Teil 2

Der Winter kam, es wurde kalt - und unser kleines Auto wollte nicht mehr. Es war abzusehen gewesen, denn das Auto war einfach schon sehr alt, aber wir hatten es bisher immer noch irgendwie über den TÜV geschafft.


Doch jetzt war nichts mehr zu retten. Die Reparatur hätte so viel gekostet wie ein gebrauchter Kleinwagen, und das war es dann doch nicht wert. Außerdem bastelten Hanna und ich ja wie verrückt an dem zweiten Kind, und damit wäre die Ente eh zu klein gewesen.

Bye, liebe Ente!

Und Willkommen neue Familienkutsche!

 

Für dieses Auto war der Großteil unserer Ersparnisse drauf gegangen, und trotzdem mussten wir nun noch über ein Jahr lang Raten dafür bezahlen. Ich war froh, dass Hanna und ich unsere Jobs hatten, denn sonst sähe es jetzt richtig düster aus.

Für Raphael war es überhaupt keine Frage, auch in der Kälte seine Körbe zu werfen. Und mich fragte er immer wieder, ob ich mit ihm spielen wollte. Natürlich ging ich so oft es ging mit, auch wenn mir zur Zeit immer fast die Finger dabei abfroren.

"Äh, Papa", sagte er, als ich gerade dazu ansetzte, einen Korb zu werfen.

"Ja?", fragte ich immer noch höchst konzentriert.

"Das wird so nichts"

"Was?", hakte ich dümmlich nach.

"So geht der Ball nicht in den Korb", erklärte Raphael.

"Wie denn dann?", fragte ich meinen Sohn, der das mit Sicherheit tatsächlich besser wusste als ich oller Sportmuffel.

"Du musst weiter da hin", er deutete nach rechts, "und dann auf eine der Ecken von dem roten Viereck zielen, nicht auf den Korb". Bitte? Hatte ich das wirklich jemals auch so gelernt?

"Woher weißt du denn das?", fragte ich nach.

"Von den Kindern aus der Sportklasse. Denen gucke ich doch manchmal in der Pause zu". Okay. Wenn die das sagten, stimmte das bestimmt, dachte ich leicht belustigt und tat, wie mir geheißen.

Ich traf dann trotzdem nicht, denn mein Ball war meilenweit von der roten Ecke weg. Dass Raphael auch an diesem Mittag gewann, muss ja nicht extra erwähnt werden.

Das erste Weihnachtsfest als verheirateter Mann stand vor der Tür. Die Tage davor waren hektisch gewesen, wir hatten in Raphaels Schule einen kleinen Weihnachtsbasar gehabt, wo verschiedene Dinge verkauft worden waren. Wir waren dafür zuständig gewesen, einige Weihnachtskarten zu bemalen, die dann verkauft worden waren. Und auf der Arbeit war auch noch mal richtig viel los gewesen.

 

Doch jetzt konnten wir endlich alle zur Ruhe kommen. Der Weihnachtsbaum stand im Esszimmer und war von uns bunt geschmückt worden.

Ich hatte mich zum ersten mal an eine Gans gewagt. Na, duften tat sie schon mal nicht schlecht, wie ich feststellen durfte, als ich sie zum Tisch trug.

Aber nicht nur, dass das das erste Weihnachtsfest als Ehemann war, es gab auch eine Besonderheit bei den anwesenden Gästen. Denn heute waren meine Mutter und Oli und Toni hier. Tonies Eltern waren über die Feiertage in den Süden geflogen und waren gar nicht hier, und Olis Eltern hatten ihn und Toni am nächsten Tag eingeladen. So hatten die beiden heute tatsächlich Zeit für uns gehabt. Meine Mutter hatte zuerst schwer daran geschluckt, dass sie am Heilig Abend Oli gegenüber sitzen würde, auch wenn es jetzt nicht mehr das erste mal war, dass sie sich sahen. Die beiden hatten sich nun drei mal gesehen, heute würde das vierte mal sein.

 

Hanna begrüßte meine Mutter wie immer sehr herzlich und nahm ihr damit bestimmt ein wenig ihrer Nervosität.

Ich werkelte noch in der Küche, als meine Mutter zu mir trat.

"Kann ich dir etwas helfen?", fragte sie mich.

"Nein, ich habe es gleich. Mache es dir ruhig schon gemütlich", wies ich sie an. Doch sie reagierte nicht, und nach kurzer Zeit sagte sie erneut:

"Ich helfe dir wirklich gerne"

"Mama, ich bin eh schon fertig, es gibt nichts mehr zu tun", sagte ich stirnrunzelnd, und als meine Mutter wieder nicht reagierte, blickte ich auf. Ich bemerkte, dass sie mir gar nicht richtig zuhörte, sondern etwas beobachtete. Ich folgte ihrem Blick und sah, dass Hanna mit Oli sprach. Aha, das war es also, was sie abgelenkt hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie es immer noch nicht so recht glauben konnte, dass es Oli gab und das er unserem Vater so ähnlich sah. Ich hatte dafür ja auch ganz schön lange gebraucht, bis ich das mal realisiert hatte.

Meine Mutter saß dann zufälligerweise beim Essen tatsächlich Oli gegenüber. Und mein Strahlemann-Bruder versuchte immer wieder, sie charmant in ein Gespräch zu verwickeln. Dabei wusste ich, dass für ihn die Situation auch ungewöhnlich war und dass auch er noch aufgeregt war, wenn ein Treffen mit ihr anstand.

Doch dank Raphael lockerte sich die Situation immer mehr. Er strahlte und war ganz aufgeregt. Er fragte immer wieder, wann es denn nun die Geschenke geben würde.

Meine Mutter wurde immer fröhlicher, was absolut schön zu sehen war. Raphaels Aufregung und Geplapper hatten sie wohl immer lockerer gemacht.

Man sah meinem Bruder an, wie er dadurch noch gelöster wurde.

Und meine zauberhafte Hanna nutzte die Gunst der Stunde und begann ein lustiges Gespräch, in welches die anderen sofort gerne einstimmten.

