Teil 2

Als der Direktor dann vorfuhr, empfing ich ihn dann schon vor dem Haus.

"Herr Jakoby, schön, dass sie hergefunden haben!", begrüßte ich ihn. Natürlich war ich über den Namen von Gerda und auch den Kindern informiert worden.

"Und sie müssen Herr Schiller sein", sagte der Mann mit einer tiefen Stimme. "Frau Kappe hat mich darüber informiert, dass sie hier auf die Kinder aufpassen, solange die Eltern nicht hier sind". Er sah mich halb fragend, halb forschend an und ich wusste, dass dies nun schon eine erste kleine Prüfung war.

"Ja, ich mache das zum ersten Mal. Normalerweise sind ja die Eltern hier. Wer konnte auch nur ahnen, dass sie ausgerechnet jetzt zum ersten Mal überhaupt etwas gewinnen! Und dann auch noch eine Reise! Es ist für mich eine Ehrensache, da zu helfen. Für so gute Freunde tut man das schließlich gerne". Puh, ich hoffte, dass ich nun nicht zu dick aufgetragen hatte, doch der Direktor schien zufrieden zu sein.

"Ja, wenn das Glück in Form eines Gewinnes mal lacht, sollte man die Gelegenheit beim Schopfe packen. Vielleicht kommt so etwas nie wieder. Und wenn man so gute Freunde hat, ist das ja auch kein Problem"

"So habe ich auch gedacht", fügte ich noch hinzu und musste nun beim Treppenaufstieg zur Haustür höllisch aufpassen, nicht auf meiner Schleimspur auszurutschen. 

Miranda als Älteste begrüßte den Direktor mit einem herzerwärmenden Lächeln im Gesicht. Ich lud ihn dann sofort zum Essen ein, doch er meinte:

"Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Zuerst würde ich mir dann doch gerne die Räumlichkeiten hier etwas näher ansehen, wenn dies möglich ist"

"Aber gerne!", lächelte Miranda wieder zuckersüß und führte den Direktor dann durch das Haus.

Auch gut. So hatte ich wenigstens Zeit, den Tisch in Ruhe zu decken.

Nach der Hausführung kamen nicht nur Miranda und der Direktor, sondern auch Hans und Desdemona mit ins Esszimmer.

"Vielen Dank für den Rundgang!", sagte Herr Jakoby zu Miranda.

"Gerne", antwortete sie.

"Ich hoffe, sie haben etwas Hunger mitgebracht!", warf ich dann ein und bat alle an den Tisch.

"Wer könnte so einem Duft schon widerstehen", lachte der Direktor und griff beherzt zu.

Dann wandte er sich direkt an die Kinder.

"Ihr habt ja auch schon meine Privatschule gesehen. Könntet ihr euch denn vorstellen, dort zu lernen?". Nun war es an Hans und Desdemona engelsgleich zu lächeln. Mir wäre fast die Gabel aus der Hand gefallen - so hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen.

"Ich glaube, dass die Schule für jeden etwas bietet", sagte Hans. "Deshalb würde da das Lernen sicher großen Spaß machen"

"Das hört sich ja so an, als würdest du gerne lernen", fragte Herr Jakoby und sah Hans intensiv an.

"Na ja...", sagte Hans, "es gibt auch Tage, an denen man sich Schöneres vorstellen könnte". Miranda hörte vor Schreck kurz auf zu atmen und sah ihren Bruder scharf an. Ich beobachtete angespannt den Direktor. Was würde er jetzt wohl sagen?

Doch Herr Jakoby lachte auf.

"Das ist doch mal ein ehrlicher Junge! So etwas wünscht man sich wirklich öfter! Es wäre doch auch wirklich seltsam, wenn es für so junge Leute nichts anderes als die Schule und das Lernen geben würde. Wir lehren ja nur die Theorie, aber das Leben bietet alles andere". Ich atmete erleichtert auf, auch Miranda entspannte sich merklich. "Was machst du denn gerne in deiner Freizeit, Hans?", wollte Herr Jakoby dann wissen.

"Na ja, ich spiele ganz gerne Basketball", sagte Hans nun etwas zurückhaltender, wohl wissend, dass seine vorige Antwort auch hätte in die Hose gehen können.

