt sah es so aus, als würde es wieder aufwärts gehen. Und ich hoffte, dass Albert nun wirklich die Kurve bekommen hatte und nicht wieder rückfällig wurde.

"Und noch etwas ist toll: Da nun alle vormittags außer Haus sind, habe ich Zeit, mit meiner Kamera umherzustreifen und Bilder zu machen. Ich bin gerade auf dem Weg zu den Schrebergärten unweit von hier, um da ein paar schöne Blumenfotos zu machen".

Die Schrebergärten... Ob ich dieses Wort je wieder hören könnte, ohne dass da diese negativen Gefühle in mir aufkamen?

"Schön, dass du wieder öfter zum Fotografieren kommst", sagte ich dann aber zu ihr, und hoffte, dass sie mir nichts anmerkte.

"Ja, es hat mir schon sehr gefehlt. Aber jetzt gehe ich mal weiter, ich möchte das gute Licht noch ausnutzen, bevor die Sonne verschwindet", verabschiedete sie sich von mir.

"Dann viel Spaß beim knipsen!", sagte ich noch, bevor sie dann weiter ging.

An diesem Abend saß ich auf meinem Bett und las in einem Buch. Plötzlich klopfte es an meine Tür, und auf mein "Ja?" kam Johanna herein.

"Lucas, hast du etwas Zeit für mich?", fragte sie.

"Klar", sagte ich und stand auf. "Was kann ich für dich tun?"

"Es ist so", begann sie zögerlich, "also, bei Gregor und mir...", sie stockte kurz und die verschiedensten Gedanken rasten durch meinen Kopf. Verwundert stellte ich fest, dass es dort einen gab, der sich jetzt vorstellte, dass sich Johanna und Gregor getrennt hatten und sie mir nun sagen würde, dass sie mich liebte. Ich wischte den Gedanken weg und wartete, was sie wirklich sagen wollte.

"Ja?", fragte ich nach.

"Also, er hat ein Haus, sein elterliches Haus, das er gerade renoviert und umbaut". Schön für ihn.

"Und jetzt braucht er einen Architekten wie mich, der ihm das plant", witzelte ich humorlos. Hanna schmunzelte kurz und sagte dann ironisch:

"Klar. Wir wollten dich fragen, ob du den Job machen würdest".

 

Wir?

"Nein, mal ernsthaft", fuhr sie dann fort, "Es ist so, dass ich umziehen werde. Wenn das Haus renoviert und umgebaut ist, werde ich zu ihm ziehen". Der Raum begann sich zu drehen, obwohl das nicht mal eine große Überraschung war. Wie ich schon vor Wochen gedacht hatte, war sie dabei, die leere Hülle zu füllen. Johanna baute sich das Nest, das sie hier nicht hatte, so einfach war das.

 

Doch noch ein anderer Gedanke war sofort in meinem Kopf präsent: Raphael. Sie dort, ich hier. Und ein Kind dazwischen.

"Ja, das... ist schön für euch", sagte ich völlig tonlos. Was hätte ich jetzt auch sagen sollen? Ich legte ihr keine Steine mehr in den Weg, das hatte ich mir vorgenommen.

"Es ist jetzt vor allem noch viel Arbeit. Wir haben die Pläne zwar fertig, aber es ist ganz schön viel zu tun, das Haus ist in einem renovierungsbedürftigen Zustand". Okay, so viele Informationen wollte ich jetzt über Gregors elterliches Haus gar nicht haben. Und dass Johanna genau wie hier an den Plänen beteiligt war, machte mich eifersüchtiger, als mir das lieb war.

"Es gibt da noch was", fuhr sie fort, nachdem ich nichts gesagt hatte. "Es geht um Raphael". Obwohl ich selbst schon daran gedacht hatte, durchfuhren mich ihre Worte eiskalt.

"Natürlich. Wir müssen überlegen, wie wir das in Zukunft handhaben werden", versuchte ich mit klarer Stimme zu sagen.

"Lucas... Du wirst hier doch alleine sein, nachdem Marita und Susan in ihr Haus gezogen sind. Und Gregor und ich...", sie stockte kurz und ich sah ihr von einem Auge zum anderen.

"Ihr werdet nicht alleine sein", vollendete ich ihren Satz leise. Ich ahnte, was jetzt kommen würde.

"Ich würde Raphael gerne mitnehmen. Nicht nur, weil du das allein stemmen müsstest, sondern auch, weil er so eben zwei Bezugspersonen hätte". Sie sah mich mitleidig an, und das war überhaupt nicht zu ertragen. Sie wusste natürlich, was sie mir damit antat.

Ich konnte sie nicht mehr ansehen. Das alles stürmte jetzt mit so einer Wucht auf mich ein, dass es mich schier zerriss.

 

"Hanna...", sagte ich dann, doch sie unterbrach mich sofort.

"Höre zu, ich weiß, dass das schwer für dich ist! Aber ich will ihn dir ja nicht wegnehmen, du kannst ihn sehen, wann du möchtest! Das ist doch wohl klar!".

"Aber es ist nicht das gleiche", sagte ich.

"Aber ich finde, es ist die beste Lösung so", meinte sie, und dem konnte ich nicht mal widersprechen. Würde Raphael hier bleiben, dann würde sie vor dem gleichen Problem wie ich jetzt stehen. "Aber wenn du noch eine bessere Möglichkeit hast, dann sage mir die bitte, dann reden wir darüber"

"Die habe ich nicht", musste ich zugeben. Es trat kurz Stille zwischen uns, in der wir uns nur ansahen.

"Wir bekommen das geregelt", sagte sie.

"Sicher"

"Außerdem dauert das jetzt wirklich noch einige Zeit, bis es soweit ist". Als würde mich das jetzt trösten können...

Als sie aus dem Zimmer gegangen war, setzte ich mich niedergeschlagen auf mein Bett.

 

Jetzt hatte ich nicht nur Johanna verloren, sondern würde auch Raphael viel seltener sehen können. Ich war in diesem Moment zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, und obwohl ich wusste, dass ich dieses Schicksal mit vielen Menschen dort draußen teilte, machte es mich wahnsinnig, dass mein Kind nicht mehr bei mir wohnen würde. Es konnte echt nicht mehr schlimmer kommen.

 

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