 

Und mir war für einen Moment total bewusst, dass hier am Tisch nun meine ganze Blutsverwandtschaft saß. Meine Großeltern waren alle schon gestorben und meine Eltern waren beides Einzelkinder gewesen, so dass da überhaupt keine Verwandtschaft mehr da war. Zu möglichen Geschwistern meiner Großeltern hatten wir nie Kontakt gehabt und ich wusste nicht mal, wer da noch lebte und wer nicht. Aber hier waren nun meine Frau, mein Kind, meine Mutter und mein Bruder an unserem Tisch versammelt.

 

Natürlich, dank Hanna war meine Familie nun noch größer, denn ich hatte Schwiegereltern, eine Schwägerin, einen Schwager und einen Neffen. Die wir dann an den restlichen Weihnachtsfeiertagen auch sehen würden.

 

In diesem besinnlichen Moment kam mir wieder in den Kopf, wie lange meine Mutter und ich allein gewesen waren. Dass es eine Zeit gegeben hatte, in der ich mich noch einsamer gefühlt hatte, nämlich da, als sie sich nach Vaters Tod kaum um mich hatte kümmern können. Ohne Mark wäre ich damals wohl verloren gewesen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal an diesem Punkt hier ankommen würde.

 

Um nichts in der Welt würde ich das wieder aufgeben wollen.

Nach dem Essen war es dann endlich so weit: Ein Kollege von Johanna kam als Weihnachtsmann verkleidet zu uns und verteilte die Geschenke für Raphael. Dieser war über den Besuch freudig überrascht und trug dem Mann in rot auch noch ein Weihnachtslied vor.

Er war dann absolut im Glück, als er seine Geschenke auspackte. Seit ich ein Kind hatte war Weihnachten wieder ein bisschen geheimnisvoller und schöner geworden. Den freudigen Glanz in Raphaels Augen zu sehen war so toll!

Und auch wir Erwachsenen beschenkten uns nun. Hanna und ich gingen in eine ruhigere Ecke des Zimmers.

"Für dich, mein Engel", sagte ich und reichte ihr mein Geschenk.

Ich beobachtete sie dabei, wie sie das Geschenk aufpackte.

"Oh, Schatz! Es ist wunderschön!", sagte sie strahlend, als sie das Armband, dass ich ihr auf Kreta gekauft hatte, vor sich liegen sah. Sie streifte es sich sofort über.

"Gefällt es dir?", hakte ich nach und sie nickte.

"Und wie! Vielen Dank, Liebling!". Sie gab mir einen Kuss, bevor sie mir mein Geschenk gab. Heraus kam eine tolle Armbanduhr, die auch ich mir sofort anzog.

Nach der Bescherung spielten wir dann Karten und hatten einen schönen und vor allem lustigen Abend. Meine Mutter hatte sich wieder noch ein Stückchen mehr an Oli annähern können, was mich freute. Sicher, es würde vielleicht nie zu einem herzlichen Verhältnis werden, aber das musste es ja auch nicht. Wichtig war, dass das Versteckspiel vorbei war und wir alle ohne Probleme zusammen in einem Raum sein konnten.

 

Als Hanna und ich unsere Gäste verabschiedet hatten, standen wir unter dem Mistelzweig, der an unserer Haustüre hing.

"Hanna, ich glaube, ich bekomme was von dir", zwinkerte ich und ließ meine Augen nach oben wandern, damit sie erahnen konnte, was ich meinte. Sie blickte dann auch tatsächlich kurz nach oben, begann dann zu grinsen und sagte:

"Ich wüsste nicht, was"

"Siehst du da oben das grün? Das ist ein Mistelzweig", sagte ich oberlehrerhaft. Sie begann zu kichern.

"Und was bedeutet das?", fragte sie unschuldig nach.

"Ganz einfach: Dass ich einen Weihnachtskuss von dir bekomme", antwortete ich, und Hanna erlöste mich dann endlich, kam auf mich zu und gab mir einen wunderbaren Kuss.

Der restliche Winter war dann recht mild und ziemlich schneelos geblieben. Was uns Erwachsene freute, für die Kinder aber nicht so toll gewesen war. Raphael tat mir leid, ich wusste noch, wie es mir als Kind ging, wenn es im Winter nicht schneien wollte.


Und so kam der Frühling und mit ihm wärmere Temperaturen. Fiona war von Raphael angesteckt worden, was das Basketballspielen angeht, und oft warfen sie nun zusammen Körbe, wenn sie hier war. Raphaels Freund Tim war eher der Fußballer, und wenn er hier war kickten die Jungs meistens.

Ich fand es eh schön, dass Raphael und Fiona immer noch so gut miteinander auskamen. Von anderen Eltern wusste ich, dass in dem Alter Kinder des anderen Geschlechts eigentlich rigoros ignoriert wurden. Doch Fiona und Raphael scherte das überhaupt nicht, sie fühlten sich nach wie vor eher wie Geschwister.

Mit dem Frühling kam dann auch schon bald Ostern, und am Ostersonntag waren wir zusammen mit den Wengerts bei Hannas Eltern eingeladen. Raphael und Julian suchten voller Spannung ihre Ostereier im Garten.

Wir Erwachsenen sahen ihnen dabei zu und feuerten sie bei der Suche an.

 

Bis auf Hanna.

 

Sie starrte ihre Schwester sekundenlang an.

Ellen war im 9. Monat schwanger und ihr Bauch war dementsprechend rund.

Ich sah Hanna in die Augen, in denen sich so viel Traurigkeit abzeichnete. Mir zog es das Herz zusammen, als ich diesen Blick sah.


Sie entschuldigte sich dann kurz darauf bei uns und ging ins Haus. Für mich sah das eher wie eine Flucht aus, weshalb ich ihr dann auch folgte.

Ich fand sie im Wohnzimmer ihrer Eltern. Sie saß gedankenverloren auf der Couch und sah aus, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz weit weg.

"Da bist du ja", begrüßte ich sie sanft.

"Lucas!", schrak sie aus ihren Gedanken auf, räusperte sich und setzte sich aufrecht hin.