"Oh, schön! Dann freut es dich sicher zu hören, dass wir eine kleine, aber feine Basketball-AG haben".

"Wirklich?", fragte Hans mit leuchtenden Augen und der Direktor nickte.

Das Essen verlief dann noch recht angenehm, an dem der Direktor die Kinder immer wieder etwas fragte, das sie auch immer bedacht beantworteten. Nach dem Essen stand er auf und gab mir die Hand.

"Herr Schiller, sie können Herr und Frau Kappe sagen, dass die Chancen für ihre Kinder, auf meine Schule zu kommen, sehr hoch sind. Die Kinder sind gut erzogen, sie leben in geordneten Verhältnissen und machen einen aufgeweckten Eindruck".

"Das freut mich zu hören", gab ich zurück.

"Ihr Essen war übrigens auch sehr gut", lobte er dann mich.

"Vielen Dank", sagte ich. "Ich begleite sie gerne noch nach draußen", bot ich an, weil ich noch etwas unter vier Augen mit ihm besprechen wollte.

"Herr Jakoby", begann ich dann auch sofort, als wir alleine waren, "dürfte ich sie etwas fragen?"

"Natürlich. Worum geht es denn?", fragte der Direktor und blieb stehen, um mich fragend anzusehen.

"Nun", begann ich und ordnete meine zurechtgelegten Worte in meinem Hirn. "Es ist so: Ich wollte mich über diese Förderung unterprivilegierter Kinder an Privatschulen im Internet informieren, habe darüber aber nichts gefunden. Was genau hat es mit dieser Förderung auf sich? Ist das nur hier im Kreis oder sogar nur in unserer Stadt so?".

Herr Jakoby sah mich offen an, dann begann er zu erklären:

"Genau genommen gibt es diese Förderung nur an meiner Schule. Lassen sie mich offen sprechen, Herr Schiller. Sehen sie, seit Jahren sind die Schülerzahlen rückläufig, das betrifft nicht nur meine Schule, sondern alle Schulen, was schlicht am bundesweiten Geburtenrückgang liegt. Als ich als Direktor der Schule angefangen habe, waren fast doppelt so viele Kinder als jetzt angemeldet. Mit dieser Tatsache hängen nun noch ganz andere Dinge zusammen. Angefangen damit, dass ich Lehrer entlassen musste, was nicht schön ist. Dann bekommen wir natürlich auch nicht mehr so viel aus dem Geldtopf, der den Schulen vom Schulamt für Renovierungen, Lehrmittelbeschaffungen und so weiter zur Verfügung steht. Und es ist sich leicht zu denken, dass weniger Kinder gleich weniger Geld bedeuten. Und bevor sie jetzt etwas falsches denken: Nein, dieses Geld wandert nicht in meine Tasche. In den nächsten Jahren kommen ein paar Renovierungsarbeiten an der Schule auf mich zu, etwa die sanitären Anlagen, das Dach und mit Sicherheit auch irgendwann die Wasserrohre, denn wie sie vielleicht wissen ist die Schule schon über hundert Jahre alt".

Das wusste ich tatsächlich, Gerda hatte mir ja zig Broschüren der Schule in die Hände gedrückt, bevor sie gefahren waren.

"Ja, das ist mir bekannt", sagte ich und verstand so langsam. Nur eine Sache war noch unklar. "Aber sie müssen ja nun sicher einen Teil des Schulgeldes, dass eigentlich die Familien bezahlen müssen, selbst übernehmen, oder?". Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Gerda und Albert für vier Kinder das Schulgeld für die Privatschule bezahlen konnten.

"Ja, das stimmt. Ich habe lange mit dem Kollegium überlegt, was für die Schule das Beste ist. Es waren Tage voller abstruser Theorien, aber letztlich war es klar, dass etwas geschehen musste, denn ich hätte sonst ab dem Sommer erneut zwei Kollegen entlassen müssen. Wir werden uns erlauben, das Schulgeld für die anderen Familien um einen kleinen Prozentsatz zu erhöhen. Die meisten Familien werden das wohl ohne mit der Wimper zu zucken hinnehmen, und dadurch bekommen wir einen guten Teil des Geldes wieder rein".