"Was ist los?", fragte ich sie, obwohl ich mir die Antwort so gut denken konnte. Hanna senkte ihren Blick, während ich mich zu ihr auf die Couch setzte. Ich spürte, dass sie gerade damit kämpfte, nicht in Tränen auszubrechen. Sie litt. Nämlich unter der Tatsache, dass sie noch nicht schwanger geworden war.

"Ich musste kurz rein", sagte sie dann mit brüchiger Stimme, "ich kann gerade einfach nicht... also, nicht dass du denkst, ich gönne es meiner Schwester nicht! Aber... es hat einfach weh getan, ihren Bauch zu sehen". Ich nahm sie in den Arm und streichelte ihr dann beruhigend über ihren Arm.

"Ist schon gut. Mache dir keine Gedanken. Ich weiß, dass du es Ellen und Marcel gönnst. Bei uns wird es auch noch klappen", sagte ich aufmunternd lächelnd zu ihr.

"Ach, Schatz", sagte Hanna, "ich weiß, du meinst es gut, aber ich...". Sie stockte. Ihre Verzweiflung war nun fast spürbar, und auch ich wurde ernst. Ich nahm ihre Hände in meine, sah sie an und sagte:

"Hanna, wir probieren es doch erst ein halbes Jahr. Das ist noch gar nicht so lange. Klar, auch mir wäre es am Liebsten, dass Du jetzt schon schwanger wärst, aber wir haben noch so viel Zeit. Mache dich bitte nicht verrückt, ja?"

"Das ist leichter gesagt als getan!", sagte Hanna. "Denn mir kommt es überhaupt nicht so vor, als wäre das alles normal so. Mein Gott Lucas, kannst du mir mal verraten, wie ich im letzten halben Jahr NICHT schwanger werden konnte? Ich habe einen so regelmäßigen Zyklus und spüre sogar, wenn ich meinen Eisprung habe, das hätte doch schon längst klappen müssen! Weißt du, bei Raphael hatten wir ja eigentlich sogar verhütet, es war ja nur ein Zufall, dass ich dann schwanger wurde. Und jetzt, wo wir wollen, klappt es nicht. Das ist einfach nicht fair!".

 

Es stimmte schon, rein von der technischen Seite betrachtet hätte es funktionieren müssen. Wir schliefen regelmäßig miteinander und hatten ja schon ein Kind. Aber eine Schwangerschaft war nun mal keine technische Angelegenheit, und ich vermutete, dass sich Hanna so langsam zu sehr darauf versteifte, schwanger zu werden. Das hörte man schließlich immer wieder, dass solche Dinge wie Druck und Stress eine Schwangerschaft verhindern konnten.

"Ja, das ist nicht fair, damit hast du recht. Aber wenn du dich zu sehr unter Druck setzt, wird es eher schlimmer als besser"

"Dann bin ich wohl selbst schuld, dass es nicht klappt!", sagte sie und schluchzte auf. Oh Gott, was hatte ich gesagt!

"Nein, Hanna!", widersprach ich ihr schnell, "Du bist nicht schuld! Diesen Gedanken musst du schleunigst wieder loswerden, hörst du?". Sie sagte kurz nichts, doch dann stand sie auf:

"Lass uns wieder nach draußen gehen, ja?". Sie wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern ging schon vor.

Und auch wenn sie es versuchte, Hanna schaffte es an diesem Tag nicht mehr, ihre Fröhlichkeit zurückzuholen.

 

Es belastete sie wirklich immer mehr, dass sie noch nicht schwanger war.

Eine Woche nach Ostern nutzten Bernd und ich mal wieder das schöne Wetter und gingen angeln. Für Anfang April war es recht warm, und so schwangen wir zum ersten Mal in diesem Jahr die Angelruten.

"Schön, dass das heute gleich geklappt hat", sagte Bernd.

"Ja, das finde ich auch", gab ich zurück. Es war immer schön, mit Bernd zusammen zu angeln. Mein Schwiegervater war mir ein wichtiger Vertrauter geworden, und da wir dieses Hobby miteinander teilten, sahen wir uns auch immer wieder zu zweit. So, wie ich früher mit meinem Vater geangelt hatte, übernahm diese Rolle nun Bernd. Natürlich war mein Vater unersetzbar, das würde er auch nie sein. Aber Bernd war mein Schwiegervater und ein Vertrauter und hatte deshalb einen hohen Stellenwert für mich. Genauso, wie er es genoss, dass nun einer seiner Schwiegersöhne mit ihm angelte, nachdem seine Mädchen daran kein Interesse zeigten.

Wir standen eine ganze Weile einfach still da und hofften einfach nur, dass heute einige tolle Fische anbeißen würden. Das war das Schöne am Angeln: Die Stille war nie peinlich. Sie gehörte dazu, man konnte seine Gedanken schweifen lassen. Oft besprachen wir aber auch die Dinge, die uns dann in den Kopf kamen.

"Wie hat es Silvia verkraftet, dass ich nun ihr Schwiegersohn bin?", fragte ich dann in die Stille hinein. Bernd schmunzelte.

"Ich will es mal so sagen: Sie findet sich damit ab".

"Alles klar", gab ich zurück.

"Lucas, mache dir deswegen keinen Kopf. Sie will, dass Johanna glücklich ist, und sie weiß sehr genau, dass Johanna das mit dir ist. Und das ist erst mal das Wichtigste". Ich war da nicht so überzeugt davon, aber wollte das auf sich beruhen lassen. Bernd und ich hatten immer wieder über Silvia gesprochen, wenn wir geangelt hatten, und wir kamen auf keinen grünen Zweig. Außerdem war Silvia Bernds Frau und er würde sie natürlich immer verteidigen. Nichts anderes würde ich an seiner Stelle machen.

Wieder angelten wir kurz still weiter, bis dann Bernd das Wort an mich richtete:

"Und wie ist es bei euch?", fragte er und nestelte dabei an seiner Angelschnur herum. "Ist alles noch gut?".

Tja, was sagte ich jetzt? Ich war schon versucht, ein ganz normales: ´Klar, ist alles super!`von mir zu geben, doch das wäre nicht nur gelogen gewesen, sondern albern dazu. Denn die Kepplers hatten letzte Woche an Ostern ja sehr wohl gesehen, dass es vor allem ihrer Tochter nicht gut ging. Ich seufzte auf. Das, was uns gerade so beschäftigte, konnte ich aber jetzt auch nicht rausposaunen. Es war eine Sache zwischen mir und Hanna. Bernd sah wohl, wie ich mit mir rang.

"Du musst dazu nichts sagen, Lucas", sagte er. "Es geht mich ja auch nichts an. Ich dachte nur, dass ihr letzte Woche an Ostern nicht so wart wie sonst immer. Aber gut, wer ist schon immer gleich gut drauf? Entschuldige bitte meine Neugier!".

"Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest", sagte ich. "Es wundert mich auch nicht, dass du fragst. Ich kann nur nichts genaues sagen, es wäre Hanna gegenüber nicht fair, weißt du". Bernd nickte anerkennend.

"Allein für diesen Satz würde ich dich jederzeit wieder zum Schwiegersohn haben wollen", lächelte er. "Und nicht so einen arroganten Schnösel wie diesen Georg"

"Gregor", verbesserte ich ihn.

"Ach, ist ja auch egal. Ich hätte ja wirklich am Männergeschmack meiner Tochter zweifeln müssen, hätte sie sich anders entschieden". Wir lachten kurz auf, und mir lief das natürlich runter wie Öl. Doch dann gingen meine Gedanken wieder zu Hanna und ihrer Sorge, es könnte bei uns mit einem zweiten Kind nicht mehr klappen.

"Ich kann dir ja sagen, dass sich Hanna wegen einer Sache zu viele Sorgen macht. Etwas, was eigentlich noch gar nicht so schlimm ist. Sie wird immer unglücklicher deswegen, und ich kann es nicht ändern. Und das macht mich wiederum fertig".

"Hm", brummte Bernd in seinen Schnauzer. "Johanna hatte schon immer ihre Ziele vor Augen und verfolgt die zielstrebig. Das muss ich dir ja wahrscheinlich nicht sagen. Wenn es jetzt also etwas gibt, was sie gerne hätte und sie nicht zu diesem Ziel kommt, dann wird sie unruhig. Ich habe diese Unruhe am Sonntag, als ihr bei uns gewesen seid, gesehen. Früher, als sie noch ein Kind war, war das schon ganz ähnlich. Ich habe sie dann immer wieder mit was abgelenkt, so dass sie mal komplett auf andere Gedanken kam. Manchmal hat es geholfen".

 

Ablenkung. Wie konnte ich meine Hanna mal so ablenken, dass sie nicht immerzu an ihren Kinderwunsch dachte? Dass sie nicht mit mir schlafen wollte, weil sie ihren Eisprung hatte, sondern einfach, weil sie mit mir zusammen sein wollte?

Als Raphael an diesem Abend schlief, ging Hanna duschen, und ein paar Minuten später schlich ich mich zu ihr ins Bad. Sie war so angespannt, schon seit Wochen, und es war an der Zeit, dass sich das wieder änderte.


Ich schlüpfte aus meinen Kleidern und dann zu ihr unter die Dusche. Sie hatte mich nicht kommen gehört und erschrak, als ich plötzlich bei ihr stand.

"Oh Gott, hast du mich erschreckt!", keuchte sie auf. Ich schmunzelte.

"Das wollte ich natürlich nicht. Aber was ich will, ist, dass du dich jetzt so richtig entspannen kannst, ja?"

"Wie soll ich mich entspannen, wenn du so vor mir stehst?", sagte sie.

"Versuche es einfach", flüsterte ich. "Ich möchte, dass es dir wieder besser geht. Schließe deine Augen, Engel", sagte ich, und sie tat es, ohne irgendetwas zu hinterfragen. Sie vertraute mir komplett. "Gut so", sagte ich weiter und gab meiner Stimme einen ruhigen Klang. "Stelle dir einen schönen Ort vor, einen, an dem du dich jetzt total entspannen könntest. Hast du so einen Ort?". Hanna nickte langsam.

"Ja", antwortete sie mir.

"Und wo bist du gerade?"

"Auf einer tropischen Insel. Ich stehe an einem kleinen See, in den ein Wasserfall fließt. Rings um mich herum sind Bäume. Ich höre viele Tierstimmen". Ich lächelte. Ihre Kreativität hatte ihr tatsächlich sofort ein Bild in ihren Kopf geliefert, und dann auch noch das, über das wir auf Kreta gesprochen hatten. Es freute mich, dass sie nun diese tropische Insel in ihren Gedanken hatte.

"Gut", sagte ich dann und schaltete den Duschstrahl an.

"An diesem Ort gibt es keine Termine und Kalender. Ja? Stelle dir jetzt vor, dass du unter dem Wasserfall stehst. Du bist total entspannt, alles ist gut. Denke an nichts anderes als an dein Bild. Machst du das?". Und Hanna stellte sich hier unter die Dusche, und ließ den Wasserstrahl über ihr Gesicht laufen. Ich hielt sie sanft am Bauch umfangen und streichelte mit den Daumen ganz zart über ihre Haut.

"Ja, mache ich", hauchte sie und ich konnte förmlich spüren, wie sie lockerer wurde. Sie stand eine ganze Weile so da. Das Wasser rauschte und die Wärme davon ließ Wasserdampf aufsteigen, so dass man sich eine tropische Insel mit einem Wasserfall sehr gut vorstellen konnte.

Irgendwann drehte sich Hanna wieder mir zu und gab mir einen Kuss.

"Ich liebe dich so", sagte sie zu mir.

"Und ich dich", gab ich zurück. "Doch du kannst mich eigentlich nicht küssen, wenn du auf einer einsamen, tropischen Insel bist"

"Du glaubst doch nicht, dass du und Raphael in meinem Traum nicht dabei seid", sagte sie.

"Und du bist sicher, dass du dich entspannen kannst, wenn wir dabei sind?", hakte ich nach.

"Nur so", antwortete sie und wir küssten uns erneut. Natürlich reagierte mein Körper auf sie, und Hanna bemerkte das sofort.