"Mit anderen Worten: Die anderen bezahlen dann das Schulgeld für die unterprivilegierten Kinder mit", schloss ich.

"Wenn sie es so sehen wollen - ja. Aber tun sie mir bitte den Gefallen und plaudern sie das nicht aus. Ich habe ihnen sowieso schon mehr erzählt als ich sollte". Ich grinste den Direktor an und versprach, niemandem etwas davon zu erzählen. Dass dies nicht für Johanna galt war ja sicher selbstverständlich.

"Herr Jakoby, noch etwas anderes", warf ich noch ein. "Mein Sohn Raphael hat es sich in den Kopf gesetzt, ebenfalls auf die Privatschule zu gehen, er kommt ab dem Sommer in die Schule. Gäbe es eine Chance, dass auch er auf ihre sehr gute Schule aufgenommen wird?". Noch mal ein bisschen schleimen konnte ja nicht schaden.

"Ich wüsste nichts, was dagegen sprechen würde", sagte Herr Jakoby lächelnd. "Jedoch würde ich dann gerne noch mal zu ihnen kommen um mir ihre häusliche Umgebung anzuschauen".

"Natürlich!", beeilte ich mich zu sagen, "Das ist ja selbstverständlich".

"Ich glaube aber kaum, dass es da etwas für mich zu sehen gibt, was einer Anmeldung im Wege stünde. Sie sagten, dass sie und ihre Lebensgefährtin Architekten sind?"

"Ja, genau", bestätigte ich.

"Na also. Ich denke, ich werde zu dem Besuch bei ihnen dann schon mal alle nötigen Papiere mitbringen. Rufen sie mich bald an, damit wir einen Termin vereinbaren können".

"Sehr gerne", antwortete ich und verabschiedete mich von dem Direktor, der einen zuvorkommenden und freundlichen Eindruck auf mich machte. Sicher wäre Raphael auf der Schule gut aufgehoben. Natürlich musste sich auch Johanna noch damit auseinandersetzen, außerdem mussten wir uns die Schule natürlich auch noch mal in Ruhe ansehen, aber das, was ich bis jetzt mitbekommen hatte, gefiel mir gut.

An ein frühes Zubettgehen war an diesem Abend natürlich nicht mehr zu denken. Miranda ging mit ihrem Freund aus, Hans ging noch mit ein paar Kumpels zum Kiosk und Raphael und Elvira spielten noch in ihren Schlafanzügen Fangen. Desdemona telefonierte gefühlte Stunden mit einer Freundin und ich selbst erzählte natürlich alles haarklein Johanna am Telefon. 

Den Erfolg mit der Privatschule feierte ich gleich am nächsten Tag mit den Kids, in dem ich sie ins Schwimmbad einlud. Alle hatten den Vorschlag begeistert aufgenommen, nur Miranda wollte lieber mit ihrem Georg zusammen sein, und vor allem alleine, weshalb sie nicht mit ging.

Wir anderen aber plantschten vergnügt im Wasser oder hatten Spaß mit der Rutsche oder den Sprungbrettern.

Auch wenn dann mal der eine oder andere Bauchplatscher dabei war.

Die Größeren begeisterten sich eher für die Sprungbretter.

Hans ließ es sich auch nicht nehmen, ein bisschen zu flirten. Da ich ja auch mal 15 war und noch genau wusste, wie ich da drauf war, konnte ich ihn sehr gut verstehen.

Alles in allem hatten wir also einen tollen Tag im Schwimmbad.

Es war auch schön zu sehen, dass Raphael und Elvira wieder viel häufiger zusammen spielten. Anscheinend hatte er sich meinen Rat zu Herzen genommen und Elvira gesagt, dass er nicht immer Lust auf Barbies hatte. Er wirkte auch sonst recht zufrieden, obwohl er mir täglich sagte, wie sehr er seine Mutter vermisste. Was das betraf konnte ich ihn mehr als gut verstehen, auch ich sehnte mich nach Johanna und freute mich, wenn wir uns endlich wieder sahen. Unsere täglichen Telefongespräche wurden inzwischen immer länger.

Es war Mitte der Woche, als ich vom oberen Stockwerk des Hauses in den unteren gehen wollte und dabei an den Schlafzimmern der Mädchen vorbei kam. Desdemona rief mich plötzlich zu sich, was seltsam war, denn sie hatte niemanden gerne in ihrem Reich. Vor allem Elvira machte sich darüber lustig, sie meinte, dass Desdemona nur Angst hatte, man könne in ihrem Tagebuch lesen. Nun denn, mich ging das ja nichts an, deshalb hielt ich mich in diesen Gesprächen immer gerne heraus, es sei denn, ich musste erhitzte Gemüter beruhigen, was bei drei Teenagern an der Tagesordnung war.

Ich ging also in das recht kleine Reich von Desdemona.

"Ja?", fragte ich sie.

"Ähm, Lucas, könntest du mir einen kleinen Gefallen tun?", fragte sie mich.

"Kommt darauf an", lachte ich.

"Könntest du mir bitte die Bänder am Rücken meines Kleides zubinden? Ich komme nicht so richtig dran". Sie schob schon ihre Haare zur Seite und ich blickte auf ihren Rücken und das Kleid, dessen Schnüre nun wirklich nicht zugebunden waren. Warum fragte Desdemona ausgerechnet mich? Miranda war auch da, und auch ihr Bruder wäre wohl die bessere Wahl gewesen. Und das fragte ich dann auch.

"Wäre es nicht besser du fragst da deine Schwester? Sie ist in ihrem Zimmer"

"Bitte Lucas! Sie lernt gerade und ich möchte sie nicht stören! Und du bist doch nun eh schon hier!". Ich seufzte auf. Alle meine Alarmglocken begannen gleichzeitig zu schrillen, und ohne noch groß etwas zu sagen band ich ihr fix die Bänder zusammen und flüchtete regelrecht aus dem Zimmer. Was hatte sich Desdemona nur dabei gedacht? Sie war 14, alles andere als ein kleines Kind mehr, dem man beim Schuhe anziehen helfen musste. Ich war nicht blöd und ich hoffte nur, dass das der einzige Vorfall dieser Art bleiben würde.

Nur kurze Zeit darauf hörte ich jedoch Miranda und Desdemona in Mirandas Zimmer streiten.

"Bist du denn total bekloppt?", zischte Miranda ihre Schwester an und ich wollte schon fragen, was denn los ist, als Desdemona antwortete:

"Was ist daran bekloppt, sich zu verknallen? Du hast doch auch einen Freund!". Ich blieb wie angewurzelt stehen.

"Desdemona!", rief ihre Schwester erschrocken aus. "Er ist viel älter als du und hat Familie!"

"Ja, ganz toll! Seine sogenannte Freundin lässt ihn wochenlang im Stich! Das würde ich nie tun! Und das Alter ist doch wohl schnuppe! Guck doch mal, wie toll er aussieht!"

"Es gibt gutaussehende Jungs in deinem Alter!"

"Das sind doch Kinder! Mit so etwas kann ich nichts anfangen! Außerdem mag er mich auch, sonst hätte er doch niemals mein Kleid zugebunden, obwohl du im Nebenzimmer warst! Und ich würde Lucas glücklich machen!". Ich verschluckte mich fast an der Spucke, die sich gerade während der Zeit, als mir der Atem gestockt war, im Mund gesammelt hatte. Mir wurde heiß und kalt. Das war doch jetzt wohl nicht wahr, dass die 14jährige Desdemona für mich... schwärmte???

Ich überlegte gerade fieberhaft, was ich nun tun sollte, als Miranda weitersprach:

"Klar, er hilft dir wie einem Baby, sich anzuziehen, da würde ich auch totaaal viel rein interpretieren! Und wer sagt denn, dass er unglücklich ist? Immerhin ist er mit Johanna schon seit Jahren zusammen, sie haben ein gemeinsames Kind!"

"So lange ist er auch noch nicht mit ihr zusammen! Und zwischendurch waren sie eine ganze Weile getrennt, er hatte damals Schluss gemacht, tja, da braucht man nicht lange zu fragen, warum", trumpfte Desdemona mit Wissen auf, das sie eigentlich gar nicht haben konnte. Woher hatte sie das nur?

"Dann frage dich doch mal, warum er jetzt wieder mit ihr zusammen ist?"