"Mir scheint, dass du noch viel weniger entspannt bist als ich", spielte sie darauf an. Ich grinste.

"Sorry", sagte ich dann. "Aber wenn du mich so küsst, dann kann ich für nichts garantieren"

"Dann komm", sagte sie, nahm mich an der Hand, und auf nassen Füßen tapsten wir leise in unser Schlafzimmer.

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Wo wir dann ganz sanft miteinander schliefen. Hanna war so entspannt wie schon lange nicht mehr. Es war so voller Gefühl, und ich spürte, dass es ihr diesmal wirklich um nichts anderes ging als darum, dass wir beide zusammen waren. Es war wunderbar.

Hanna war in den Tagen danach tatsächlich wieder etwas gelassener, und das war total schön. Unser Liebesleben profitierte da natürlich auch davon. Sie war sogar anhänglicher geworden und brauchte viele Kuscheleinheiten. Wenn wir abends zusammen einen Film ansahen, gingen ihr die traurigen Szenen oder die Liebesszenen sehr ans Herz, und mehr als einmal musste sie sich ihre Augen mit einem Taschentuch trocknen.

Mitte April wurde diese neue Gelassenheit dann aber auf eine harte Probe gestellt, denn es war soweit: Ellen und Marcel hatten ihr zweites Kind bekommen, und wir besuchten die Familie zu Hause.

Schon als wir das Haus betraten, kamen uns die stolzen Eltern entgegen. Auf Marcels Arm war der kleine Simon.

Wir hatten Ellen und Simon natürlich auch schon im Krankenhaus besucht, aber heute sollte alles etwas entspannter als dort sein.

"Der Kleine ist ja wach!", freute ich mich, als ich Simon ansah. Was bei einem Säugling ja nicht wirklich selbstverständlich war.

"Ja", sagte Marcel lächelnd. "Er hat gerade gegessen. Jetzt gibt es eine frische Windel, dann noch einen Nachschlag für ihn, und ich schätze, dass er währenddessen auch wieder einschlafen wird"

"Dann macht er quasi sein Verdauungsnickerchen", lachte ich auf und Marcel stimmte mit ein.

Und dann tappte Ellen unbewusst voll ins Fettnäpfchen.

"Na, Schwesterchen", sagte sie, "wäre so ein Baby nicht auch etwas für euch?".

Hanna ließ sich kaum was anmerken, doch ich hatte gesehen, wie sie bei Ellens Worten leicht zusammengezuckt war.

"Kommt Zeit, kommt Rat", sagte sie schwammig. "Jetzt haben wir ja erst mal euren Simon zum Bestaunen". Bei diesen Worten strahlte Ellen, eben ganz die glückliche, frischgebackene Mama.

Während sich die Jungs in Julians Zimmer verzogen hatten, stillte Ellen Simon noch einmal, wo er dann, wie schon von seinem Vater vermutet, bald einschlief.

 

Hanna hielt sich sehr tapfer. Ich wusste, dass sie sich trotz allem von Herzen für ihre Schwester freute. Und auf dem Rückweg sagte sie mir, dass es für sie zwar schon schwer gewesen war, sie sich aber nicht verrückt machen wollte. Wenn es wirklich so bliebe, wie es war, dann hätten wir die drei Jungs in unserer Familie, und das war schon mehr als andere hatten. Was sicher stimmte, aber auch ich musste zugeben, dass mich dieser Gedanke traurig stimmte. Ich hätte wirklich gerne noch ein zweites Kind gehabt. Und für Raphael ein Geschwisterchen, so dass er nicht als Einzelkind aufwachsen musste. Würde es nun Hanna und mich genau so treffen wie meine Eltern? Die aus unerfindlichen Gründen ebenfalls kein zweites Kind mehr bekommen hatten?

Etwa zwei Wochen später rief mich Hanna zu sich ins Wohnzimmer. Ich war noch im Arbeitszimmer gesessen, weil ich mit einem Plan nicht so zufrieden gewesen war und den etwas überarbeiten wollte. Ich hatte geglaubt, dass Hanna fern gesehen hatte. Raphael schlief schon längst.

"Mache deine Augen zu, Lucas!", fing sie mich schon an der Tür ab, und ich lachte überrascht auf.

"Okay, sind schon zu", sagte ich, und Hanna nahm mich an den Händen und führte mich in unser Wohnzimmer.

"Nicht spicken!", sagte sie.

"Schon gut!", grinste ich. Sie führte mich zur Couch, setzte mich sanft hin und ich spürte, wie sie sich ebenfalls hinsetzte. Erst dann gab sie mir die Erlaubnis, meine Augen zu öffnen.

Ich blickte mich um und sah auf dem Tisch viele Kerzen stehen, drapiert in Herzform, und in der Mitte davon lag ein Geschenk.

"Habe ich einen wichtigen Tag vergessen?", grübelte ich sofort mit schlechtem Gewissen.

"Nein, hast du nicht", lächelte Hanna. "Hier, für dich", sagte sie und gab mir das kleine Päckchen. Und ich nahm es, entfernte das Papier davon und öffnete es gespannt.

Heraus kam ein Miniatur-Töpfchen, ein ebenso kleiner Teddybär und eine Windel.

Erfreulicherweise stand ich heute nicht auf meiner Leitung, und ich wusste sofort, was das bedeutete.

"Hanna...", sagte ich nur und sah sie an. In ihren Augen schimmerten Tränen.

"Die... Windel", stammelte sie, "werden wir in naher Zukunft wieder oft brauchen".


Es war also wahr! Augenblicklich schoss mir pures Adrenalin in meine Adern.

Ich stand auf, zog sie dann hoch und küsste sie. Wir würden noch ein Kind bekommen! Es war unglaublich! Unglaublich!!!

 

"Du bist schwanger!", stellte ich fest, und sie nickte.

"Ja. Du wirst noch mal Vater, Lucas", sagte sie ergriffen. Mein Herz klopfte wie verrückt. Tausend Gedanken rasten durch meinen Kopf. Wir würden zu viert sein! Raphael würde ein Geschwisterchen bekommen! Was würde es wohl werden? Noch ein Junge? Oder ein Mädchen?