"Ach, wahrscheinlich nur wegen Raphael, das ist doch klar. Aber Liebe... nein, ich glaube nicht, dass da Liebe im Spiel ist. Warum hat er sie z. B. noch nicht geheiratet? Wirklich Miranda, mir kannst du nicht erzählen, dass er jetzt alles genau so hat wie er es möchte! Da stimmt doch was nicht und ich möchte ihm zeigen, dass ich die Bessere für ihn wäre!"

"Du spinnst ja total! Wirklich, du hörst auf, so dummes Zeug zu reden! Und du wirst dich von Lucas fern halten, ansonsten sage ich Mama, was Sache ist. Mal sehen, was sie davon hält, dass sich ihre Tochter in einen ihrer Freunde verliebt hat, der zudem noch doppelt so alt ist!"

"Das tust du nicht!", rief Desdemona erschrocken aus. "Du alte Petze!"

Ohne groß nachzudenken stürmte ich nun in das Zimmer und sah, das Desdemona gerade dabei war, empört das Zimmer ihrer Schwester zu verlassen. Sie sah mich nur kurz an und ging dann an mir vorbei hinaus. Ein paar Sekunden später hörte ich die Tür ihres Zimmers knallen.

Mirandas Versuch, mich anzulächeln, scheiterte kläglich und schief grinsend sah sie mich nun an.

"Kann ich etwas für dich tun, Lucas?", fragte sie mit noch zittriger Stimme. Ich war mindestens ebenso aufgeregt und sah sie eine ganze Weile an, ohne etwas zu sagen. Was sollte ich nun antworten?

"Du solltest deiner Mutter nichts davon erzählen", sagte ich dann und gab meiner Stimme den beruhigendsten Klang, den ich in der Situation aufbringen konnte. Miranda wurde etwas weiß im Gesicht, denn nun wusste sie ja, dass ich das Gespräch gehört hatte.

"Wie viel...?", begann sie zu fragen, doch ich unterbrach sie:

"Genug".

Stille.

"Ich weiß wirklich nicht, was in sie gefahren ist", sagte Miranda dann entschuldigend.

"Ich auch nicht, ich habe doch nichts gemacht, um sie da irgendwie... zu ermutigen?"

"Quatsch!", antwortete Miranda sofort, "Du warst völlig normal. Na ja, bis auf die Tatsache vielleicht, dass du für dein Alter noch ganz gut aussiehst", zwinkerte sie. Na super, für eine Siebzehnjährige war ich also schon alt, wie ermutigend!

"Höre zu, du musst da nichts zu Desdemona oder deinen Eltern sagen, ich regle das natürlich selbst, ja?", nahm ich sie aus der Verantwortung, die sie weder tragen konnte noch sollte. So weit käme es noch!

"Aber...", begann sie dann, doch ich unterbrach sie.

"Nichts aber! Ich halte das für eine kurzzeitige Schwärmerei, sonst nichts. Sobald ich wieder ausgezogen bin, wird sich das erledigen".

"Sie kann dickköpfig sein", zweifelte Miranda. "Ich glaube nicht, dass das so bald aufhört"

"Dann kann ich immer noch mit deiner Mutter reden", sagte ich. "Wirklich, du musst da gar nichts machen, ja?". Sie zögerte noch kurz, bevor sie nickte.

"Okay". Ich lächelte sie an und wollte schon gehen, als mich Miranda noch einmal zurück hielt.

"Lucas?"

"Ja?"

"Darf ich dich etwas Persönliches fragen?".

"Klar", sagte ich und sah sie gespannt an.

"Warum sind Johanna und du nicht verheiratet?", wollte sie dann wissen. Aha, Desdemonas Saat war also nicht ganz auf unfruchtbaren Boden geflogen.

"Wir fühlen uns wohl und vermissen nichts. Hauptsache, wir sind zusammen, verstehst du?". Miranda lächelte mich an und nickte wissend, immerhin war ja auch sie schwer in ihren Georg verliebt. Als ich jedoch ihr Zimmer verließ begann ich zu grübeln.

 

Johanna und ich hatten noch nie direkt über eine Hochzeit gesprochen. Doch ich ahnte natürlich, dass Johanna sicher gerne heiraten würde. Und ich? Wie sah es da in mir aus? Es stimmte, was ich vorhin zu Miranda gesagt hatte: Das Wichtigste war, dass Johanna und ich zusammen waren. Aber gab es da nicht auch eine Ecke in mir, die vielleicht doch...?