"Seit wann weißt du es?", fragte ich sie dann.

"Seit heute Vormittag", antwortete sie selig lächelnd. "Ich habe es schon ein paar Tage geahnt, wollte aber nicht nur sichergehen sondern dich auch überraschen, deshalb habe ich noch nichts gesagt".

"Die Überraschung ist dir gelungen", sagte ich und kämpfte nun selbst mit einer zittrigen Stimme. Es war einfach so bewegend. Nachdem wir es nun mehrere Monate schon probierten, hatte es jetzt geklappt! "Oh Gott, ist das schön!", rief ich aus und umarmte sie noch mal.

"Ja, ich konnte es auch kaum glauben, als meine Tage ausblieben", sagte sie. "Ich hatte Angst, es könnte nur falscher Alarm sein, weil ich es mir so sehr gewünscht habe. Aber der Ultraschall heute war eindeutig"

"Und wie weit bist du?", wollte ich weiter wissen.

"In der 6. Woche", sagte Hanna. "Der vorerst errechnete Termin ist der 18. Januar". Ein Winterkind also. Raphael hatte im Herbst Geburtstag und Hanna und ich im Sommer, das ergänzte sich also prima.

Wir setzten uns dann wieder hin und Hanna kuschelte sich an mich. Sie erzählte mir, wie es ihr ging und dass sie schon Veränderungen am Körper spürte.

Hanna hatte anfangs nur eine kurze Phase, in der es ihr ziemlich schlecht ging. Viel schlimmer war ihre Müdigkeit. Natürlich, wir hatten nun schon ein Kind, das auch forderte. Aber Gott sie Dank war Raphael schon so groß, dass er verstand, dass sich seine Mama immer mal wieder kurz auf die Couch legen musste.

Ich half auch, so gut es ging. Doch die Arbeit war jetzt im Frühling wieder mehr geworden, jeder wollte sein Haus in den warmen Monaten bauen und wir Architekten bekamen einen Auftrag nach dem anderen. Für mich hieß das dann leider auch Überstunden zu schieben. Ausgerechnet jetzt, wo mich Hanna so sehr brauchte.

Ansonsten fühlte ich mich großartig, weil ich nun alles von der Schwangerschaft mitbekam. Und es war auch was anderes, seiner Frau liebevoll über den immer runder werdenden Bauch streicheln zu können als nur von außen, fast wie ein Unbeteiligter, die letzten Wochen der Schwangerschaft mitzubekommen, wie es bei Raphael gewesen war. Ich liebte es etwa, zu schauen, ob unser Kleines wach war oder nicht. Wie auch an diesem Morgen, als Hanna im 5. Monat war.

"Hallo, Kleines!", sagte ich zu unserem Baby. "Willst du deinem Papa nicht hallo sagen?". Hanna lachte.

"Wenn du es schon verstehst, kannst du dem Baby bitte ausrichten, dass es uns nach der Geburt viel schlafen lassen soll?". Ich grinste.

"Du denkst zur Zeit auch nur ans Schlafen, oder?", neckte ich sie.

"Hey!", erboste sie sich, "Sei du mal schwanger, dann reden wir weiter!". Ich lachte auf, und sie stimmte schon bald mit ein.

"Lege dich ruhig noch mal hin, Schatz", sagte ich zu ihr. "Ich mache das Frühstück für Raphael, kein Problem. Du musst ja heute nicht mehr ins Büro, oder?"

"Nein, ich habe meine Pläne hier. Allein der Gedanke an die Fahrt nach Bath und ich werde hundemüde". Hanna arbeitete seit der Trennung von Gregor in einem großen Architektenbüro in Bath. Sie hatte gekündigt, weil Gregor ihr Kollege gewesen war. Ich wusste, dass ihr die Arbeit in Bath nicht so viel Freude wie damals in dem kleineren Büro hier in Two Lake City machte. Was nicht an der Arbeit, sondern am Arbeitsklima dort lag. Deshalb war es für Hanna auch ganz klar, nach der Geburt in Elternzeit zu gehen und sich die ersten Monate um unser Baby zu kümmern. Ich überlegte, ob ich die zwei Monate Elternzeit, die Vätern zustanden, auch nehmen sollte.


Hanna legte sich dann wirklich noch mal hin und schlief weiter, während ich unserem Sohn sein Frühstück und sein Pausenbrot machte.

Weil wir auch ein paar Kleinigkeiten für das Kinderzimmer kaufen wollten, zog es uns wieder in das Babyland, wo wir auch schon damals viel für Raphael eingekauft hatten. Jetzt brauchten wir zwar nicht mehr viel, die ganzen Babymöbel, der Autositz und die Strampler lagerten auf dem Dachboden. Doch ein paar Kleinigkeiten wollten wir heute erstehen.

 

Raphael besah sich die Dinge hier neugierig an.

Irgendwann stellte er sich vor Hanna hin und betrachtete den Bauch.

"Mama? Ist da drin wirklich ein richtiges Baby?", wollte er wissen.

"Ja", lächelte Hanna. "Es ist aber noch ganz klein". Hanna war nun im 7. Monat schwanger.

"Wie lange muss es noch in deinem Bauch bleiben?", fragte Raphael weiter.

"Noch ungefähr zehn Wochen", antwortete Hanna.

Raphael betrachtete weiterhin den Bauch.

"Wie ist das Baby da eigentlich reingekommen? Hast du es gegessen?", fragte er da plötzlich.

"Ich lasse dir gerne den Vortritt, das zu erklären", grinste ich.

"Ich finde, so etwas ist eine Sache zwischen Vater und Sohn", gab Hanna keck zurück. Dann wandte sie sich an unser Kind:

"Nein, ich habe das Baby natürlich nicht gegessen. Aber wie genau das da reingekommen ist, erklären wir dir ganz in Ruhe und nicht hier, einverstanden? Jetzt haben wir ja noch zu tun".