In den nächsten Tagen beschäftigte ich mich gedanklich aber auch ganz schön mit der Sache von Desdemona. Sie hielt sich recht oft in meiner Nähe auf, brauchte plötzlich mehr Hilfe bei den Hausaufgaben und hatte zur Krönung des Ganzen am gestrigen Tag sogar laut verkündet, dass sie wieder ein bisschen Fleisch und Wurst essen würde und ich gerne da mal wieder so etwas kochen könne.

 

Auch während meiner Arbeit nachmittags in Mirandas Zimmer huschte sie immer wieder rein, bewunderte meine Zeichnungen und wollte völlig Belangloses wissen. Ich konnte mich kaum mehr konzentrieren. Es war eine schwierige Situation und ich grübelte, wie ich dem Mädchen klar machen konnte, dass ich keineswegs der Richtige für sie war.

Ich nahm mir vor, das Ganze auch mit Johanna zu besprechen. Nicht nur deshalb, dass sie Bescheid wusste, sollte Desdemona in Zukunft öfter mal bei uns anrufen oder sogar an der Haustür klingeln, sondern auch weil sie vielleicht einen guten Rat für mich hatte. Denn ich war gerade so ziemlich ratlos. Und was würde wohl Gerda dazu sagen? Nicht auszudenken, wenn unsere Freundschaft darunter leiden würde!

Desdemona ließ sich jedoch auch weiterhin nicht entmutigen und half mustergültig dort im Haushalt, wo ich auch in der Nähe war. Selbst als ich begann, sie nach den Jungs in ihrer Klasse zu befragen, hatte das nur mäßigen Erfolg, leider. Denn die fand sie alle "reif für den Kindergarten, diese Bubis".

Am Freitag spät abends, als die Kinder schon schliefen, rief ich bei Mark an.

Mark. Mein bester Freund, den ich seit fünf Monaten nicht mehr gesehen hatte. Mark, den die Situation mit seiner Chefin Tanja, in die er verliebt war, so geschlaucht hatte, dass er für ein halbes Jahr zu Verwandten nach Amerika geflüchtet war. Offiziell hatte er sich ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub genommen, um sich in Amerika bautechnisch fortzubilden. Sein Onkel, der dort lebte, hatte ihm eine Stelle als Maurer besorgt und nun sah er sich an, wie Hochhäuser sicher gebaut wurden. Dass Tanja ihm diesen Urlaub genehmigt hatte, war für ihn ein weiterer Beweis, dass er bei ihr keine Chancen hatte. 

"Wie geht es dir im Land der unbegrenzten Möglichkeiten?", fragte ich ihn, als ich ihn endlich am Telefon hatte.

"Gut!", antwortete er fröhlich, "Ich habe gerade Feierabend".

"Das weiß ich doch, deshalb rufe ich ja auch zu Zeiten an, zu denen ich eigentlich im Bett liegen müsste", lachte ich.

"Haha, als ob du an einem Freitag Abend schon um zehn im Bett liegen würdest", hörte ich ihn frotzeln und musste grinsen.

"Du weißt ja gar nicht, wie sehr es schlauchen kann, für fünf Kinder zu sorgen", sagte ich.

"Du bist immer noch bei den Kappes, oder? Wie läuft es?", wollte Mark wissen.

"Ganz gut eigentlich, es hätte wesentlich schlimmer sein können. Aber ich habe es geschafft, die Kinder auf die Privatschule zu bekommen, gestern schon kam der Brief mit der Anmeldebestätigung. Am Sonntag Nachmittag werden die Zelte hier wieder abgebrochen".

"Wahnsinn, dann sind die zwei Wochen auch schon wieder vorbei!", musste er feststellen.

"Ja, und du kommst in vier Wochen wieder", bemerkte ich.

Er machte eine kurze Pause.

"Ja, krass, wie schnell das jetzt ging. Ein halbes Jahr weg - einfach so".

"Na ja, so schnell war das jetzt auch nicht", meinte ich, denn ich vermisste meinen besten Freund schon lange und freute mich, dass er in vier Wochen wieder hier sein würde.