"Aber...", versuchte es Raphael erneut, doch nun half ich Hanna:

"Mama hat recht. Das muss man in Ruhe machen, und jetzt sind wir ja wegen was ganz anderem hier"

"Also gut. Aber warten ist richtig doof", fügte sich Raphael in sein Schicksal und wandte seine Aufmerksamkeit dann aber doch wieder den Spielsachen hier drin zu.

"Das ist noch mal gut gegangen", grinste ich

"Ja, aber du erklärst ihm das heute Abend. Ich bin dann wahrscheinlich zu müde dazu", zwinkerte Hanna und ging dann ebenfalls weiter.

Raphael wunderte sich über die kleinen Kleidungsstücke und konnte sich nicht vorstellen, jemals ebenfalls so klein gewesen zu sein.

Und Hanna und ich sahen uns dann noch in dem Laden um. Die Farben der Dinge, die wir kauften, sollten neutral sein, denn wie schon bei Raphael ließen wir uns auch diesmal nicht sagen, welches Geschlecht das Baby hatte. Beim letzten Ultraschalltermin hatte man es wohl gut gesehen, doch Hannas Frauenarzt hatte unseren Wunsch respektiert und uns nichts verraten.

 

Es dauerte gar nicht so lange, bis wir alles hatten, was wir wollten, und konnten bald wieder nach Hause gehen. Was gut war, denn Hanna war tatsächlich erschöpft.

Als wir wieder zu Hause waren, erinnerte Raphael sofort an unser Versprechen, ihm zu erklären, wie das Baby in den Bauch seiner Mama gekommen war. In dem Babyland hatten wir auch ein kindgerechtes Aufklärungsbuch gefunden, also schnappte ich mir das und ging mit Raphael in sein Zimmer. Dort machten wir es uns auf dem Boden bequem und ich begann stockend, ihm das Buch vorzulesen und seine vielen Fragen zu beantworten.

 

Hoppel, mein alter Stofftierhase, den ich an Raphael weitergegeben hatte, durfte auch zusehen. Prima. Ich konnte mein altes Stofftier geradezu kichern hören, weil ich mir hier so schwer tat.

Es war wirklich nicht leicht, das seinem eigenen Kind zu erklären!

"Papa, warte!", unterbrach mich Raphael erneut. "WAS kommt da aus dem Penis raus?". Er sah mich mit großen Augen an. Klar, er hatte ja auch einen solchen und konnte sich sicher nur schwer vorstellen, dass dort der Samen rauskam, den man für die Zeugung eines Babys brauchte.

"Äh", stotterte ich, "Samen. Also, du weißt doch, als ihr im Kindergarten die Sonnenblumen gepflanzt habt, das waren auch Samen gewesen. Weißt du das noch?"

"Iiiih, ich habe doch nicht solche Samen in mir drin, oder?", ekelte er sich und ich begann zu schwitzen.

"Nein, keine Sorge. Die von den Männern sind ganz klein. So klein, dass man sie nicht sehen kann. Außerdem hast du die noch nicht. Die kommen erst später", erklärte ich höchst professionell.

"Und die können machen, dass ein Baby in Mamas Bauch kommt?"

"So ungefähr", sagte ich.

"Wie?", hakte er weiter nach, und ich blätterte in dem Buch auf die Seite, auf der der Akt in einem schönen, kindgerechten Bild gezeichnet worden war.

"Hier", zeigte ich auf das Bild. Raphael besah es sich, grübelte, und sagte dann:

"Eine Frau und ein Mann müssen Bauch an Bauch liegen?". Wie gern hätte ich jetzt nach Hanna gerufen! Doch weil das nicht ging, las ich einfach die Stelle aus dem Buch vor, in der das beschrieben wurde. Die Reaktion meines Sohnes:

"Iiiih! Das ist ja ekelig!". Er schüttelte sich. "Und das hast du auch bei Mama gemacht?"

"Sieht fast so aus", sagte ich etwas peinlich berührt und Raphael sah mich mit großen, fragenden Augen an. Ich klappte dann das Buch zu und sagte zu ihm:

"Höre mir zu. Das ist wirklich nicht ekelig, sondern machen zwei erwachsene Menschen, wenn sie sich sehr, sehr lieb haben. So wie Mama und ich. Du wirst das irgendwann verstehen. Jetzt vielleicht noch nicht, aber du und das Baby in Mamas Bauch gibt es, weil wir uns wirklich lieb haben. Und sich lieb zu haben ist nicht ekelig, oder? Dich und das Baby haben wir ja auch sehr lieb. Okay?". Raphael kam zu mir und umarmte mich fest. Mit dieser einfachen Erklärung hatte er erstaunlicherweise am Meisten anfangen können. Und damit war ich wieder erlöst.

Wir besuchten auch diesmal wieder einen Geburtsvorbereitungskurs. Der Kurs wurde sogar von einem männlichen Geburtshelfer, Herrn Kinkel, geleitet. Was zuerst seltsam anmuten mochte, war dann aber recht witzig, denn er erzählte viel aus seinem Berufsalltag und verstand es, seine männliche Unwissenheit in Bezug auf den Wehenschmerz witzig einzubauen. 

Hanna und ich saßen auf der Matte, und der Geburtshelfer vor uns erklärte gerade, wie wichtig die richtige Atmung bei einer Geburt war. Das wussten wir ja noch von Raphael, und ich saß gerade so praktisch hinter Hanna, dass ich begann, sie leicht zu kitzeln.

"Lucas!", flüsterte Hanna und musste sich das Lachen verkneifen. "Könntest du bitte damit aufhören? Wir sollten aufpassen, was Herr Kinkel uns erklärt!". Ich flüsterte zurück:

"Ach was, das wissen wir doch schon alles!"

"Trotzdem!", kicherte sie. "Außerdem ist das schon acht Jahre her, wer weiß, ob es was Neues gibt und sicher haben wir auch viel vergessen. Und wir stören die anderen!"

"Iwo!", widersprach ich und kitzelte sie noch mal, woraufhin sie mir mit dem Ellenbogen in meine Rippen stieß.

"Autsch!", keuchte ich, doch sie zeigte sich unbeeindruckt.