"Hast du mal was von ihr gehört oder gesehen?", schwenkte er dann plötzlich um. Ich wusste natürlich, von wem er sprach. In den letzten Monaten hatte er regelmäßig nach Tanja gefragt, dabei hatte ich ihm immer sofort Informationen gegeben, wenn ich etwas Neues wusste.

"Seit ich sie mal auf der Baustelle des neuen Kaufhauses in der Innenstadt gesehen habe nichts mehr, nein. Und das weißt du ja schon", sagte ich.

"Okay", sagte er knapp. Ich wusste wirklich nicht, was er erwartet hatte. Dass Tanja eines Tages an unserer Haustür klingeln würde, völlig verzweifelt, weil sie dringend die Nummer ihres Mitarbeiters in Amerika benötigte, um ihm endlich zu sagen, dass sie ihn liebte? Selbst wenn ich Tanja über den Weg lief, was relativ selten war, sprach sie nie über Mark sondern nur über Berufliches. Sie war eben professionell und hatte es in einem männerdominierten Beruf eh schon nicht leicht. Wir redeten dann auch über andere Dinge, bis wir uns dann verabschieden mussten.

Am Samstag Mittag ging ich in Hans` Zimmer, um ihn für das Mittagessen zu rufen.

"Kommst du zum Essen?", fragte ich ihn, weil er auf meine Rufe nicht reagiert hatte. Ich hatte ihn schon mit Kopfhörern gewähnt, doch er saß an seinem Schreibtisch, vor sich Stifte, Pinsel und Acrylfarben.

"Ich komme gleich", antwortete er und fügte dann noch hinzu: "Ich muss dich mal was fragen".

"Dann schieß mal los", sagte ich und wartete auf seine Frage.

"Also", begann er, "du zeichnest ja auch, ich meine, du bist ja ein Architekt, und außerdem hast du meiner Mutter zum Geburtstag mal ein Bild gemalt, oder?"

"Ja, das oben im Flur", antwortete ich.

"Genau", gab er zurück. "Das heißt, du hast schon Ahnung was das angeht, deshalb würde ich dich gerne mal fragen, was du zum Beispiel zu dieser Zeichnung hier sagen würdest". Er zeigte auf das Blatt Papier auf dem Tisch, auf dem er offensichtlich gerade noch gezeichnet hatte. 

Es zeigte die groben Zeichnungen zweier Menschen, einmal einer grimmig dreinblickenden Frau und einmal eines Mannes im Profil.

"Ist das von dir?", fragte ich nach.

"Ja", antwortete er. "Wie findest du es? Es sind nur recht grobe Zeichnungen, und das Profil des Mannes ist auch noch nicht fertig, aber ich wollte mal Menschen zeichnen"

"Es ist gut, schöne Proportionen. Ist das ein Hobby von dir, von dem ich nichts wusste?"

Hans schluckte.

"Genau da liegt das Problem", sagte er dann plötzlich leise, und ich merkte ihm an, wie schwer es ihm fiel, die nächsten Worte zu sagen. "Wenn es nach meinem Vater ginge, wäre es nur ein Hobby. Aber ich würde so etwas gerne beruflich machen, doch er hält das für Blödsinn und hat mich angewiesen, etwas Anständiges zu lernen". Ich seufzte auf. Albert war unverbesserlich, dieser Mensch traf doch immer wieder genau die falschen Entscheidungen. Wie konnte er seinem Sohn den Beruf verwehren, den er gerne machen wollte?

"Ich kann natürlich nichts sagen, was deine Eltern nicht gutheißen würden, Hans", sagte ich.

"Klar", sagte er etwas niedergeschlagen. "Ich möchte von dir eigentlich nur wissen, ob ich Talent hätte, um so einen Beruf erlernen zu können".

"Das hast du ohne Zweifel", bestätigte ich ihm, obwohl ich wusste, dass ich dadurch seine Situation nicht besser machte, eher im Gegenteil. Aber vielleicht würde er so ja auch den Mut haben, gegen die Meinung seines Vaters zu kämpfen.

"Gut zu wissen", meinte er. "Weißt du, ich möchte ja nichts Abgefahrenes machen. Ich will auch kein brotloser Künstler sein, aber so etwas wie ein Grafiker in einer Werbeagentur oder so etwas wäre toll".

"Du musst nur daran denken, dass die Konkurrenz in so einem Beruf riesig ist", erklärte ich. "Wenn du das wirklich machen möchtest, heißt die Devise: üben, üben, üben. Aber zuerst solltest du das mit deinen Eltern klären, denn ohne deren Unterstützung ist es natürlich viel schwerer".

"Meine Mutter ist nicht das Problem, nur mein Vater!", erklärte mir Hans. Ja, das konnte ich mir gut vorstellen. Gerda würde sich nicht gegen den Berufswunsch ihres Sohnes stellen, im Gegensatz ihres bekloppten Mannes.

"Dann soll sie doch noch mal mit deinem Vater reden. Und ich werde deiner Mutter erklären, dass du wirklich Talent hast, ja?"

"Das würdest du tun?", fragte mich Hans hoffnungsvoll.

"Natürlich! Das ist doch überhaupt kein Problem!", lächelte ich ihm zu. "Aber jetzt gibt es erst mal was zum Mampfen, wie du so schön sagen würdest", zwinkerte ich, und gemeinsam gingen wir ins Esszimmer.

Das letzte Frühstück bei den Kappes fand schon am nächsten Morgen statt, und zu meiner Überraschung war es schon fertig zubereitet, als ich ins Esszimmer kam. Miranda war gerade dabei, gefüllte Waffeln für jeden zu verteilen. Raphael hatte sich schon gesetzt und genoss die süße Köstlichkeit.

"Miranda, das ist ja lieb! Aber eigentlich ist es immer noch meine Aufgabe, das für euch zu tun!", sagte ich gerührt.

"Quatsch! Du hast uns die letzten zwei Wochen so gut versorgt, jetzt bist du mal an der Reihe, an den gedeckten Tisch zu sitzen. Als Dank", sagte sie bestimmt.

"Vielen Dank!", freute ich mich, und wir setzten uns, um zu frühstücken. Die Zeit hier war etwas Besonderes gewesen. Die Kinder richtig kennenzulernen zu können war auf jeden Fall toll, ich hatte viel über sie erfahren, was ich bisher noch nicht bemerkt oder gewusst hatte. Miranda wollte dann wissen:

"Wenn du wüsstest, was auf dich zukommen würde, würdest du noch mal für zwei Wochen zu uns ziehen?"

"Klar", sagte ich sofort.

"Und du, Raphael?", fragte Miranda meinen Sohn augenzwinkernd.

"Ich auch", sagte er, "Aber nur, wenn Mama mit darf".

 

Nach dem Frühstück räumte ich dann die Küche auf, machte die Betten und fing an, unsere Koffer zu packen. Gerda und Albert würden nachmittags kommen, da wollte ich mit allem fertig sein.

Die Wiedersehensfreude, als Gerda und Albert dann ankamen, war vor allem bei ihren Kindern riesig.

Aber auch ich freute mich, Gerda so gut erholt zu sehen. Sie und auch Albert hatten anscheinend schöne Urlaubstage gehabt, und genau das war der Sinn der ganzen Übung gewesen.

 

Die Kinder und ich erzählten dann, was in den letzten Tagen alles passiert war, allem voran natürlich der Besuch des Direktors und die Aufnahme auf die Privatschule. Auch diese Info ließ die beiden strahlen. Natürlich erzählten auch Gerda und Albert, was sie alles im Urlaub erlebt hatten, und wir waren alle ausgelassen an diesem Nachmittag.

"Ich danke dir so sehr!", sagte Gerda und nahm mich in den Arm. Ich wiegelte ab, dass so etwas unter Freunden normal sei, doch sie bestand darauf, sich irgendwann irgendwie zu revanchieren, doch davon wollte ich nichts wissen. Gerda so glücklich zu sehen war es mir wirklich wert gewesen.

 

Und dann war es auch schon an der Zeit, die Kappes zu verlassen. Raphael und ich gingen zurück in unser Zuhause.

 

 

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19.03.19 Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich die Seite nun fit für die DSGVO gemacht, alles ist online und ihr könnt hier wieder die Abenteuer meiner Schillers lesen!

 

Ich wünsche euch viel Spaß dabei!

 

 

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