"Pst!", machte sie. "Hast du gehört, was Herr Kinkel gesagt hat? Ich glaube, du sollst meinen Bauch halten, damit ich üben kann, tief in den Bauch zu atmen". Nachdem wir verstohlen bei den anderen Paaren geschaut hatten, was die gerade machten und Hanna wohl richtig verstanden hatte, legte ich meine Hände auf Hannas Bauch und sie begann, tief in den Bauch zu atmen.

Später dann gab es dann die unterschiedlichsten Tipps, die eine Geburt erleichtern konnten, wie etwa die Vorbereitung mit Akupunktur. Und zum Schluss hatte Herr Kinkel dann noch ein paar Entspannungsübungen für die schwangeren Frauen parat.

Durch diese aufregende Zeit der Schwangerschaft bemerkten wir zuerst gar nicht die Veränderung bei Raphael.

 

Dass er nun häufig ohne Fiona spielte, wenn sie bei uns war. Aber auch mit Tim hatte er sich nun immer weniger getroffen. Als mir das bewusst wurde, hielt ich es zuerst für eine kurze Phase, in der er einfach mal weniger mit seinen Freunden spielen wollte.

Deshalb war ich auch umso erstaunter, als er eines Nachmittags plötzlich bei mir im Büro auftauchte, obwohl er nach der Schule eigentlich hätte zu Mohrs gehen sollen.

"Raphael!", rief ich erstaunt aus, als er vor mir stand. "Was ist los? Warum bist du nicht bei Fiona?". Ich war auf dem Sprung zu einem Außentermin und hatte gerade alle Pläne, die ich dafür brauchte, in Rollen verstaut.

"Ich wollte heute zu dir, Papa", sagte er dann einfach nur.

"Ja, aber Fiona wartet vermutlich auf dich, oder?". Ganz zu schweigen von Susan, die meinen Sohn ja zum Essen erwartete. Raphael druckste herum.

"Ich weiß nicht", sagte er dann. "Vielleicht". Ich runzelte die Stirn.

"Schatz, natürlich warten sie auf dich. Du hast doch nicht abgesagt, oder?". Er sagte erst mal nichts, doch dann gestand er:

"Nein, habe ich nicht"

"Und Mama? Hat sie noch angerufen?". Er schüttelte den Kopf. Und da ich wusste, das auch ich nichts dergleichen vereinbart hatte, warteten jetzt die Mohrs tatsächlich auf ihn.

"Warum wolltest du denn nicht zu Fiona gehen?", hakte ich weiter nach.

"Darum!", sagte er plötzlich viel gereizter. "Ich möchte nicht immer mit einem Mädchen spielen!". Ich war über seine Aufregung erst mal total baff. Ob sich die beiden wohl gestritten hatten?

Bevor ich mich der Frage zuwendete, rief ich bei Mohrs an und teilte ihnen mit, dass Raphael heute nicht kommen würde. Und ich verlegte meinen Außentermin auf den nächsten Tag und ging mit Raphael nach Hause.


Auf dem Weg dorthin wollte ich herausfinden, was los gewesen war, doch Raphael wollte absolut nichts sagen. Je weiter ich bohrte, desto mürrischer reagierte er und sagte dann irgendwann gar nichts mehr. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Leider wurde dieses Verhalten nicht besser, eher im Gegenteil. Eines Morgens saßen wir alle drei beim Frühstück, und Raphael hielt sich mit Beiträgen sehr zurück. Er war sehr nachdenklich.

Hanna wollte ihn etwas aus seinem Schneckenhaus locken.

"Heute Mittag habe frei. Wollen wir da zusammen was machen, Raphael? Vielleicht ins Schwimmbad gehen?"

"Ins Schwimmbad?", hakte er interessiert nach.

"Ja. Wir könnten Fiona mitnehmen, sie planscht ja auch so gerne!". Ich wusste, dass es Hanna gut meinte. Sie wollte die beiden Kinder wieder zusammen bringen und lockte unseren Sohn nun mit einem gemeinsamen Schwimmbadbesuch.

Ich unterstützte meinen Engel natürlich und schlug sofort in die gleiche Kerbe:

"Das ist ja eine tolle Idee! Wie gern wäre ich da dabei!". Doch Raphael war überhaupt nicht dieser Meinung.

"Nein!", schrie er. "Ich will nicht mit einem Mädchen ins Schwimmbad gehen! Und mit Tim auch nicht! Das ist eine ganz doofe Idee!"

"Aber Raphael, Fiona würde sehr gerne mal wieder mit dir zusammen spielen!", erklärte Hanna.

"Das ist mir egal!", rief er aus und stand aufgebracht auf. "Mädchen sind doof!". Und mit diesen Worten stürmte er zur Tür. Hanna stand der Mund vor Schreck weit auf, und auch ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte. Was war hier nur los?

"Was geht hier vor sich?", fragte ich entgeistert. "Woher kommt nur dieser plötzliche Sinneswandel? Vor anderthalb Jahren war er noch geschockt, als Fiona ausgezogen ist, und jetzt...? Ich verstehe es nicht!"

"Ich auch nicht", bekannte Hanna. "Das ist doch nicht diese Phase, wenn Jungs nichts mit Mädchen zu tun haben wollen, oder? Wenn doch, hätte ich nicht gedacht, dass es auch Raphael mit Fiona trifft. Aber warum trifft er sich dann auch nicht mehr so oft mit Tim?"

"Ja, das ist eine gute Frage. Lass uns erst mal mit Susan und Marita reden, wie es in den letzten Tagen so war, wenn er bei ihnen war", schlug ich vor.

"Ja, das auf jeden Fall!", sagte Hanna.

Voller Sorgen aßen wir heute fertig. Ich war ganz in meine Grübeleien versunken. Ob es mit der Schwangerschaft zusammenhing? Aber warum? Hanna gab sich wirklich alle Mühe, trotz ihrer Müdigkeit immer mit Raphael zu spielen, und ich natürlich ebenso. Gerade jetzt wollten wir ihm zeigen, dass wir trotzdem immer für ihn da waren. Doch scheinbar lief hier gerade etwas gründlich schief.


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